Von einem Rasen, der rasend macht

Ein Ferienhaus bringt nicht nur viel Freude.
Es bringt auch viele Gäste. UND DAMIT VIEL ÄRGER. Ich meine: nichts gegen nette Menschen, die einfach mal kurz in unserer Insel-Hütte reinschauen.
Ihre Geschenke abstellen. Und dann wieder verschwinden? dies jedoch nicht, ohne sich vorher etwas pikiert umgeschaut zu haben: «IST DAS ALLES? ICH HABE MIR EUER ANWESEN ETWAS BAROCKER VORGESTELLT.»
Ja, haben die noch nie etwas vom Low-Budget eines Herrn Innocents gelesen?
Man kann mit zwei Euro fünfzig pro Tagesausgabe nicht das «Ritz» aufbauen. Und auch nicht die Bügelkammer des «Ritz». Die ist vermutlich weit geräumiger als unsere Baracke im Lande der Wildsau. Dennoch? einige Besucher bleiben. Und dann geht das Theater los. «WESHALB IST EURE MATTE SO FLOCKIG UND LÄUFT EHER INS BRÄUNLICHE?!» Die Matte ist keine solche.
Sondern ein RASEN. Und damit ein ewiger Streitpunkt.
Nach meinem Geschmack ist so ein Stück Grünfeld hier eh falsch am Platz. Wir leben auf der Insel umgeben von Erosionsgestein und Kakteen. Letztere sind stachliger als die Pointen von Giacobbo & Co. UND AUSGERECHNET IN DIESER NATURGEGEBENEN WILDNIS WILL HERR INNOCENT EINEN «QUEEN?S LAWN»? wenn ihr wisst, was ich meine. Das ist doch, als würde man in der Einfamilienhausparade des Langen Lohs einen Wolkenkratzer hochziehen.
Innocent also wollte so einen grasgrünen Fetzen, den man mit der Nagelschere stutzt, den Coupe Hardy der Rasenkultur. Einen Coupe Gardy, quasi.
Kurz: eine Rasenidee, die jeden rasend machte.
Als dann eines Tages die Camions mit guter, frischer Erde anfuhren? als Innocent himself auf dem Anhänger mit den 1325 Grassamensäckchen sass, da wusste ich: Wir hätten das Geld auch gleich in den Wind schmettern können.
DENN DER WÜSTE WÜSTENFÖHN IST ES, DER DEN RASEN HIER UNMÖGLICH MACHT.
DAZU DIESE HITZEPERIODEN, WO SELBST DIE AUGEN DER DAMPFENDEN MAREMMARINDER WIE SPIEGELEIER ZU BRUTZELN BEGINNEN.
Es gab eine heftige Diskussion mit Gärtnermeister Gianni, der sich weigerte, so einen Mist wie den «Rasen der Queen» (so hiess die englische Lawn-Mischung) anzusäen. Er sah nicht nur die Katastrophe.
Er sah auch viele Arbeitsstunden auf sich zukommen. Und da bockt er eh immer, wie Blochers Partei vor den Minaretten.
«Fa schifo», heisst seine Parole. Ausgedeutscht: «KOTZT MICH AN!»
Es kamen neue Laster, welche kilometerlange, feingelochte Wasserschläuche abspulten. Die fingerdicken Gummidinger mussten tief eingegraben werden. Für deren Preis hätten wir 50 Jahre lang auf dem Rasen von Glyndebourne picknicken können. Innocent aber zeigte strahlend auf eine Zeituhr, die er in Basel jenseits der Grenze beim Shoppingcenter «der frohe Gärtnersmann » erstanden hatte. Es war ein Billigkauf gewesen. Drei Mal runtergesetzte Euros. Aber mit dem Zeitstecker war es wie mit unserem Regierungsrat Gass? niemand wollte ihn. Da liessen sie noch einmal den Rotstift darüber gehen? und so kam das Schnäppchen in Innocents Besitz.
Nachdem ein Heer von Gärtnern und Bauarbeitern das Land mit der königlichen Rasenerde aufgefüllt hatte, und alle Schläuche an unser Wasserreservoire angehängt waren? da stellte Innocent stolz den Wasserwecker und verkündete: «JEDEN MORGEN UM DREI UHR WIRD UNSER RASEN NUN KÜNFTIG FÜR EINE STUNDE GENÄSST!» Es passierte und nässte aber gar nichts. Das Timer-Ding musste in einer anderen Welt funktioniert haben. HIER MACHTE ES TOTAL AUF VERWEIGERUNG. Punkto wässern liess es uns im Trockenen stehen.
Genervt stellte Innocent daraufhin die Gummischlauchspritzanlage von Hand ein. Mit dem Resultat, dass wir nach einer Viertelstunde zwar alles Wasser auf dem Acker, aber keinen Tropfen mehr im Haus hatten.
Es folgte eine hässliche Diskussion, die eine jahrzehntelange, schöne Beziehung derb ins Wanken brachte. Wenn sich dann aber die Gäste noch in diese Diskussion reinhängen («Ihr solltet mal unseren Rasen sehen. Also DER ist ja so etwas von sattgrün!»), dann ist Krise total.
ABER TOTAL, kann ich euch husten.
Aus aller Welt reisten nun Fachmenschen an, die unseren Rasen «retten» wollten. Ich versuchte, den Leuten klarzumachen, dass etwas, das noch gar nie war, auch nicht gerettet werden könne.
Aber sie hörten nicht zu. Die einen liessen Tonnen mit Flüssigdünger anfahren, die anderen Lastwagen mit Kalk. Der Hofgärtner der saudischen Prinzen warf aus einem Privatjet drei Quadratkilometer «Wüstenrasen» ab. Das herrliche Grün entpuppte sich dann aber als eine schier unverrottbare Acrylfaser. «Was erlauben Sie sich eigentlich?», schimpfte der oberste General der toskanischen Naturschutz-Garde uns aus. «Wir sind hier eine Wildoase. Wie soll sich eine Eidechse in diesem Acryl-Gestrüpp zurechtfinden?»
So wurde der grüne Kunststoffteppich wieder abgerollt. Und den «barmherzigen Schwestern des Marienordens von Ansedonia» vor die Klostertüre gekarrt. Sie bastelten daraus wunderbare Ökotaschen für ihren «Basar zugunsten verlassener Mütter».
Noch heute ist für mich der Rasentraum im Grünen ein rotes Tuch. Innocent kann sich nicht damit abfinden, dass die Natur stärker ist als alle Ratschläge von Freunden und Fachleuten.
«Wenn der liebe Gott nicht will, dann will er nicht!», hat Anna-Maria, unsere Zugehfrau, das Übel in ihrer einfachen Art auf den Punkt gebracht. Sie stellte Innocent einen hausgemachten Limoncello hin: «Freuen Sie sich an den Zitronen, die kommen hier wunderbar!»
Für einen kurzen Augenblick horchte unser Freund auf. Dann rief er Gianni: «Ich habe da eine Idee. Wir könnten doch auf dem Grund Zitronenbäume pflanzen und...»
«FA SCHIFO!», grunzte der.

Samstag, 23. Juni 2012