Von der Weigerung, den kochenden Etna zu besteigen

«Morgen bringe ich dich auf den Etna», sagt Umberto.
«Das bringt nichts!», sage ich.
Ich bin nur dort wohl, wo der Boden unter meinen Füssen nicht wackelt. Niemand um mich herum dampft. Und nicht alle zwei Sekunden etwas explodiert.
«Jeder geht mal auf den Etna», beharrt Umberto.
«Er ist ein Weichei», höhnt Lucia, dieses fiese Rabenaas, «der dicke Stinker hat doch Angst, dass der Vulkan ihm die Eier abkocht!»
UND SO EINE ORDINÄRE SCHNEPFE WILL UMBERTO ZUM TRAUALTAR FÜHREN!
Ich bin schon mit meinem Vater ungern auf Adelbodens Berge gegangen ? WESHALB ALSO HIER IM LANDE DES MARZIPANS? Ich bin umgeben von Köstlichem ? soll ich 3200 Meter hochklettern, nur um mir Asche aufs Haupt streuen zu lassen?
DANKE. NON MECUM ? wie der Lateiner sagt. NICHT MIT MIR!
«Aber der Etna ist unser Symbol? unsere Geschichte? heute ist dein letzter Tag? da musst du einfach rauf, wenn du Sizilien richtig kennenlernen willst?», brüllt Umberto. Er ist der südliche Macho-Typ. Wenn etwas nicht nach seiner Schuhgrösse geht, tritt er schon mal durch?
Nonna Adele flüstert mir zu: «Es gibt eine Seilbahn vom Silvestri-Krater aus? und wenn du zurückkommst, gibt es Pasta Norma!»
JA, FALLS ICH ZURÜCKKOMME! Wie viele Menschen hat der Etna schon verschlungen, mit Haut und Haaren aufgefressen ? oder sie in schwarze Steinmassen verwandelt?
ICH WILL KEINE SCHWARZE STEINFLUH WERDEN.
Deshalb: «Lasst uns irgendwo gemütlich eine ­Cassata essen gehen? ich lade alle ein!»
Nun schaut sogar Nonna Adele etwas skeptisch. «Hast du wirklich den Schiss in den Hosen? DU BIST DOCH EIN MANN!»
Diesen Trugschluss hat man mir ein Leben lang vorgepredigt.
Natürlich ist der Etna, der auf Deutsch Ätna heisst, gigantisch. Und ein Naturschauspiel.
Innocent und ich verbrachten einmal Ferien in einem Hotel von Taormina. Das Toilettenfenster ging in Richtung Ätna. Um zwei Uhr morgens weckte mich Innocent tosend von der Schüssel: «Das glaube ich nicht? komm sofort hierher? das m u s s t du gesehen haben!»
In der dunklen Nacht sah man weit in der Ferne, wie ein Lavastrom vom Gipfel des Vulkans glühend rot seinen Weg ins Tal suchte.
«DAS IST KEIN GRUND, MICH MITTEN IN DER NACHT ZU WECKEN!», maulte ich.
«Aber deswegen ist doch das Hotel so teuer?», ereiferte sich Innocent, «welches Scheisshaus bietet dir so ein wunderbares Drama??!»
Die Geschichte sagt, dass Hephaistos auf dem Ätna-Vulkan herumwirtschaftet. Er ist der Gott der Schmiede. Und er ist ? so man den Leuten und den Beautiful-People-Journalisten der griechischen Götterzeit glauben mag ? POTTHÄSSLICH.
Hephaistos ist ausgerechnet mit Aphrodite verheiratet. Ist ja immer so: Die wüstesten Wurzeln haben die schönsten Blumen.
Nun ist aber Aphrodite kein Kind der Traurigkeit. Sie ist vielmehr ein kleines Luder. Und lässt auch anderswo Freude schmieden. Dies wiederum ärgert ihren Alten. Und der kübelt in seiner Eifersucht wild im Vulkankessel des Ätna herum, sodass dieser überläuft. Und seine Lava auf die arme Bevölkerung ausschüttet.
ES IST IMMER DAS VOLK, DAS UNTER DEN LAUNEN SEINER GÖTTER DIE ARSCHKARTE ZIEHT!
Man sieht, es ist nicht einfach so, dass ich gedankenlos die kleine Exkursion auf den glühenden Berg abwinke. ICH HABE MICH INFORMIERT.
1693 hat der Kochherd von Hephaistos noch ganz Catania mit der roten Glut zugedeckt. Gut. In der Folge entstand beim Wiederaufbau eine der schönsten Barockstädte Italiens. ABER ZU WELCHEM PREIS ? BITTE?
Und der Spuk mit dem Spucken ist noch immer nicht ausgestanden. Noch vor 20 Jahren hat diese speiende alte Tante die ersten Häuser von Catania bei einem Ausbruch ­zerstört. Vor zehn Jahren deckte sie die Seilbahnstation mit Lava zu.
UND ZU SO ETWAS WILL MAN MICH RAUFJAGEN?! ? Nein danke. Wenn andere Touristen ihr Glück darin sehen, Spiegeleier auf Lavastein zu braten ? BITTE SEHR. I c h muss das n i c h t haben!
Weshalb gönnt mir die Menschheit nicht einfach eine doppelte Portion Cassata auf dem Domplatz?
O.k. Sie haben dann etwas düpiert nachgegeben. Und ich habe alle ? auch Umbertos unmögliche Bettgeschichte Lucia ? zu Silvio ins Ristorante eingeladen. Die Menükarte gibts dort auch auf Deutsch: Gamberoni alla Griglia werden mit «LANGKREBSE ZUM GITTERROST» und Filetto a piacere mit «ICH SCHNEIDE EIN GEWINDE VON FLEISCH ZU GEFALLEN» übersetzt.
Am Tag darauf heisst es Abschied nehmen ? es ist der 26.Oktober. Über Catania ist es stockdunkel. Der Ätna hat einmal mehr gewütet. Und eine Russwolke ausgespuckt.
Die Flüge sind alle annulliert.
Ich schaue triumphierend in die Runde. «Ja bitte ? was ist, wenn ich jetzt dort oben gewesen wäre!?»
Alle schweigen. Nur das Rabenaas zuckt süffisant die Schultern: «Embeee?»
IN DER LAVA SOLL SIE SCHMOREN!

Dienstag, 26. November 2013