Von einem Fiat 500 und sizilianischen Busfahrern

Wer mit Bus oder Bahn durch Sizilien gondeln will, kann auch eine Reise auf den Mond buchen.
ES PASSIERT NICHTS. EINFACH NICHTS.
Und wenn ich den Buschauffeur, den alle Alberto rufen, frage, ­weshalb seine Büchse nicht fahre, zuckt er die Schultern: «Signore ? wir warten, bis sich die Fahrt lohnt!»
Endlich ist die Blechbüchse etwa zu zwei ­Dritteln mit Passagieren voll. Drei Stunden habe ich auf meinem staubigen Sitz gebraten wie der Döner am Spiess. Jetzt endlich wirft Alberto die Karre an. Das Ungetüm rattert wie eine alte Näh­maschine ? mit furzenden Lauten und drei knalligen Explosionen geht es zitternd auf Fahrt. Keine 30 Meter. Dann gibts einen Schuss. Noch einen. Ich werfe mich in Panik unter den Sitz. Endlich meldet sich der Führer von der vordersten Front. Er klopft an sein Mikrofon ? und o Wunder: das funktioniert. PALAVERN HAT IN ITALIEN NOCH IMMER GEKLAPPT.
Alberto streckt die Hände von sich. Und sagt «EBBè!»
«Ebbè» ist dieser Allerweltsausdruck, mit dem die ­Italiener sowohl Bedauern wie auch Schadenfreude ausdrücken.
Alberto also: «Ebbè ? das wars, liebe Freunde. 37 Jahre halte ich in diesem verantwortungsvollen Beruf das Steuer in der Hand. Und 37 Jahre plädiere ich für einen neuen Bus. Aber natürlich hat Sizilien kein Geld ? UND ALLES WEIL DIESE POLITBLUTSAUGER IN ROM DEN EUROFLUSS IN IHRE EIGENEN TASCHEN UMLEITEN? JA VERDAMMICH ? DIE MUTTER GOTTES MÖGE MIR VERZEIHEN! ? SIND WIR DENN IN AFRIKA?»
«Nein», melde ich mich mutig hinter der Sitzlehne ­hervor, «in Afrika kassieren die Politiker auch. Aber ihre Autobusse funktionieren.»
UND DANN WAR DIE KACKE AM DAMPFEN!
Wenn sizilianische Pfarrer, «Tabacchi»-Händler und Postboten nämlich noch so laut gegen das Unver­mögen ihres Landes lostoben ? EIN FREMDER HAT DIESBEZÜGLICH REDEVERBOT.
Entsprechend wurde ich vom Führer des Blechs recht unsanft aus dem Bus bugsiert. Und stand noch immer in ­diesem Ort, den sie Agrigento nennen. Und der zu den kulturellen Brüllern griechischer ­Tempelfans gehört.
O.k. Es war natürlich eine Schnapsidee, die Spuren von Camilleri und seinem Kommissar Montalbano mit dem ÖV aufzusuchen. Also rufe ich Innocent an: «Du solltest meine Kreditkarte aufpolieren. Ich brauche ein Auto. Und ich habe die Bank gesprengt?»
«BITTE WAS?»
«Meine Limite ist überzogen.»
SCHWEIGEN AM ANDEREN ENDE DES HÖRERS.
Dann: «Weshalb musst du auch diesem Montalbano nachstiefeln ? DAS IST DOCH VOLL KRANK!»
Ich sollte erklären, dass Innocent als Bücherwurm beim Sudoku-Kalender stehen geblieben ist. Das Höchste der Lesegefühle sind für ihn «KATER SCHNURRIBURR». Oder «DIE WIRTIN IM SPESSART».
«Mein Lieber ? Camilleri ist ein Weltschriftsteller. Und ich sollte etwas über ihn und seinen legendären Commissario Montalbano schreiben? die Zeitung hat?»
«DANN SOLL DOCH DIE ZEITUNG DIE KARTE DECKEN.» Ich verschweige, dass ich den Vorschuss bereits in ein wunderbares Leinenhemd (Aubergine) sowie in ein Dior-Kunstleder-Reisenecessaire investiert habe. SCHLIESSLICH WILL MAN JA IN SIZILIEN ETWAS DARSTELLEN.
Also werfe ich den weinerlichen Bittgang ein: «Wo doch bald Muttertag ist und?»
«O.k.! Das Auto organisiere aber ich. In Palermo ist nämlich ein Kunde von mir in der Branche!»
15 Minuten später ruft er zurück: «Du kannst die Kiste abholen. Sie warten bei ihrer Filiale am Autobahnhof auf dich.»
IST ER NICHT DER ALLERBESTE!
Signore Rana war dann wirklich so süss wie eine Paterno-Mandarine ab Baum: «Der caro Dottore hat schon angerufen? Leider können wir nur noch Paperino anbieten.»
Paperino entpuppte sich als Fiat 500. Der Kofferraum hatte kaum Platz für mein Reisenecessaire ? ABER DIE KLEINE BÜCHSE FUHR «A». WILL SAGEN: AUTOMATISCH GETRIEBEN.
Schliesslich muss ich allerlei unterschreiben? hier eine Zusatzversicherung. Dort eine Notfall­versicherung. Und wieder das Mandarinen-Lächeln. «Der Dottore hat gesagt, ihr Fahrstil sei etwas eigen. Im Übrigen empfehle ich ihnen einen Navigator. Es ist nicht einfach, in Sizilien zum Ziel zu kommen.»
So tuckerte ich los. Im Heck das Necessaire. An der Scheibe die Navigation. Und aus der Navigation eine Frauenstimme, die mir den Weg erklärte. Allerdings auf Holländisch, da keine andere Dame im Apparat zur Verfügung stand. Das tönte dann etwa so: «An de Rotonde rechtalt raige?»
Nachdem mich die Holländerin durch das Tal der Tempel gejagt hatte, war ich plötzlich auf der Autobahn nach Palermo. UND DA WOLLTE ICH NICHT HIN.
Ich stellte den Notblinker an. Und wartete auf ein Wunder. Es kam in Form des reparierten Bus von Alberto: «AHA ? PARKIERT MAN IN AFRIKA AUF DEM PANNENSTREIFEN?!», giftelte das Ekel.
«Ich will nach Punta Secca, wo Commissario Montalbano sein Strandhaus hat», heulte ich.
Da strahlte Alberto wie die Sonne: «Ja, kennen Sie Montalbano? Sind Sie auch ein Camilleri-Fan? ? Fahren Sie mir einfach nach.»
Wir kurvten zwei Stunden über Stock und Stein. Dann stand ich zusammen mit 1000 Touristen vor diesem Haus, das in jedem Montalbano-Film zu sehen ist.
Die Buspassagiere murrten. «WAS SOLL DAS, ALBERTO? ? WIR WOLLEN NACH PALERMO!»
Alberto schaute sie strafend an: «Wir Sizilianer sind nett zu unsern Touristen. Und der Herr kommt eigens aus Afrika, um Montalbano zu sehen.»
Dann zeigte er auf eine kleine Bar, die in Grossbuchstaben «ARRANCINI DI MONTALBANO» anbot. Alberto offerierte mir so einen frittierten Reisturm. Er schmeckte entsetzlich nach Büchsenkost und ­verbranntem Öl. Die «Spezialität» hatte mit dem ­feinen Gaumen von Montalbano weiss Gott nichts tun.
Montalbano isst übrigens eh immer nur gebratene Barben.

Dienstag, 28. Mai 2013