Rosen sind etwas Besonderes.
Ich meine nicht nur: ICH LIEBE DICH, und so.
Es war einmal, da hat die Rose das Dornröschen gestochen. STOPP. Da stimmt etwas nicht. Es war die Spindel. Und die wiederum wurde dem Kind von der 13. Fee untergejubelt. Letztere war ja so etwas von stinkesauer, weil sie nicht zum Tauffest geladen war.
Misstöne von Nichtgeladenen bestehen ja bis heute. ABER SOLL MAN DESHALB GLEICH JEMANDEN INS JENSEITS BEFÖRDERN?
Also? dieser Giftzahn hat doch tatsächlich die Spindel für das liebliche Mädchen manipuliert.
Und schon stach das Gift ins begabte Fingerchen der Königstochter. ABER MEINT IHR, DIE KLEINE WÄRE MAUSETOT GEWESEN? Ja, hallo? da war doch auch noch die 14. Fee. Die gütige Blonde mit den himmelblauen Augen. In den sonntäglichen Zuckerwatte-Movies der Frau Pilcher kassiert die Gattung solcher herzensguten Aufgebleichten immer den Helden ab. Die giftsprühenden Schwarzhaarigen aber sterben im Finale an Raucherkrebs oder an einer Essstörung.
Bei der Sage um das spindelgestochene Prinzesschen bewirkt die blonde Gute (wie wir alle wissen), dass das infizierte Kind nicht mordtot umsackt.
Sondern in einen tiefen Schlaf fällt.
Die gute Fee war das Valium der Märchenzeit.
UND JETZT KOMMEN WIR ZU DEN ROSEN!
Weil das Kind nämlich pausenlos pennte, wucherten die Rosen im Schlossgarten. Und legten einen Dornenwald um die Schlafmütze.
100 Jahre lang haben die Rosen geblüht und die Dornen gestochen.
UND JETZT VERRATET MIR MAL, WELCHER TROTTEL VON PRINZ DURCH SO EIN PIKSENDES GESTRÜPP REITEN MAG, UM EINE 100-JÄHRIGE WACHZUKÜSSEN?!? Ich meine: Wie erklärst du das deinem Kinde? Ja, hallo? das war doch ein Nekrophiler der ersten Stunde! Aber nein? das Prinzesschen, das bereits 35 Jahre Rente verpennt hatte, erwachte vom Kuss des Rosenritters glücklich und zufrieden.
Seither weiss die Grüner-Daumen-Welt, dass die Rose immer wächst? selbst wenn man sie nicht spritzt oder düngt oder schneidet.
Deshalb: «Signore Gianni, ich möchte einen Rosengarten!»
Das «Signore» ist eine klare Barriere. Seit Jahrzehnten versuche ich das Inselpersonal auf Distanz zu halten.
Mit dieser Anbiederung à la Schulmeister und dem Du-auf-Du mit der ganzen Klasse hab ichs nicht. Ein gewisser gegenseitiger Respekt ist wichtig im Umgang mit dem Volk. Und sie danken es dir auch mit einem frohen «Va fa? in culo», was hier etwa so viel wie «herzlichen Dank» heisst.
Gianni also spuckt seinen durchgekauten Zahnstocher aus. Und schaut mich mit seinen listigen Schweinsäuglein scheel an: «Non siamo qui la bella principessa addormentata nel bosco...»
Ich bedanke mich ebenfalls mit einem herzlichen «Va fa? in culo!».
Nun baut er sich vor mir auf: «Hier kommen keine Rosen, du Depp (er sagt: «scemo»). Hier sind noch nie Rosen gekommen. Schon mein lieber Grossvater, der alte Pietrino (Regieanmerkung: Er schlägt das Kreuz und lässt die versoffenen Augen himmelwärts schauen) hat die Rosen hier verflucht.
Er sollte sie für die Marchesa anpflanzen.
Das alte Rabenaas wollte einen Baccaragarten...»
Jeder auf der Insel weiss, dass die Marchesa den schönsten Rosengarten hatte. Also von wegen «HIER KOMMEN KEINE ROSEN!». Jeder weiss auch, dass sich diese Adelstante ihren jungen Gärtner nicht nur wegen der Blumen hielt. Das Geweih, das die Gnädige und ihr blumiger Bestäuber dem ahnungslosen Marchese aufgesetzt haben, hätte einen ganzen Jagdsaal ausgefüllt.
Nun? die pikanten Histörchen um die beiden blühen heute noch. Aber die Rosen nicht mehr.
Ein russischer Gasgrossist hat alles plattgewalzt.
Und Golfgras über die Geschichte wachsen lassen.
«Was ihr wunderbarer Grossvater konnte, können Sie auch, Signore Gianni!», säusle ich.
Die Schweinsäuglein werden nun rund: «Da sei Gott vor!» Und wieder Kreuzschlag.
Es ist Innocents Anwaltslist, die den Gärtner auf Trab bringt: «Jetzt lüpf schon deinen Arsch. Sonst erzählen wir deiner Alten, dass du bei unserer Abwesenheit stets die Pornosammlung auf dem Video abspulst...»
Innocent hält sich nicht an die gesellschaftlichen Schranken. Er hat Mao studiert: «FÜR JEDEN ALLES? UND MIR ETWAS MEHR.»
Jedenfalls beginnt Signore Gianni knurrend zu graben.
Und ich darf mir 100 Rosenstöcke zu meinem 85. Geburtstag aussuchen (ich bin mit den Geburtstagsgeschenken ein ganz klein wenig im Vorschussbereich).
Zwei Wochen lang wird gebuddelt.
Dann kommen drei Lastwagen mit gerapster Baumrinde. «Das ist gegen Unkraut», erklärt Gianni wichtig. «Wir brauchen dies überall auf der Insel gegen Unkraut!»
HAUPTSACHE, DIE ROSEN KOMMEN!
Tun sie aber nicht. Sie verfallen wie von der Spindel gestochen in ein Koma. Und sind welker als Dornröschen nach 100 Jahren.
«JA, HOPPLA!», hupt Franz-Josi, unser Hausgast vor den Kümmerlingen. Er weiss alles über alles.
Er ist ein Tausendgscheitle aus deutschen Landen:
«DA WERDEN NIE ROSEN WACHSEN. HOLZRINDE BRINGT DER ERDE SAURES. DESHALB WÄCHST DANN GAR NICHTS MEHR. ODER ALLERHÖCHSTENS RHODODENDRON!»
«Ich habs ja gesagt», triumphiert Herr Gianni.
«Und dafür habe ich 745 Euro für Rosenstöcke ausgegeben», macht Innocent auf Krise.
«Auf meinen 86. wünsche ich mir 100 Rhododendronen! », freue ich mich.
Kennt jemand das Märchen vom lustigen Rhododendron-Prinzen, der in den vergifteten Apfel biss?
Von einem Rosengarten und saurer Erde
Samstag, 30. Juni 2012