Von einem Scheintoten und Einbrüchen

Donnerstag Die Leiche wurde uns noch vor dem Frühstück serviert. Und die Leiche kam mit Conception.
Conception ist gespickt mit Horrorgeschichten wie die pubertierende Haut mit Pickeln. Dieses Mal gibt sie sich als Medea (schreiend, die Fäuste auf die ziemlich flache Brust hämmernd):
«EIN UNGLICK... EIN SCHRÖÖÖCKLICHES UNGLICK...»
Seit Jahren lebt Conception schon in der Schweiz. Seit Jahrzehnten. Sie ist angehende Grossmutter, eine perfekte Hemdenbüglerin? aber eine totale Nuss auf dem Gebiet der deutschen Sprache. Wie alle Französisch sprechenden Menschen ist sie der Auffassung, Gott habe ihr die Sprache der Sprachen geschenkt. Und die andern hätten sich gefälligst danach zu richten...
«IL EST MORT», schrie sie nun. Und wand sich auf unserem unsauberen Steinboden wie der Wurm um den Regenschirmspitz.
«La Police était là...»
Wieder Brusthämmern.
Wieder diese Schreie, wie sie Conception im Nachtprogramm des französischen Horrorsenders unzensuriert demonstriert bekommt.
Dann ein erschütternder Seufzer: «Armes Mössiö Gigi... totes Mann.»
«Was isss?» Innocent schnallte sich die Lautsprecher an die Ohren. «Wer hat ins Gras gebissen?»
«DER POLIZEI WAREN BEI MÖSSIÖ GIGI. ALTES NERVENSÄGE TOT.»
GEREIZT knübelte Innocent an seinen Lauschern rum. «Blödsinn. Ich habe eben mit dem Toten telefoniert.»
Wieder Hämmern. Wieder Geschrei. Wieder Unverständliches.
«Ohhhh? vous sprechen mit Horror-Geistlich...»
Innocent: «Herr Horror Geistlich war aber noch ganz hell in Form UND SEHR LAUT AUF DIESER WELT... er erkundigte sich nach seinem Olivenbaum auf der Terrasse. Und ob dieser auch gut gespritzt werde in seiner Abwesenheit...»
Conception verstummte. Dann zupfte sie eine Visitenkarte aus ihrem Büstenhalter. Und hauchte dramatisch: «Voilà!»
Die Karte war von Polizeifrau Hüglin. «Bitte anrufen» hatte sie darauf geschrieben. Und hinten hatte eine andere Hand hingekritzelt: Schlüsselservice Basler Bebbi? WIR SIND IMMER FÜR SIE DA!
Diesmal trommelte ich auf die Brust, die üppige: «UMHIMMELSWILLEN INNOCENT? DIE HABEN BEI GIGI EINGEBROCHEN!»
Sofort hängten wir uns an den Hörer. Polizeifrau Hüglin beruhigte freundlich: «Ach was Einbruch! Wir dachten, der Alte sei tot. Die Nachbarn haben angerufen? er nehme das Telefon nicht ab. Seine Zigarre verpeste nicht mehr alle Wohnungen. Und der Briefkasten sei auch am Überlaufen... und dann war da auch dieser Geruch...»
WAS FÜR EIN GERUCH?
«Nun ja? es war bloss ein aufgetautes Paket mit Fischstäbchen. Aber Sie wissen ja, wie so etwas schmeckt...»
ICH ESSE KEINE FISCHSTÄBCHEN!
«Jedenfalls haben wir die Türe aufgebrochen. Und das Schloss ausgewechselt. Drei neue Schlüssel sind bei uns auf dem Posten. Nichts für ungut.»
Dann haben wir alle herzlich gelacht. Und unsern Freund Gigi nach Italien angerufen, um ihm zu sagen, dass er eigentlich tot sei. Und wieder auferstanden.
Sein einziger Kommentar. «Ich hoffe, mein Olivenbaum auf der Terrasse hat keinen Schaden genommen!»
Wie ein Lauffeuer ging es nun durchs Quartier: «Herr Gigi ist gar nicht tot... es waren nur die vergessenen Fischstäbchen... er ist in den Ferien... die Polizei hat den neuen Schlüssel und...»
Es war wieder ein Donnerstag, als Conception kreidebleich zu uns kam. Diesmal verstummt.
«Die Türe stand weit offen...», hauchte sie nur. Und ging grusslos an unsere Cognacflasche.
Die Polizei registrierte einen Einbruch. Sie liess ein neues Schloss einsetzen und den Basler Bebbi Schlüsselservice kommen. Der stellte bei einem dritten Mal zehn Prozent Rabatt in Aussicht.
Schweren Herzens riefen wir Gigi nach Italien an: «Du bist das arme Opfer eines Einbruchs? es fehlt aber nichts. Nur ein bisschen Bargeld und drei zahlenkeuschreine Sudoku-Heftchen.»
«Steht der Olivenbaum noch auf der Terrasse?», erkundigte sich das Opfer kalt.
Es zogen weitere Donnerstage ins Land. Und es blieb beim zweimaligen Schlüsselservice. Dann kündete Gigi seine Heimkehr aus Italien an.
Und es war wieder ein Donnerstag, als er sich bei uns heulend auf den Boden warf. «Er ist tot... ich wusste es: Er ist tot... keiner hat richtig zu ihm geschaut und...»
Daraufhin haben wir die Gärtnerei angerufen.
Und einen Olivenbaum bestellt.

Donnerstag, 24. September 2009