Donnerstag Einladungen sind etwas Wunderbares.
FÜR DIEJENIGEN, DIE EINGELADEN SIND.
Der Einlader aber ladet sich? wie schon der Name sagt? einige Mühe auf den Buckel und seine offenen Beine.
ICH WILL NICHT KLAGEN. Das mit den Einladungen habe ich mir selber eingebrockt.
ABER ES MACHT MICH WAHNSINNIG, WENN DIE UMGEBUNG MEINE ESS-INSZENIERUNGEN IMMER MIT GUTEN RATSCHLÄGEN NACHWÜRZEN MUSS.
«Mach nur etwas Kleines...»? das sagen sie alle.
Erstens habe ich nichts Kleines.
Und zweitens: Was bedeutet kulinarisch «etwas Kleines»? Ein Wachteleilein (pochiert)?
Ein Körnchen Kaviar? Oder? IGITT? etwa ein Aufschnittbrot aus dieser «DU DARFST»-Hühnerwurst, die man RÄDLEIN FÜR RÄDLEIN zuerst aus dem eingeschweissten Verpackungsgrab wiederbeleben und dann sorgfältig entkleben muss?
Zuerst also müsste einer richtig definieren, was unter «mach etwas KLEINES (grossgeschrieben)» kapiert werden soll. Die baslerisch vornehme Familienseite meines Herrn Innocent hatte es da einfach. An Einladungen gab es eine Kanne mit Tee (1 Beutel = 3 Kannen!). Und viele fromme Worte. Die liebe Mutter von Innocent sprach solche Einladungen folgendermassen aus.
«Kemmet z liecht...»
Das ist nicht etwa Chinesisch. Es ist Alt-Baslerisch. Und ich habe bis heute noch nicht begriffen, ob mit «z liecht» «zum Licht» oder «zu etwas Leichtem» gemeint ist. Vermutlich Letzteres. Denn so ein Teelein, das in seiner Farbe den Schein reinen Wassers hatte, wäre nie schwer aufgelegen. Ein «Licht» konnte nur schlecht gemeint sein. Aus Spargründen sass die ganze Familie nämlich abends im Dunkeln um den Tisch herum. Und das war gut so. Denn es hätte nicht viel Frohes zu sehen gegeben.
(GOTT, BIST DU WIEDER GEMEIN? ich höre die Sippe am nächsten Familientag aufheulen.)
Argwöhnisch reagierte ich auch bei ausgesprochenen Einladungen wie «Kemmet doch aifach go zuesitze...». (Andersrum: «Wir teilen uns das harte Ei zu viert und stellen noch zwei Stühle an den Tisch.»)
DA ICH SCHON IMMER AUF DER VERFRESSENEN SEITE DAHEIM WAR, LEHNE ICH SOLCHE ANGEBOTE DANKEND AB. UND BRATE MIR MEIN SPIEGELEI SELBER.
Es wäre sicher vermessen zu behaupten, in der Drämmler-Familie sei besser gegessen worden als dort, wo das alte Basel einen halbierten Klöpfer als Sonntagsbraten servierte und das Ganze «e nätts Ässeli» nannte.
O.k. Wir hatten keine silbernen Fingerbowlen mit Familienwappen, sondern putzten unsere Hände an den Hosen ab? aber eine schöne Auswahl erfreute immer den Gast. So konnte er zumindest zwischen Fleischkäse, Griesspfludde oder einem Einmachglas mit Spalierbirnen im Sirup wählen. Immerhin waren wir an der Quelle.
Tante Gertrude führte das, was man heute eine Delikatessothek nennen würde, damals aber unter «Tante-Emma-Laden» lief. Da Gertrude mindestens so verfressen war wie ihr schönster Neffe, türmten sich im Geschäft Prosciutti und Würste wie nach einem Schlachtfest. Die Tante säbelte die haarigen Beinschinken aus Parma von Hand so hauchfein auf, dass man die Sternennacht durch die Scheiben sehen konnte. Entsprechend bestellten die alten Basler Häuser gerne bei ihr, weil 123 Gramm von Gertrudes feingesäbeltem Schweinehinter für ein ganzes Verlobungsessen reichten.
Im Weinkeller meiner Tante stapelten sich Hundert-Kilo-Säcke mit indischem Reis, italienischen Borlotti-Bohnen und getrockneten Weinbeeren aus Malaga. Wenn ich mein Sackgeld aufpolieren wollte, half ich beim Abfüllen von Kandiszuckerstücken, die wie Bernsteintränen funkelten. Ich wog Pfundsäcke mit jungen Nüssen aus Grenoble aus und versiegelte frisch eingetroffene Honigwaben vom Berge Athos.
Gertrude lehrte mich, dass die guten Rohmaterialien die Farbe der Küche seien. Sie alleine würden alle diese kostbaren Düfte entwickeln, welche den Gaumen umtanzen wie ägyptische Derwische die untergehende Sonne. Und sehr bald kapierte ich, dass Tomaten nicht einfach Tomaten sind. Sondern dass die einen uns mit ihrem sonnig-fruchtigen Innenleben ins Paradies heben und die andern nichts anderes zu bieten haben als einen schlechten Schluck Wasser.
Sehr jung schon machte ich mich so auf die Suche nach all diesen sinnlichen Köstlichkeiten, die später Kilo für Kilo meinen Ranzen aufzubauen helfen sollten.
UND DANN KOMMT MIR INNOCENT DOCH TATSÄCHLICH MIT EINEM PÄCKLEIN KRAFTSCHEIBLETTEN HEIM UND SAGT, ES SEI IHM NACH ETWAS KLEINEM.
Dazu dies: «Wenn du die nächste Einladung machst, krieg dich doch vorher ein? und tisch nicht so wahnsinnig auf... man könnte ruhig mal etwas Kleines...»
«Z liecht?» «En Ässeli?»
Ich blicke traurig himmelwärts, wo Tante Gertrude vermutlich auf irgendeiner Wolke jordanische Honigmandeln mit geeistem Minzensirup kostet.
Und ich spüre ihren Atem auf meiner Wange? ein Atem, der nach kandierten Himbeeren duftet...
Von einem kleinen Essen und grossen Düften
Donnerstag, 27. August 2009