Von der Villa degli Sposi und Baci

Italienische Hochzeiten haben einen Hauch von Oper und Jahrmarktkarussell. Stets muss einer etwas singen. Und immer wieder klingelt ein Glöckchen.
Die mittelalterliche Kirche ist angenehm kühl, während draussen der Asphalt kocht und die Tauben gebraten von den Elektromasten fallen. Während der Pfarrer allerlei zu erzählen hat, äugt Innocent in der Szenerie herum. «Irrer Blumenschmuck? was der wohl gekostet hat?!»
«Psssst!»? macht es von hinten.
«Pssst», sage auch ich. Dann flüstere ich in Richtung Hörapparat: «1450 Euro!»
«WAAAAS?!»? schallert das Echo durch die Kirchenschiffe. Der Jesuitenpfarrer hätte vor Schreck fast die Hostie sausen lassen.
Innocent kann sich nicht mehr einkriegen: «JA, HALLO? wie bezahlen die das mit einem Portier-Lohn...?!»
«Still jetzt...», wispere ich zu Innocent, der von allem nichts merkt. «WIR haben den Blumenschmuck bezahlt. Es ist unser Hochzeitsgeschenk...»
«WAAAAAAAS?!» Diesmal fällt die Hostie.
Endlich sang eine gar nicht liebliche Frauenstimme das Ave Maria. Es war das von Gounod. Und somit das knifflige. Alles schaute herum und wollte wissen, wo die schrägen Töne herkommen. Aber sie hielten sich hinter der Orgel versteckt. Und wussten warum!
DANN REISWERFEN. DER KÜSTER HÄNGT WIEDER AM GLOCKENSEIL. Und Innocent tobt: «Sag, dass das mit den Blumen nicht wahr ist...»
In diesem Moment rupfen sie die Dekorationen weg. Verladen sie in einen Riesenlaster. «Wohin fährt ihr damit?», frage ich den Chauffeur. Der gähnt: «... der ganze Zauber muss für die nächste Hochzeit aufgebaut werden! Das hier war bereits die dritte!»
Kurz: ich habe vier römischen Hochzeiten den Kirchenschmuck ausgerichtet!
UND DANN MUSS ICH EUCH DAS VOM ESSEN ERZÄHLEN! Ich meine: Ein italienisches Hochzeitsessen ist wie die selige Zarah Leander: üppig? und hört nie auf!
Die Hinfahrt zur Villa degli Sposi in der Nähe von Nettuno war ein einziges Desaster. Die «Pontina» war verstopft und wir kochten drei Stunden zwischen Blech? ICH BRAUCHE EUCH JA NICHT ZU SCHILDERN, WIE DIE WEISSEN NYLONHEMDEN MIT DEN HIMMELBLAUEN VINYL-KRAWATTEN AUSGESEHEN HABEN! Aber der kalabrischen Verwandtschaft war das eh Wurst. Die wollten ran ans Buffet. Und jeder zuerst.
Das Hochzeitspaar hatte mittlerweile Foto- und Filmtermine. Man jagte die Braut unter malerische Palmenwedel, hinauf auf römische Säulenreste? dies, mathematisch über den Daumen gepeilt, ergab ein Riesenstress für 120 Kilo mal 30 Meter Tüll und 42 Grad im Schatten. ICH MÖCHTE DIE BILDER NIE SEHEN MÜSSEN!
Die Gäste beigen derweilen in der Villa degli Sposi am Apérobuffet die Teller höher als diesen neu aufgerichteten Turm im Zürcher Arbeitermilieu. Zwölf Kellner waren einzig und alleine damit beschäftigt, einen nachtschwarzen Fliegenangriff von den Fischbrötchen wegzuwedeln.
DANN FANFAREN. Springbrunnen legen los, wie der Liebhaber in der ersten Nacht... Mirka, die russische Entertainerin, die vor sechs Jahren eingewandert und nach einem Abstecher in der Table-Dance-Szene schliesslich im Unterhaltungssektor gelandet ist, angelt sich das Mikrofon. Eine Kapelle spielt den Hochzeitsmarsch? und dann zuckelt das Brautpaar auf einer venezianischen Gondel, die von vier Köchen auf kleinen Rollen durch den Villenhof gezogen wird, vor. Die Köche sind dem Kollaps nahe.
«BACI... BACI...», gibt Mirka nun hysterisch den Mund-zu-Mund-Befehl ab. MERKE? ES IST EIN IRRTUM ZU GLAUBEN, BEI DIESEM RUF DÜRFTEN ALLE EINANDER KÜSSEN! Dieses Privileg hat nur das Brautpaar, und schon fällt über dem Bräutigam der Schleier. MAN KANN SICH DEN HITZESTAU DARUNTER VORSTELLEN.
Innocent, dieser lustige Hallodri, hatte den BACI-Ruf natürlich wieder total falsch interpretiert. Er spitzte das Mündchen nach allen Seiten und liess sich von den heissen Kalabrierinnen knuddeln, während die Männer ziemlich gereizt dreinschauten.
Man kann nun vieles über das Essen sagen, aber ganz bestimmt, dass es sehr, sehr lange gedauert hat. Der Erfolg einer Hochzeit hängt heute nicht mehr von der Dauer einer Ehe, sondern von der Länge des Festessens ab. Die einzelnen Gänge wurden durch Mirka und ihre Band untermalt. Manchmal erschien Mirka als ewig lachender Clown, der zur Polonaise animierte, dann wieder als offenherzige Venus im Chansonbereich und schliesslich als grimmiger Zwerg, der dem Bräutigam Ratschläge für die Hochzeitsnacht deklamierte.
Ein reicher Verwandter hat daraufhin noch einen Teil seines Vermögens als Feuerwerk in die Luft gehen lassen, und wenn die Hochzeitstorte auch nur eine Attrappe war, so sieht man das auf den Fotos ja nicht. Aber Innocent hat natürlich daran herumbohren müssen und laut in die Runde gebrüllt: «è Plastica... è Plastica!»
Erst am frühen Morgen hat sich das Brautpaar zur Hochzeitsnacht begeben. «Ho... ho... ho!», grinste der reiche Onkel vieldeutig und zeigte dem Bräutigam das V-Zeichen.
Dann war es auch Zeit für uns. Innocents Hosentaschen sahen aus wie Wäscheklammernsäcke.
«Da sind die restlichen kubanischen Zigarren vom Raucher-Buffet drin...», strahlte er mich an. «Alle für dich!»
Da knuddelte ich ihn, ohne dass jemand BACI gerufen hätte...

Samstag, 31. Juli 2010