Von der Villa an der Autostrasse und falschem Sparen

Ich wusste gleich. DAS GEHT SCHIEF! Ich sagte nichts. Doch meine Körpersprache gab Alarmzeichen! «Villa Romeo? tönt doch gut», strahlte Innocent. Und klopfte mit seinen Gichtfingern auf den roten Führer mit den Hotels und Beizen drin.
ICH BIN JA EH NICHT DER TYP, DER AUF EINEN FÜHRER FLIEGT! DIE GESCHICHTE HAT MICH DA EINE PORTION GESUNDE SKEPSIS GELEHRT.
Zurzeit sind diese Fressnavigatoren gross in Mode. Man kann in kein Restaurant mehr, das nicht irgendwo in einem Büchlein wie «SCHAU REIN UND GEH AUS!» hoch gejodelt wird. Sie verteilen Sternlein und Kochmützen, Tomaten und Punkte. ABER ICH FRAGE EUCH: WER HAT JE DIESE VERLEGER GETESTET UND DIE PRÜFER GEPRÜFT? Das ist doch so, als müsste Schwingerkönig Abderhalden die Kür im Eistanzen bewerten. Ich meine: Wenn einer weiss, dass das panierte Schnitzel aus Wien kommt, macht es ihn noch lange nicht zum Kalb. Und nun also Innocent, der mich auf eine Villa Romeo aus diesem Führer heiss machen will! «Weshalb können wir nicht einfach über Bologna? wie immer?» Innocent schaut mit diesem Blick wie das Herrchen auf den Dackel, wenn dieser nicht «Männchen» machen will: «WIR SIND LETZTES MAL DREI STUNDEN AM APENNIN GESTANDEN.»
Ach Gottchen? Autofahrer stehen heute doch immer. Eigentlich sollten sie Autosteher heissen. Oder Autostauer. Kommt dazu, dass der Apennin im Winter immer heikel ist und die Italiener in den Januarwochen so wild rumschleudern wie dieser grässliche Geiz-ist-Geil-Typ mit seinen Preisen.
«ALSO DAS MUSS ICH NICHT MEHR HABEN! UND DESHALB FAHREN WIR ÜBER GENUA NACH ALESSANDRIA. AM MEER SIND DIE STRASSEN SAUBER. UND...»
Natürlich stecken wir bereits 30 Minuten nach Genua auf der Autobahn fest. Lastwagen versperren querbeet die Zweispurstrasse. Im Schnee liegen 20 Tonnen Kohl, der mit europäischen Fördergeldern in Sizilien angepflanzt worden und nun auf der Reise in eine Sauerkrautfabrik bei Colmar ist. War. Der «Krautfahrer» hatte nur einen Sekundennickerchen-Moment. Die Karre kam ins Rutschen. Und dann? PENG! ENDSTATION.
Da standen wir und hörten über das Autoradio, dass die Strassen über den Apennin schneefrei und problemlos seien. DA HÄTTET IHR ABER JEMANDEN AM STEUER HÖREN SOLLEN!!
Innocent stellte die Hörapparate auf Zero.
Es war bereits schwarze Nacht, als wir in Alessandria einfuhren und nach der Villa Romeo äugten. Der Herr im Navigator hatte leider Pause. O.K. WAR MEINE SCHULD. ICH HATTE VERGESSEN, DEN DAUERPLAUDERER VOR DER ABREISE AUFZULADEN. Das Resultat: eine wohlige Stille während der ganzen Fahrt. Aber jetzt fehlte uns Hansi, wie wir den Herrn im Kistchen nennen, doch sehr, denn kein Mensch weit und breit konnte ihn ersetzen und uns erklären, wie wir zur Villa Romeo kommen würden. «Gib diesen verdammten Führer her», knurrte ich Innocent an. Dann sah ich den Eintrag. Er war mit zwei Geldmünzen illustriert. Und das Signet-Einmaleins machte klar, dass dieses Zeichen «besonders preiswert» bedeutet.
ICH BELLTE: «WESHALB HAST DU NICHT EINFACH DAS BESTE HOTEL AM ORT AUSGESUCHT? HIER. DAS PALACE. DAS LIEGT DIREKT BEIM BAHNHOF UND WIR WÄREN IN FÜNF MINUTEN DORT!»
Innocent schwieg beleidigt. Dann: «Wie mans macht, ists nicht recht. Ich werde dieses Hotel jetzt mal anrufen!» Eine Stunde später wussten wir, weshalb unsere Bleibe so preiswert war? sie lag 20 Kilometer ausserhalb von Alessandria, direkt an dieser Superstrada, auf der die 20-Tönner in Richtung Mailand ohne Unterlass vorbeidonnern.
Der Villenbesitzer persönlich, ein heruntergekommener General aus dem einstigen anderen Deutschland, führte uns ins Zimmer. Jede Leichenhalle hat mehr Charme als dieses Loch mit dem wackligen Ohrensessel, auf dem etwa 50 Katzen ihre Haare zurückgelassen haben. Über dem durchgerittenen Hotelbett war ER am Kreuz angenagelt. UND GOTT VERGEBE DIESEN BARBAREN, DIE MIT IHM DIESES LOCH AUFFRISCHEN WOLLTEN. DAS KREUZ SCHLUG HIN UND HER WIE DER BÄMBEL EINER SCHWARZWÄLDER KUCKUCKSUHR. Ich konnte das nicht mit ansehen. Und habe IHN in Mittellage zurechtgerückt. Doch kaum war alles im Lot, bretterte wieder eine Flotte von Camions vorbei. DAS KREUZ RUTSCHTE NACH LINKS UND RECHTS WIE ITALIENISCHE POLITIKER VOR UND NACH DEM BÖRSENGANG ZUR BRIEFTASCHE BERLUSCONIS. DA HABE ICH DEN GEKREUZIGTEN EBEN ABGEHÄNGT. Und auf Innocents Stützstrümpfe im Koffer gelegt.
Ich muss sagen: Das Frühstück war O.K., bis auf die Dreiminuten-Eier, die schon alle zu fest durchgerüttelt mit einem Sprung in die Schüssel kamen. Aber es gab Orangensaft direkt aus dem Tetrapak und eine Portion von diesem Holländer Schweizerkäse, dessen Scheiben so flach sind wie die Twiggy mit einem Geschmack irgendwo zwischen einem Schluck lauem Wasser und Terpentinöl.
IMMERHIN? 50 EURO INKLUSIVE! DER FÜHRER HAT EINEN GUTEN JOB GEMACHT.
In Basel angekommen, blinkte der Telefonbeantworter so aufgeregt wie die Scheinwerfer beim Millionenspiel. Das Erste, was wir hörten, war dieser General aus der Villa Romeo, der aus dem Hörer brüllte: «SCHICKEN SIE UNS SOFORT DEN GEKREUZIGTEN ZURÜCK. WIR WERDEN IHN SONST MIT 500 EURO AUF IHRER VISAKARTE BERECHNEN!» ER lag noch immer in Innocents Koffer. Uns schien, sein Antlitz schaue betrübter denn je, als wir ihn einwickelten. Und per A-Post an diese Strasse mit den hunderttausend Camions und dem dünnen Scheibenkäse zurückschickten.

Samstag, 29. Januar 2011