Von der toten Saison in Cannes und Pizza mit Sardellen

Cannes ist düster. Die Stimmung hängt durch. Die Kellner haben die Nase gestrichen voll vom triefendsüssen «bonjour... bonjour»-Gesäusel des Sommers. Und auch die Russen-Mafia, die da mit dicken Zigarren und noch dickeren 500-Euro-Bündeln nach rosa Champagner brüllt, lockt keine Sau mehr hinter dem Ofen hervor.
Wie gesagt: CANNES UND SEIN SERVICE SIND JETZT SO ERLOSCHEN WIE DIE HERDPLATTEN DIESES KÜCHENCHEFS, DER KOKAIN REINZOG.
Entsprechend wedelt auch kein Portier mehr herbei, um Onkel Nudelstadt aus dem Auto rauszuhieven. Und die Hand für einen Willkommensschein hinzustrecken. «Hup denen mal eins!», sagt der Onkel. Ich streike. Vor dem Grand Hotel hupt man nicht. Ich säusle mit gewinnendem Lächeln bei der Portierloge: «Est-ce qu il?y a un service?»
IL N'Y AVAIT PAS!
Da war nur die Putzfrau, welche knurrend die Storen runterliess. Und so etwas wie «merde!» grummelte. Ich bin zu Putzfrauen immer besonders nett. Es ist nicht sonderlich schön, für die Menschen den Dreck dieser Welt unter den Teppich zu kehren. Das machen höchstens noch Anwälte, Bankiers und jetzt diese Perle, die sich Nounou nennt. Sie ist mit einem Etikett angeschrieben. Deshalb: «Bonjour Nounou.»
«GRRRRRR!»
«Gibt es vielleicht jemanden, der meinen Onkel aus dem Auto schälen und die Hutschachteln meiner lieben Tante auf ihr Zimmer rollen könnte?!»
«Merde! GRRRRRR!»
«Ja, wo sind denn alle?»
Nounou steckt sich eine Zigarette an. Und beäugt mich wie ein Occasions-Citroen auf dem Altwarenmarkt: «C'est l'automne, merde!»
«Wir sind aber angemeldet», schicke ich meine lächelndste Sonne in die Düsterwolken.
«GRRRR!»
Ich jage zu meinem Onkel zurück, der mittlerweile die Hupe gefunden hat. Und die Scheiben der Häuser an der Croisette erzittern lässt. Zwecklos.
Nicht umsonst nennt man Onkel Nudelstadt «die eiserne Canaille». Wie ein Reh hüpft er plötzlich aus dem Auto. Baut sich vor Madame Nounou auf. Und hat den Kasernenton drauf: «NOUNOU? WIR BEIDE MACHEN JETZT EIN ECHT GEILES GESCHÄFT. SIE GEBEN UNS DREI ZIMMER AUF DIE MEERSEITE UND DEN SCHLÜSSEL DIESER BUDE HIER. Dafür bekommen sie zwei Flaschen Duschbad-Seife aus Grasse. Eine Tüte gesalzene Erdnüsschen. Und das da...» Der Onkel winkte mit einem grünen Euro-Schein. «GRRRR!»
Der Onkel gab noch einen Grünen hinzu. «GRRRRR.»
Dann noch einen Gelben. Beim Violetten schnappte sie endlich zu: «Merde? aber isch weiss von nix. Hier ist Schlüssel? bye-bye!»
Nounous Sprache war polyglott. Sie machte sich aus dem eigenen Staub. Und wir uns in die verdunkelten Zimmer. Diese gingen auf den Hinterhof. Und hatten kein Wasser.

Es gibt nichts Trostloseres als einen Strand, an dem die Umkleidehüttchen wie faule Zähne ausgerupft werden. Nur das Meer gibt sich wie Badewannenwasser. Schaumig. Aber still.
Tantchen schaute gerührt auf die Nichtwellen und streckte den Zeigefinger mit dem Sechskaräter aus: «Dort... sieh nur... es hat Quallen!»
Seit Jahren schon sollte sie zum Augenarzt, will aber keine Brille tragen. Und so lasse ich sie im Quallen-Glauben, obwohl es mehrere Dutzend Kondome waren, die da friedlich in die weite Welt hinausschwammen.
«Jetzt gehen wir zu Têtou, Austern essen», versuchte Onkel Nudelstadt den Tag aufzuhellen. Und so fuhren wir also an diesem trostlosen Meer entlang in Richtung Antibes. Der Laden war tatsächlich offen. Aber bei unserer Austernbestellung schickte uns der Kellner auf den Mond: «Je regrette... wir hatten sechs Dutzend im Programm. Aber diese Lady dort hat alle für sich bestellt...» An vorderster Fensterfront sass Nounou vor einem Eiskübel mit Prickelzeug. Die Schalen lagen wie eine stark verwitterte Bucht neben ihr. Bezahlt hat sie mit Nudelstadts Scheinen. «GRRRRRR», machte nun auch der Onkel. Dann fuhren wir zu Pizza-Pierre. Und nahmen drei Mal mit Sardellen.

Es war noch mitten in der Nacht, also kaum zehn Uhr morgens, als Tantchen unaufgefordert in mein Zimmer platzte. Und mich wachrüttelte: «Das glaubst du jetzt nicht: EIN MANN STEHT IN MEINEM ZIMMER!»
Das konnte ich wirklich nicht glauben.
«Was will er?» Die Tante hätte mir am liebsten eine geknallt: «Ja meinst du, ich lege dem noch einen Fragebogen hin.» «Ja, und wie sieht er denn aus!»
«ACH, DU DENKST IMMER NUR AN DAS EINE! Zieh dir eine Hose an und komm!»
Der Eindringling stellte sich dann als Schwarzarbeiter heraus. Er sollte während der Herbstzeit die Hotelzimmer streichen. Der arme Kerl stand noch immer unter starkem Schock. Als er mit seiner Leiter das dunkle Zimmer aufgesucht hatte und sich zuerst mal aufs Bett setzte, um einen Glimmstengel reinzufauchen, da wurde er durch einen Schrei hart vom Rauchen entwöhnt.
Der Onkel dealte mit ihm: drei gelbe Scheinchen und zwei Packungen Marlboro? dafür musste er mit der Streicherei im oberen Stockwerk beginnen. Und überdies die Warmwasseraufbereitung des Hotels in Gang setzen.
So wurde Cannes doch noch recht gemütlich. Wir machten lange Spaziergänge an diesem Strand, an dem sonst zur Festivalzeit der Wahnsinn und die nackten Busen los sind? jetzt: die Stille des verlorenen Planeten. Und unsere einsamen Abdrücke im erkalteten Sand. «Herbst», schneuzte sich Onkel Nudelstadt melancholisch, «der Herbst ist immer ein bisschen das Ende vom Lied!» Er schaute auf das träge kräuselnde Meer. Gab sich einen Ruck. Und sang im frohen Ton der Fischer-Chöre: «ALLES HAT EIN ENDE, NUR DIE WURST HAT ZWEI...!»
Dann marschierten wir zum Pizza-Pierre: dreimal Pizza mit Sardellen...

Samstag, 9. Oktober 2010