Von einem Besuch in Bayreuth und Vetternmord

Adrian und Markus haben mich eingeladen.
JAWOHL, SOLCHE FREUNDE GIBTS!
Also? die beiden tingeln von einem Opernfestival zum andern. Ich meine: KEIN HOHES C OHNE SIE! Oder sagen wirs mal so: Sie sammeln den Schweiss der Tenöre wie andere Leute Jahrgangweine. Ihr wisst, was ich meine.
Und nun: «WIR KÖNNEN NICHT NACH BAYREUTH. Terminkollision. Wir haben in Salzburg schon die Netrebko als Giulietta gebucht. Kannst du einspringen?»
Einen Moment bin ich verunsichert. EINSPRINGEN ALS WAS? NETREBKOS ROMEO?
Oder als hohes C in der Villa Wahnfried?
«Katharina wird dich empfangen», trällern die beiden heiter weiter. «Du wirst den Hügel nicht wiedererkennen. Kathi hat mit ihrer Halbschwester Evchen alles umgekrempelt. Man darf jetzt sogar die Hakenkreuzgeschichte von Winnifried erwähnen und...»
WIE SOLL ICH DEN HÜGEL NICHT WIEDERERKENNEN, WENN ICH NOCH GAR NIE DA WAR? Ehrlich gesagt: Bis anhin habe ich um Wagner stets einen Bogen gemacht. Gut. Eine Ausnahme: Der Fliegende Holländer. Aber auch nur, weil die Senta am Schluss in die Wellen hüpft. Da ist doch was los? ihr wisst, was ich meine.
(Einmal? es war in Bregenz? hat unsere Freundin Rebecca Blankenship diese Senta gesungen. Der Regisseur wollte, dass sie von 30 Metern Höhe in den See stürzt. ABER DAS IST KEIN SCHÖNER TOD. Rebecca weigerte sich. Und man suchte einen Stuntman. Solchen liess man ihrerstatt springen.
Wir waren an den Hauptproben. Sie verschlissen da vier Stuntmen: sechs Mal gebrochene Arme, vier Mal gebrochene Beine, drei eingeschlagene Nasen. Ich meine: SO IST WAGNER LUSTIG!)
Ansonsten?? Dicke Frauen, laute Töne. Nun ja? ist natürlich auch Klischee. Es gibt Ortrüden und Elsas, die sind nicht mehr als schmetternde Pappschnüre. Aber mit Wespentaille hat noch keine(r) ohne Mikrofon 20 Posaunen übertönt. DAS MÜSST IHR EUCH MAL ÜBERLEGEN. Und deshalb haben die besten Wagner-Sängerinnen auch ordentlich was drauf. Wie Schwarzwäldertorten. Oder Clubsandwichs. Das Dumme ist nur, dass man beim Gesungenen nie so recht mitkriegt, wer jetzt wen hasst. Und wer als Nächster ins Messer laufen soll. Oder auch, weshalb Lohengrin eigentlich Schwäne reiten muss.
Wenn Kundri beispielshalber singt, sie sei müüüüüde. Und gehe schlaaaaafen? macht sie im wahrsten Sinne eine Oper daraus. Jeder andere Komponist würde das arme Mädchen mit vier Tönen in die Heia schicken. NICHT SO WAGNER. Da wird nicht gepennt, bevor nicht jeder Selbstlaut sich selbst laut ausgesungen hat. Die Bettflasche ist jedenfalls steinbeingefroren, bis die arme Kundri endlich in die Federn kommt.
ABER DAS IST NICHT DAS THEMA. Das Thema sind Adrian und Markus, die zum Hügel rufen. Und ich fahre hin. Ganz einfach, damit ich in meinem Freundeskreis mal so lässig zwischen zwei Essgängen Bayreuth ins Essen mischen kann: «Ach übrigens... ich fahre da nach Bayreuth... Parsifal... Katharina will unbedingt, dass ich komme. Wusstet ihr, dass sie auch die Ururenkelin von Franz Liszt ist? Ich meine mit den Wagner-Genen hat sie doch so schon mehr als genug zu tun...»
Ich kann euch versichern: Vor Neid und Frust beissen sich die Freunde neben den Finger- auch noch die Zehennägel ab!
Wie immer bei Wagner hatte die Sache aber auch eine dramatische Seite in Moll: INNOCENT KONNTE NICHT MITKOMMEN. Diese Pfeife musste unbedingt, «aber wirklich unbedingt» an die Festspiele von Bregenz, weil dort Geschäfte und so? HABT IHRS GESCHNALLT?
Und da kam ich auf die verrückte Idee, meinen fitten Vetter Tom anzufragen. Natürlich hielt er Wagner für eine Trainingshose und verwechselte Bayreuth mit einem Marathonlauf. Als ich Tom aber mitteilen konnte, dass das gebuchte Hotel einen Fitnessbereich zu bieten hat, griff er mürrisch zu seiner einzigen Krawatte, die einen steilen Finger mit der Inschrift «FUCK YOU» zeigt. DA MUSSTEN ABER SCHLEUNIGST NOCH EINIGE TAKTE UMGESCHRIEBEN WERDEN!
Nun, immerhin konnte ich ihn daran hindern, seinen grässlichen Nylonrucksack über dem Leihfrack zu tragen. Und so tauchte er also mit diesem abgefuckten kunstledernen Bauchbeutel über der Smokinghose auf, den er immer und überall trägt und mit dem er stets aussieht, als sei ihm der Blinddarm geplatzt.
«DU WIRST DICH BENEHMEN UND WIE EIN ANSTÄNDIGER BAYREUTH-BESUCHER HERUMLAUFEN!»? gebe ich die Tonart durch.
Er aber zeigt höhnisch auf den Leihanzug: «Die Hosentaschen sind Attrappen. Und wo? bitte sehr!? soll ich meinen Kaugummi und das Kontaktlinsendöschen aufbewahren?»
WER SOLCHE VETTERN HAT, WEISS, WARUM DIESELBEN IN DER OPER ERMORDET WERDEN!

(2. Akt? nächste Woche)

Samstag, 28. August 2010