Von der Wildsau auf dem Kühler und Fernsehen

Ich bin kein Fernseher. O.k. Das sagen alle. Der gute Ton in diesem Jahrhundert heisst:
«NATÜRLICH SIND WIR KEINE FERNSEHER? WIR SIND JA NICHT BLÖD.»
Aber auf der Insel, da tickt eben alles anders. Irgendwie ausserplanetarisch. WIR LAGERN DIE BEINE HOCH. ZIEHEN DIE ALTEN ANISBROTE REIN. UND FREUEN UNS ÜBER GLANZ UND GLORIA. ES IST DER EINZIGE GLANZ WEIT UND BREIT. UND AUCH DAS EINZIGE GLORIA!
Abwechslungen sind hier selten. Schon das Spriessen eines ersten krummen Fenchels im Garten ist eine Sensation. Nur die diesjährigen Orangen sind keine? SIE SCHMECKEN WIE IN ESSIG GETAUCHTE WOLLE. Und sie sind schrumpelig wie Omis Beine, die sie stets in fleischfarbene Binden verpackte. Schon früh hat sie uns mit ihren Runzelhaxen darauf aufmerksam gemacht, dass alles Schöne dieser Welt vergänglich ist. AUCH DER GLANZ VON GLORIA.
Natürlich sorgen neben den Toten im TATORT und einem Eierkuchen in AL DENTE auch die Wildschweine für wohliges Grauen. Sie führen jetzt ihre Kleinen spazieren. Und man sollte ihnen nicht in die Quere kommen. Wildschweinmütter mögen es nicht, wenn man ihre Kinder anmacht. Oder sie gar mit Anisbroten füttern will.
WILDSCHWEINMÜTTER MÖGEN ÜBERHAUPT KEINE MENSCHEN. Sie fahren nur auf fette Maden unter den Wurzeln ab. Dass die fettesten Maden ausgerechnet auf unserem Untergrund und Rasenboden leben müssen, sei nur nebenbei erwähnt. Und wenn die Säue uns mit ihrem Madengraben auch madig machen, weil danach der Garten stets aussieht, als hätte ein Selbstmordattentäter die Bombe gezündet, so sind die Schweine mit diesen kleinen, zugekniffenen Politikeräuglein und dem happigen Gegrunze, das uns stets an eine TV-ARENA-DISKUSSION erinnert, eben doch eine nette Abwechslung in der Langeweile. Vorgestern war dann wirklich die Sau los. Innocent kurvte mit unserm Wägelchen durch die Serpentinen. Es war bereits Nacht. Und das einzig Helle an Ort war dieses rote Lämpchen am Armaturenbrett, das Unheil verkündete.
DAS UNHEIL KAM DANN AUCH IN FORM EINER WILDSAUFAMILIE. Zuerst wuppelten die Jungen über den Schotter. Innocent bremste abrupt. Kam leicht ins Schleudern. Und die Scheinwerfer leuchteten plötzlich in das Gesicht der Muttersau, die gar nicht mehr kleinäugig lieb blinzelte... SIE SAH IM LICHTKEGEL DES SCHEINWERFERS AUS WIE DIESE ETWAS VERBISSENE FERNSEHANSAGERIN MIT DEM SCHAUDERHAFTEN DIALEKTHOCHDEUTSCH.
«Schalt die Scheinwerfer aus!», schrie ich. Innocent fingerte am Ohr herum: «WAS ISS?»
«LICHT AUS!»? aber da sprang die Sau auch schon auf den Kühler. Der Wagen bebte? die Heckscheibe zeigte hunderttausend Splitter und sah aus wie ein Glaspuzzle, das eine geduldige Hand zusammengesetzt hatte.
Innocent aber drehte sich seelenruhig zu mir. «Sooo? jetzt habe ich die Ohren an. ALSO: WAS HAST DU WIEDER IM DORF VERGESSEN?!»
Ich meine: DAS sind die TATORT-MOMENTE DER ANDERN ART.
Es ist also nicht so, dass hier im Winter nichts los wäre. Die Katzen gebärden sich jetzt so penetrant wie unsere Steuerfahnder. Und wollen ihren Teil abhaben. Wir verfüttern die Saumon-fumé-Resten an sie. Und die kleinen Schleckmäuler geben keine Ruhe, bis auch noch der falsche Kaviar und die letzte Entebrust rausgerückt ist.
Gianni der Gärtner verspricht uns seit Tagen ein Weihnachtsgeschenk. Weihnachten ist aber seit bald drei Wochen vorbei? nun rückt er endlich mit einem Paket an, dessen Kunststoffschleife mindestens schon sechs Weihnachtspäckchen geschnürt hat. Gianni wartet immer bis er alle Geschenke bekommen hat. Die miesesten verteilt er dann umgepackt weiter. DAS HIER IST EINER DIESER NEUMODISCHEN KORKENZIEHER, DEN WIR IHM VOR DREI JAHREN GESCHENKT HABEN. «Danke», sagt Innocent spitz. Und steckt ihm das obligate Neujahrscouvert zu. Der Inhalt des Briefumschlags wird Gianni mindestens so überraschen wie uns sein Korkenzieher: Es ist ein Bon über fünf Euro der hiesigen Supercenterkette. Der Bon gilt für Babyprodukte und ist seit 2008 abgelaufen.
UND NUN DIE KATASTROPHE! Als uns die Freunde aus dem Norden anriefen, dass sie auf vereisten Flughäfen übernachten müssten und jedes Leichenkühlfach gemütlicher sei, als der Winter in Paris, da hat es bei uns geschüttet. Und gewittert. Es donnerte. Und blitzte? PENG! AUS WARS MIT GLANZ UND GLORIA. Die Kleine von Sissi konnte auf diesem langen roten Teppich von Venedig eben noch «MAMMMA!» schreien? dann schneite es auf dem Bildschirm. Und mit erstaunlich schneller Auffassungsgabe brüllte Innocent: «Es hat in die Schüssel eingeschlagen!» Doch eher bekommt man hier ein Wildschwein auf den Kühler als den Fernsehtechniker ins Haus. Dimetrio hat die Zuverlässigkeit eines Politikers nach der Wahl. Seine Versprechungen sind gross («Si, si? Signore. Vengo subito...»)? seine Rechnungen danach noch grösser. Doch wie das in Italien immer ist: MAN HAT GAR KEINE WAHL!
«AUSGERECHNET JETZT? WO?MAMMA MIA? KOMMT!»? gehe ich Innocent mit meinem Gejammer zum hundertsten Mal auf die Eier.
Er trainiert an der Vorhangstange mittels eines Elastikbands seine Schultern. Und keucht: «Lies doch wieder mal ein Buch!» Das einzige Buch, das ich auf Weihnachten bekommen habe hiess «DER KLEINE HEIMWERKER!» Ich habe es umgepackt. Und an meine italienische Perle Anna-Maria weiterverschenkt.

Samstag, 15. Januar 2011