Von einem Elefanten am Fuss und Sturmwind

Der Wind blies plötzlich auf. Knallte die Türe zu.
Und ich stand draussen.
NACKT.
Vor mir beugten sich die Palmenblätter im Sturm.
Neben mir lächelte die steinerne Madonna eines unbedeutenden Künstlers aus dem Ottocento.
Unter mir staunten drei fleissige Ameisen und hielten für einen kurzen Moment in ihrem unermüdlichen Anschleppen von Leichen- und andern Ameisenteilchen inne.
Es sind diese Momente, die der Horror schrieb.
GUT. WIR WOLLEN BEI DER NACKTEN TATSACHE BLEIBEN. UND DIE WAR NICHT NACKT.
So weit war der Einstieg dieses Geschehens etwas zu effekthascherisch geschrieben.
Nein. Ich kam aus der Douche. Deshalb hatte ich den rosafarbenen Bademantel über allem. Die etwas platten Füsse steckten in zwei Hauspantoffeln, die Antonella mal in einer Anwandlung von Fröhlichkeit an einer Gebutstagsfete als Geschenk mitgebracht hat. Es sind plüschige Elefantenköpfchen, grausam grau und mit zwei Rüsselchen, die nach oben hin abziehen. Und die Sohle ist so dünn wie der Humor von Antonella.
KURZ. ICH WAR WOHL ANGEZOGEN, ABER VERMUTLICH WÄRE NACKT WENIGER GRAUSAM GEWESEN.
Das mit der Türe verhält sich folgendermassen: Meine Römer Wohnung hat ein Holztor, das man einfach zuziehen kann. PENG! FERTIG. DA KOMMT KEINER MEHR REIN. Besonders nicht, wenn er den Schlüssel drinnen vergessen hat.
UND MEINER HING AN DEN HAKEN MIT DEN ABTROCKNUNGSTÜCHERN.
Natürlich passiert dies bei diesen Schnappschlosstüren immer wieder. Deshalb habe ich schlauerweise überall Reserveschlüssel deponiert: bei Franco, unserm schaffigen Portiere mit den Dauerpausen.
Bei Max, dem Buskontrolleur.
In der Bar La bella Pigna an der Ecke.
Und im linken, grossen Marmortopf neben der Eingangstüre.
Der Marmortopf stand mir nun am nächsten.
Er soll? so hat mir der neapolitanische Händler auf die Gesundheit seiner lieben Frau geschworen? noch aus Römer Zeit sein.
(Erst später habe ich erfahren, dass der alte Gauner Witwer war.)
Kurz und gut: ICH GRUB EIGENHÄNDIG DEN HORTENSIENBUSCH AUS, DEN ICH EBENSO EIGENHÄNDIG ZUR VERSCHÖNERUNG DES ETWAS ÖDEN HINTERHOFS EINGEPFLANZT HATTE. Nach fünf Minuten sah ich aus wie frisch aus dem Kamin abgestürzt.
Weiss der Teufel, was die Leute immer mit dem Spruch: «In Grund und Erde steckt das Wohl» haben. Bei mir steckte gar nichts. IRGENDJEMAND HAT DA NÄMLICH MEINEN SCHLÜSSEL GEKLAUT.
Nach den Ausgrabungsarbeiten waren auch die plüschigen Elefäntchen etwas arg vom Dreck verdeckt (von meinem rosigen Morgenrock mit der maschinell eingestickten Aufschrift «WAS FÜR EIN TAG!» ganz zu schweigen).
Um die Pantoffelrüsselchen rankte sich ein Wurm und schaute vorwurfsvoll in diese grausame Welt, in die man ihn ohne jeglichen Grund aus der Tiefe des Hortensienstocks brutal ausgesetzt hat...
Ich schnalle also den «WAS FÜR EIN TAG!»-Flauschmantel enger und jage vor die Wohnungstüre von Franco. ABER NATÜRLICH HOCKT DER IN DER KIRCHE. Er benutzt den Sonntagmorgen immer für seine Beichte. Und da ich seine Exzesse während der Woche? WEISSGOTT!? kenne, weiss ich, dass die Beichte bis drei Uhr mittags dauern wird. SO LANGE HALTE ICH ES ABER IN DIESEM HINTERHOF NICHT AUS, WO DER STURMWIND NUN EIN DONNERNDES GEWITTER SCHICKT UND DIE FADENSCHEINIGEN SOHLEN SICH VON DEN BEIDEN ELEFANTEN EBENSO SCHNELL ABLÖSEN WIE DIE HAUT VOM ALTEN FISCH...
Die «bella Pigna» ist sonntags geschlossen. Und nicht nur mein Schlüssel, auch mein Telefönchen ist hinter der zugeschlagenen Türe. SOMIT KANN ICH AUCH KONTROLLEUR MAX NICHT ERREICHEN.
Dann die Erleuchtung: Im kleinen Supermercato, gleich drei Häuser neben mir, hockt Lida an der Kasse. Lida führt dort mit der linken Hand die Ware der Käufer über ein Rotlicht, welches dann auf geheimnisvollem Weg den Preis auf einem Bildschirm aufleuchten lässt. So braucht Lida ihren Kunden nicht mal anzuschauen? sie kassiert. Und dies tut sie auch mit der Linken. DENN MIT DER RECHTEN HÄLT SIE IHR TELEFONINO ANS OHR. SIE HAT DORT ACHT LANGE MONTIARBEITSSTUNDEN IHRE FREUNDIN AM OHR.
So kommt es auch, dass hier das ganze Quartier über den gehörnten Ehemann Bescheid weiss? über dessen Unfähigkeit, drei Mal am Tag einen hochzukriegen, und seinen Hang zu Damenstrümpfen.
Als ich vor Lida stand, war nur noch ein halber Elefant am linken Fuss und der Morgenrock sah aus, wie eben aus dem Tiber gezogen.
Lida schaute mich an. UND ZUM ERSTEN MAL? DAS BESTÄTIGTEN MIR ANDERE KUNDEN, DIE DORT IHRE HÜHNERSCHENKEL EINKAUFEN? WAR DIE KASSIERERIN SPRACHLOS. SIE KEUCHTE «Santa Madonna? a piu tardi!» IN DEN HÖRER. UND LEGTE IHR TELEFONINO AUFS EINKAUFSBAND.
Max liess dann sofort (aber natürlich gegen die Vorschriften) den Bus 113 ohne Stop zur Via del Gesu fahren, was ihm den Applaus der Touristen sowie eine Disziplinarbusse einbrachte. Von Weitem schon schrie er: «ICH WUSSTE ES? was bist du doch für ein Trottel!» (Auf Italienisch: «Che scemo, che sei!»)
Da ich immer sehr auf Symmetrie achte, habe ich nämlich zwei römische Marmortöpfe vor der Türe stehen. Und der Schlüssel war im rechten begraben. Nicht im linken.
Der Restelefant war übrigens auf dem Weg zurück in den Hinterhof verloren gegangen.

Samstag, 19. Mai 2012