Von einer gerupften Nachbarin und Kairos Märkten

Nurith sieht entsetzlich aus.
Ok. In den Augen eines Ägypters mag Nurith eine Schönheit sein. Aber für uns Eidgenossen ist diese Wampe, die ihr wie ein Theatertäschchen vom Kinn baumelt, etwas zu lampig. Überdies linst Nurith mit wimpernlosen Augen. Wie Gufenknöpfe stieren sie ins Leere. Und ihr Hinterteil? JA HALLO! Da hat aber jemand ganz zünftig Federn lassen müssen. «Sie hat einen wunderbar flaumigen Bauch...», schwärmt Ahmed. Und streichelt das etwas zu klein geratene Nurith-Köpfchen. Schliesslich beginnt er um Nuriths Preis zu feilschen. Endlich bringt ein kleiner Junge ein Tablett mit drei Teegläsern. Die Flüssigkeit ist giftgrün wie eine Mamba, heiss wie die Lenden des Teufels und süss wie der Kirschenmund dieser jungen Frau, die Nurith zu einem flach gehobelten Baumstrunk führt.
MIT EINEM GESCHICKTEN SCHLAG HACKT DER KIRSCHENMUND NURITH DEN KOPF AB.
Dann strahlt Ahmed.
«Für die Füllung brauchen wir junge Minzblätter, grosse Nüsse, goldgelbe Rosinen, Kreuzkümmel und gemahlenen Koriander? dann von diesen knorrigen Karöttchen und ein Pfund frisch gepflückte Flachpetersilie...»
Der zerrupfte Federnarsch des nun kopflosen Truthahns bewegt sich noch immer. Der Kopf ist neben dem Beil in den Sand gefallen. Ein Fliegenkommando nimmt sich seiner an. Verkäufer und Ahmed stossen auf den Kauf des Vogelviehs an. Der Vogel soll mein Welcome-Dinner werden.
Ich schütte das überzuckerte Glas Minzentee verstohlen in den Sand aus. Vom Nachbarstand kommentiert eine verzottelte Ziege solch schändliches Tun mit lauten Gemecker. «Halt den Rand!», knurre ich sie an. «Sonst bist du die Nächste»? denn Ahmed hat mir auf den heiligen Freitag hin einen Ziegenbraten am offenen Feuer versprochen. Die Ziege soll Selvana heissen. Und drei Tage lang in öligem Sesam mit Knoblauch und jungen Grünzwiebelchen einbalsamiert werden.
In Nasr City ist jeden Tag Kleintier-markt. Zwischen geköpften Artischocken gackern Hennen und Täubchen, Enten und Wachteln? ihnen gehts wie den Artischocken: Rübe ab! Natürlich gibts auch Grösseres für den Hausgebrauch? etwa ein Kleinpferd, das man vor den Wagen spannt. Oder eine ganze Herde mit stark duftversprühenden Hammeln, die dann auf einem dieser unzähligen Balkone gehalten werden, bis das nächste Fest steigt. Und der Hammel in den Hammelhimmel befördert wird.
Ich weiss, dass alle Tierschützer auf Herzbaracke machen, wenn sie solche Märkte im Mittleren Osten sehen. Und zugegeben: ausser den Millionen von Fliegen, die hier an abgehangenen Schafseiten und enthäuteten Kuhstotzen herumschwirren, haben die Tiere nichts zu lachen. Mit einem Knebel haut die arabische Mamma energisch alle Schnecken in den Wassertopf zurück, welche (im Zeitlupentempo) die Flucht ergreifen wollen. Zauberkaninchen? wuschelweiss mit roten Augen wie Stoppsignale? werden an den Löffeln hochgezogen und vor dem interessierten Käufer wie der Bämbel von Big Ben hin und her geschwungen. Zwischen all den tierischen Bildern streunen abgemagerte Katzen herum und lauern auf Lungenabfälle oder vergessene Hühnerfüsse.
Und eben: Fliegen. Fliegen fliegen wie schwarze Trauerschleier über den Ständen und erstmals im Leben muss ich gestehen, dass die Vakuumverpackung auch ihre gute Seite hat.
Nasr City ist eine dieser unzähligen Satellitenstädte rund um Kairo, welche die Regierung aus dem Wüstenboden hochzieht. Sie wurde in den Achtzigerjahren gebaut. Heute sehen die Wohnblöcke bereits aus, als wären 20 Kriege darüber gekommen. Trotzdem werden immer neue von diesen Wüstenstädten in den Sand gesetzt? irgendwo müssen die 25 Millionen Menschen von Kairo ja untergebracht werden.
Das Highlight jeder dieser Wüsten-Randstädte ist ein Einkaufscenter. Das Einkaufscenter sieht aus wie Einkaufscenter heute auf der ganzen Welt eben aussehen.
Hier stosst die globale Welt zusammen: vom Bata-Schuh bis zum Donald-Burger, von der Tissot-Uhr bis zur Visa-Creditcard. Jeden Donnerstag abend trifft sich «tout Cairo» vor dem freien Freitag zu Pizza, Sushi oder US-Beef in einem der internationalen Restaurants dieser gigantischen Rummel-Bummel-Städte. Gläserne Lifte jagen über künstliche Wasserfälle in die verschiedenen Etagen. Und natürlich gibt es auch eine Lebensmittelabteilung, unübersichtlich wie acht Fussballfelder und voll mit Nuriths in der Tiefkühltruhe. Frage an Ahmed:
«Weshalb kaufst du den Truthahn auf dem Markt, wenn du ihn hier appetitlich und gerupft aus dem Eisland haben kannst?»
Antwort von Ahmed: «Die Zubereitung eines Essens ist immer sehr persönlich. Sinnlich. Und eigentlich eine Zeremonie. Das war bei den Ägyptern immer so. Deshalb geben wir dem Vogel auch einen Namen. Wir sind dann auf emotionaler Basis mit ihm verbunden, zollen ihm auch einen gewissen Respekt? und sind dem Vieh dankbar, dass es uns satt macht.» Frage nicht ganz beantwortet? deshalb: «Aber weshalb ausgerechnet NURITH? » Ahmed grinst: «Nurith ist unsere Nachbarin. Sie hat eine gespaltene Zunge und stachelt alle Bewohner der Strasse gegen uns auf, weil da zwei Männer in einem Haushalt zusammenleben. Da bringt es ein doppeltes Vergnügen zuzusehen, wie einer Nurith den Kopf abhackt...» Kurz und gut: Zu meinen Ehren hat man die Nachbarin kahlgerupft, mit Minzblättern gestopft und mir als Willkommensbraten serviert...

Samstag, 20. März 2010