Liesel hat mir seit Jahren von Meran vorgeschwärmt: «S hot dort Mannsbülder wia Baumstämme sog y der... un Knödeln hoben die...»
Tönt nicht schlecht. Besonders weil man Liesel in beiden Sparten als Expertin bezeichnen kann.
Aber den Ausschlag gab dann doch: «Und s Sisserl wor au schu dort... s gibt en echten Sissi-Weg zua ihrem Schloss!» SISSI IN MERAN?! Dann nichts wie hin! Wir fuhren hintenrum? vorbei an Zipfeln und Gipfeln, an pfeifenden Bergspatzen und ebensolchen Ortspolizisten. Na ja, es war eine Fahrt wie durch ein Heidi-Buch.
Als am Brenner dann die Kerzen dampften und wir für einen kurzen Augenblick von vier langen Stunden im Stau stauten, machte das gar nichts: DIE BERGSCHÖNE UMGEBUNG ENTSCHÄDIGTE FÜR ALLE EXPLODIERTEN NERVEN. Dazu die wunderbare Gewissheit: Hier irgendwo hat Sissi auch mal mit ihrer Kutsche gestaut... und auf diesen Wipfeln hat sie den Kaiser am Gamsbartel genommen! O WUNDERBARE LEDERHOSENWELT!
Innocent verschnarcht alles. Kaum stehen wir im Stau, schraubt er die Verstärker aus. Bläst das Luftkissen auf. Und pennt. So bin ich mit Sissi und dieser Gartenzwergenlandschaft ganz alleine auf der verstopften Bahn. Es ist italienisches Ferienende. DARAN HAT DIE NAVIGIERENDE ZICKE IM TOMTOM-KÄSTCHEN NICHT GEDACHT, ALS SIE UNS ÜBER DEN BRENNER JAGTE!
Wir kurven dann ab nach Brixen. «Ihr muassts den Finsterwirt bsuchen und saner Knödeln verkosten», hatte uns Liesel aufs Schärfste eingetrichtert.
ERST KÖNNEN VOR LACHEN. Denn nun sind sie in diesem Ort, der sowohl Bressanone wie Brixen heisst auch so weit: FUSSGÄNGERZONE. Von wegen Fussgänger. Alles voll von vorbeiflitzenden Velofahrern, die uns hinterherbrüllen, weil wir ihnen mit der Blechkiste und 80 Sachen auf dem Tacho den Sattel unsicher machen. Der Finsterwirt liegt mitten im Dorf. Und das Dorf ist eine Bilderbuchkulisse, wie alles, was für den Tourismus auf Scheitel gekämmt ist. Es gibt Kerzenläden, Kartenläden, Kerzenläden, Kartenläden. Und natürlich Bars zum Chillen. Sie sagen hier: «Tschällen Stuaberln».
Liesel hat nicht übertrieben? der Finsterwirt lohnt einen Blick: alles voll mit alten Bildern und Vergangenheit. Dazu «gebockener Rindsschwonz und Krummbern-Noggerln». Die «Krummbern» sind Kartoffeln. Und alles ein riesiger Sprachenmischmasch. Aber da wir ja in Italien sind, bestellen wir, wie es uns Cäsar in der guten, alten Zeit gelehrt hat. DA HÄTTEN WIR ALLERDINGS AUCH AUF DEN TISCH SPUCKEN KÖNNEN!
Die Kellner schauen giftig auf Altdeutsch. Und reden penetrant weiter mit diesem Gemisch von könig-kaiserlichem Habsburger Dialekt und Mainzelmännchens Werbespot-Slang. Immerhin? der Rinderschwanz kommt aus Bozen. Und der Ochse hat vor seinem brutalen Ende bestimmt auf Italienisch gebrüllt. Ich überlege mir dann nicht lange, ob ich zum Dessert «Kaisertorten» oder «Schmorrn mit Vanilla-Sosse» reinziehen soll, sondern entscheide mich für beides. Innocents Augen aber spazieren durch den kleinen Wirtshausgarten. Und: «Einfach toll, wie so eine Tracht die Vorzüge der Frau besser zur Geltung bringt!» Dazu Holder-Schnaps, den sie hier «Holler» nennen. Und die Rote Karte vom Feministen-Club.
Leicht übersäuert fahren wir eine Stunde später beim «Meranerhof» vor. Der Kasten hat die Eleganz österreichischer Geschichte? dazu eine Hotelfamilie, die das fürstliche Haus seit Jahrzehnten führt. Das Ganze ist wie aus einer Peter-Alexander-Schau? viel Herz und frohe Töne. Und weil Innocent hier immer mal Gast ist, überschlagen sich die Portiers, obwohl sie das aus bandscheibentechnischen Gründen nicht tun sollten, denn sicherlich sind sie schon seit 30 Jahren offiziell in Pension. «WAR SISSI AUCH IN DIESER KISTE?», frage ich Frau Eisenkeil und bekomme fast den Hub, weil Innocent dem Trachtenmaderl aus der Kaiserzeit tatsächlich wie eine salzgierige Kuh die Hand abschlabbert. Das alte Mädchen kichert: «Ja, der Herr Doktor... noch immer der olte Casanouva...» «Ja küss die Hand, verehrte Frau», sülzt der Hosensack-Casanova. Und hofft so auf zehn Prozent Rabatt pro Nacht. Schliesslich wendet sich die Hotel-Mutti mit einem Strahlelächeln zu mir: «Und dös is wohl der ältere Herr Bruder?» SO EIN BRÜLLER! DA WAR ABER GLEICH WIEDER SAURES AUFSTOSSEN, KANN ICH EUCH MELDEN!
Man möchte nicht meinen, dass man hier in Italien ist. Statt «O sole mio» klatschen kurzlederbehoste Bärtige zu Klampfen und Zither wild auf ihren nackten Oberschenkeln herum und singen das Lied vom Adler, der frei in den Lüüüüften schwebt...
«Sissi war nur drei, vier Mal hier», erzählt mir Innocent dann auf dem Weg, den sie nach der Kaiserin benannt haben. Und der zu ihrem Schloss Trauttmansdorff führt. «Aber man ahnt sie in jeder Ecke, auf jeder Alm, in jedem Baumwipfel.»
Auf dem schmalen Pfad, unter dem die Passer wild herumrauscht und Hunderte von verschwitzten Rucksacktouristen Gummibärchen kauen, kann ich mir mein Idol nicht so recht vorstellen. «Bist du sicher, dass sie je hier war?», teilte ich Innocent meine Zweifel mit. Er: «In der italienisch-österreichisch-deutschen Geschichte ist die Wahrheit immer ein Fragezeichen!» JA HALLO? DER CASANOVA IST AUCH EIN PHILOSOPH.
Das Philosophische wird aber sofort relativiert: «Jedenfalls hats heute noch immer viele geile Weiber im Ort...» UND SO ETWAS HAT FRAU EISENKEIL DIE HAND GEKÜSST!
Von der Suche nach Sissi und einem Sprachenmischmasch
Sonntag, 23. September 2012