Von einem grossen Geburtstag und einem Gefrier-Zahnbeutel

Es ist die Zeit des Geburtstagskuchens.
HAPPY BIRTHDAY GEDÜÜDEL.
75 Kerzchen mit der Ausstrahlung einer Sondermülldeponie.
Kurz: Innocent hat 75 LENZE! Das machen: Ein asketisches Leben für Familienwappen und Sparsamkeit (einerseits)? und 8189 Fläschlein Baldrian gegen Nervenkoller, Zusammenbrüche und Gallenkrämpfe (die andre Seite).
JA HALLO? UND WER FEIERT EIGENTLICH DIESE ANDERE SEITE!
Wer schleppt ihr Rosen, hausgebackene Muffins und ein verlogenes musikalisches Nilpferd-Glückwunsch-Kärtchen «BLEIBE HEITER, BLEIBE FROH? UND MACH NOCH JAHRE WEITER SO» ans Bett? Keine Sau!
An unserm Geburtstag heisst es höchstens: «War da gestern nicht was?»
Ich klimpere mit den neuen Wimpern.
Und Innocent: «Ja klar? der Spengler hätte kommen sollen... die haben hier einfach keine Arbeitsmoral! »
ABER DAS KANN ICH EUCH SAGEN, DEM HABE ICH ETWAS GEHUSTET!
Das Resultat: Innocent hat mir ein Geranienstöckchen in eine vierfach gebrauchte Alufolie gewickelt und auf den Mittagstisch gestellt (gebratene Spaghetti mit Spiegeleiern). Das Ganze wurde verziert mit der bissigen Bemerkung: «Mach doch nicht immer so ein Theater um deinen Geburtstag? wir werden alle älter...!»
Da kam das 8190. Baldrianfläschlein zum Zug. (Und muss wohl keiner erwähnen, dass ich mir das Geranienstöcklein schon vor drei Wochen auf dem Markt selber gekauft hatte...)
Nun also: der Geburtstag des Herrn! Alle Telefonapparate liegen griffbereit vor seinem Sessel... die Kanäle des Internets sind hochgeschaltet... der Gratulantenreigen kann losschleimen.
Wie ein Hund auf das Gebimmel des Briefträgervelos lauert, stiert Innocent nun auf die Kommunikations-Apparaturen dieses Jahrhunderts, auf dass diese losfiepen und er in gespielter Überraschung lossülzen kann: «Nein so etwas... dass du daran gedacht hast... ist ja nur der 75.!»
Dabei hat er schon Wochen vorher E-Mails «an all» verschickt: «HALLLO IHR LIEBEN? RATESPIEL: was ist der 9. vom kommenden Monat für ein ganz, ganz spezieller Tag... Na? Na? BEISST EUCH MAL INS KLEINHIRN! Wer zuerst anruft, bekommt einen medizinischen Eisbeutel!»
(Die Firma Bayer hat Innocent eine Probepackung mit 120 Gefrierbeuteln gegen Anschwellungen bei gezogenen Zähnen geschickt? vermutlich führt die Firma noch immer seine liebe Mutter in der Kartei, die für ihren Giftzahn weit über die Grenzen hinaus bekannt war.)
NOCH RUFT KEINER AN. Aber ich ziehe in der Küche einen Geburtstagskuchen aus dem Ofen. Ja.
O.k. Ist nur Fertigmischung. Duftet aber wie eine ganze Bäckerei, auch wenn der Kuchen mir oben aufgerissen ist und in etwa so aussieht, wie dieser unaussprechliche Vulkan auf Island.
Ich stecke eine dicke Kerze ins Loch. Blättere ein paar Hortensienblüten um das Schöne und balanciere den Morgengruss ans Bett des zu Feiernden:
«Auguuuri per teeee...»
Er: «Ich will keinen Tee... ich will Kaffee. Aber nicht zu stark. Und gestern war die Milch sauer...»
Ich bin es auch schon leicht... und nuggle wieder am Baldrian. Dann: «Ja hallo... hallo... ist das nicht das liebe Geburtstagskind?!»
Er: «Der Kuchen wäre nicht nötig gewesen... und was soll diese dicke Kerze drin?»
Ich: «Sie symbolisiert 75 glückliche Jahre...»
Er: «Dafür hättest du doch nicht eine Frische zu nehmen brauchen. Die kostet mindestens einsneunzig. Es hat noch alte in den Windlichtern auf der Terrasse und...»
Ich (in Gedanken die Kerze gegen ein Sturmgewehr auswechselnd): «Was hast du dir als Nachtessen vorgestellt? es sind zwölf Gäste angesagt! »
Er (zuerst bleich wie das Linnen, in dem er rumstänkert? dann lila wie die Hortensie des oben genannten Dekorationswerks: «JA WER HAT DIE DENN EINGELADEN?!»
Ich: «Du!»
Er jammert los: «Ja sind die denn verrückt... ich habe mir gedacht, die kommen vorbei. Geben die Geschenke ab. Und adieu!»
Ich: «Sie bleiben. Und wir werden Fisch servieren. Du musst mir Haushaltsgeld geben...»
Er: «SO VERSAUT MAN MIR SCHON FRÜH MEINEN GEBURTSTAG. NICHTS ALS FORDERUNGEN! NICHTS ALS ÄRGER. DA MUSS MAN 75 WERDEN, UM ZU MERKEN, DASS SICH NICHTS ÄNDERT... BRING MIR MEIN PORTEMONNAIE. UND NIMM EINE NOTE HERAUS? EINE FÜNF-EURO-NOTE!»
Meine Lieben: Das Fischessen ist gerettet? es wird Sardellen aus der Büchse geben. Und wenn Sie noch rechtzeitig anrufen: einen Gefrier-Zahnbeutel dazu!

Samstag, 26. Juni 2010