Donnerstag Als sich das Fernsehen auf der Insel meldete, begann das Puff. «Un casino», sagen die Italiener. Und meinen damit ein «Hurenhaus».
Bei mir startete das Puff eigentlich in Basel. Und wie so oft puffte es bei Innocent. Dieser war am Organisieren seiner Klassenzusammenkunft. Die lustigen Schüler der B-Klasse haben seit ihrer letzten Gesangsstunde nun auch schon gut 60 Jahre auf dem Tacho. Sie gehen ins Biblische. Und so ist der Wunsch verständlich: «Lass uns wieder einmal davon reden, wie es war, als wir noch alle Zähne hatten.»
Na ja, jedenfalls hat Innocent in verdienstvoller Weise auch noch den ehemaligen Französischlehrer aufgegriffen. Er heisst Max. Und war schon seiner Zeit durch Extravaganzen wie Sonnenbad am Klassenfenster, Silberwelle im Haar und Seidenfoulard an der Gurgel aufgefallen. Max war ein Unikum im Lehrerstall. Ein Exot jenseits des Paukervokabulars. Fast alle Schüler himmelten ihn an und wollten werden wie er, wobei meine liebe Mutter bei solchen Äusserungen jeweils die Augen verdrehte: «Da sei Gott vor...»
UND DAS WAR ER DANN AUCH.
Max also wurde als Ehrengast zum Klassentreffen gepfiffen. Und obwohl er gegen die 100 zugeht, ist sein Äusseres so perfekt geblieben wie ein Holzlineal. Er sonnt auch jetzt noch. Und kommt directement aus dem Modejournal. Max ist somit nicht nur der beste Sprachlehrer seiner Zeit gewesen, sondern lebt seine Legende aus bis zum Ausrufezeichen!
JEDENFALLS HAT DIE KLASSE NOCH IMMER VOLLHEISS VON IHREM EX-LEHRER GESCHWÄRMT, UND DIES, OBWOHL SIE HEUTE KEINE KNABEN MEHR SIND, SONDERN SICH STATT MIT KONJUGATIONEN MIT IMPLANTATEN UND SAUERSTOFFGERÄTEN HERUMPLAGEN MÜSSEN.
Max nicht. Er machts ihnen auch heute noch vor: 20 Liegestützen am Tag, strenge Diät und kalt duschen. Das konserviert.
Aber ich wollte ja gar keine Ode an Max schreiben (obwohl der mir heute noch meine Artikel rottintig korrigiert zuschickt und streng benotet, wobei die 3?4 in etwa der Schnitt ist)? also: Ich wollte nur erwähnen, dass Innocent an der Vorbereitung seines Klassentreffens war. UND DA HAT DIESE PFEIFE VON EINEM KAMERAMANN 2 IHN ANGERUFEN UND GEFRAGT, OB ES AUF DER INSEL WIRKLICH SCHLANGEN GEBE.
Innocent (aus der flockigen Begrüssungsrede: «Liebe Kameraden, verehrter Meister Max...» gerissen): «WIE? WO? WAS?»
Kameramann 2: «Die Insel? Hats dort tatsächlich Schlangen? Ich meine: Unsereins hat schon in Kongo gedreht und die SVP-Götter am Parteikongress? aber bei Schlangen muss ich passen, da werfe ich das Handtuch!»
So kam es heraus, dass das Fernsehen auf die Insel kam. Dies, obwohl ich Kameramann 2 allerschärfstens verboten hatte, Innocent auch nur ein Sterbenswörtchen zu verraten, sonst hätten wir dann das Puff (siehe Anfang).
NUN HATTEN WIRS ALSO.
Innocent tobte (vergessen waren alle Kamerädlein und der preiswerte Salat mit Ei-Menü in der Kunsthalle): «Ich will nicht, dass bei uns gedreht wird! Weshalb musst du auch immer so dick angeben?»
JA KLAR. HACKT NUR AUF DER TRÄMLERSTOCHTER RUM. MACHT HOTBURGER AUS IHR! Aber wer seine jüngsten Jahre in einem geliehenen Kinderwagen von Wisa Gloria verbracht hat, freut sich später eben, mit einer Zwölf-Zimmer-Jacht zu klotzen!
Ihr versteht: Ich konnte nicht mehr zurück. Ich hatte Lida, die täglich für unser Wohl auf der Insel sorgt, die Kameras bereits vorfreudig angekündigt. Und Lida hat sich am Dienstag-Mercato einen stinketeuren Fummel vom mobilen Marktstand geangelt, den sie um jeden Preis vor der Linse tragen will. Es ist ein mit Swarowski-Glitter besprühtes verlängertes T-Shirt in diesem Minzengrün, das die Cocktails der Siebzigerjahre ausgemacht hat. Die Strasssteinchen formen nicht nur ein Herz, sondern auch das süsse Credo: «I love Lollipop».
Lida, mit den Rundungen von Sophia Loren und Peter Ustinov beschenkt, sieht im allzu engen T-Shirt aus wie ein Heissluftballon, der soeben ins All abheben will. Dazu Kameramann 2: «Sag ihr, sie soll aus dem Bild verschwinden? die versaut ja die ganze Sicht aufs Meer!» Kamerageil wie eine Wetterfee winkte Lida nämlich mit ihrem Staubwedel pausenlos in die Röhre. Wie soll ich ihr diese kleine Freude nehmen, wo sie schon einen Säufer zum Mann und drei Grosskinder mit dem IQ einer Grand-Prix-Eurovisions-Sendung hat!?
Na also. Da war schon wieder Puff vorprogrammiert.
Doch es geschehen Wunder. Im Land der Päpste sind die in der Reisegarantie. ER schickte uns eine kleine, niedliche Viper dolorosa? direkt zu Füssen von Kameramann 2. Es kreischte die Putzfrau. Die Schlange biss genervt zu. Da jaulte der Mann, der in Kongo gefilmt hatte. Und als Innocent abends anrief, konnte ich ihn beruhigen: «Wir haben die Aufnahmen in der Notfallstation von Orbetello gedreht... eine Sendung mit Biss kann ich dir sagen...»
Von einem Klassentreffen und einer Sendung mit Biss
Donnerstag, 28. Mai 2009