Von der Suche nach dem Jesuskind

Ginetta wollte ein Jesuskind. Ginetta kam als junge Frau in unseren Männerhaushalt. Sie knetete die beste Pasta. Und sie bügelte die Hemden, als gälte es, in ihnen «Tosca» zu dirigieren. Kurz: Ginetta war die perfekte Haushälterin. Sie blieb, bis ihre Hände zu zittern begannen. Und die Zeit ihren Rücken wie einen schlecht ein­ geschlagenen Nagel krümmte. Aber im Advent bringt uns Ginetta ihre handgekneteten Nudeln, die feiner sind als Engelshaar. Und diesen flockig­luftigen Kuchen, den sie aus stundenlang geschlagenen Eiern, Zucker und einem Hauch von geriebenen Mandeln komponiert. Diesmal bringt sie auch den Befehl: «EIN JESUS­ KIND!» Dazu verärgert: «IN DIESEM HEIDEN­LAND FÜHREN SIE SO ETWAS NICHT IN DEN REGALEN? NUR BARBIE­PUPPEN UND HERUM­ SCHIESSENDE PLASTIKKRIEGER!» Es scheint, dass Ginettas Pipa, eine kläffende Ner­vensäge unbekannter Herkunft, den Krippenjesus verschluckt oder zumindest irgendwo vergraben hat. Jedenfalls ist ER in ruhender Kleinform nicht mehr auffindbar. Und deshalb: «Du gehst nächste Woche eh nach Rom. Also bring mir den Welten­herrscher. Aber nur mit Lichterkranz!» DA MACHTEN WIR UNS ALSO AUF DIE SUCHE NACH DEM KLEINEN HERRN UND WURDEN GAR ARG GEBEUTELT. Es ist nämlich so: Zwar hausen wir in Rom in einer Strasse, die den Namen des Jesuskindes trägt. Und da sind auch in den Nebengassen viele grosse Geschäfte, die allerlei Frohes für den Klerus ausstellen: funkelnde Kardinalsringe in schwerem Gold, üppige Papstkronen und auch schon mal ein etwas gewagterer, schwarzer Priesterrock, den einer von oben bis ganz unten mit 64 Stoff­kügelchen zuknöpfen muss. Die Herren Kleriker aus aller Welt stehen mit verträumten Blicken vor diesen Schaufenstern wie die Tresenschlampen vor den Vuitton­-Auslagen. Sie diskutieren über Schnitt und Stoff. Und dann kaufen sie sich so einen Fummel, um daheim in Uganda oder Bad Ischel den Gottesdienst froh aufzumischen.
Ich also rein ins Heilig­tum: «Herrschaften? ich brauche einen Jesus.ABER MIT HEILIGEN­SCHEIN. Und nicht grösser als der Daumen meiner linken Hand.»
Man schickt mich in die Abteilung «Requisiten». Doch da sind lediglich Opferstöcke mit Kunststoffkerzen, die beim Einwerfen eines Euro zu blinken anfangen (und für einen lustigen Moment lang überlege ich mir, ob ich Innocent mit dieser schönen Weihnachtsgabe schwarz­ ärgern könnte? MAN STELLE SICH VOR: DER OPFERSTOCK NEBEN SEINEM KASSENSCHRANK!). Natürlich gibt es die Sterbesakramente in eleganten Lederköfferchen? ganz klar, dass auch Josef, gebeugt über dem Hirtenstab, auf seinen Käufer wartet. Aber Maria herrscht überall vor? FRAUENPOWER AUCH IM KLERIKALEN BEREICH. Wieder meine Frage nach dem «Bambino Gesù». Einer der Händler bequemt sich, nun in den Keller zu steigen. Es scheint, dass man IHN dort lagert. Doch der Jesus, den er mir aus Holzwolle und Packpapier schält, hat die Grösse eines aus­gewachsenen Pudels und dürfte das Stübchen von Ginetta gut zur Hälfte auffüllen.
Deshalb: «HABEN SIE IHN NICHT KLEINER... ES IST FÜR EINE FAMILIENKRIPPE!» Tadelnder Blick des Personals: «So etwas führen wir nicht. NUR ALLES IM GROSSEN!» Ich habe es daraufhin auf dem Sonntagsmarkt von Porta Portese versucht. Es gab den Kleinen antik aus den Sechzigerjahren im Stroh. Aber man musste gleich die ganze Herde nehmen? mit den Halleluja-­Engeln und dem ganzen Gesummse. DAS DANN DOCH NICHT. Also schickte mich der Händler nach Neapel in die Krippenstrasse: «Dort ist das ganze Jahr Weih­nachten? dort dürften Sie sicher fündig werden!» FÜNDIG? Ich fand Herrn Berlusconi, wie er in Ton geformt in der Hölle briet. Ich fand auch Sophia Loren gipsgeformt die Hände zum Himmel streckend und? natürlich!? Hunderte von wohl­ genährten Priestern, denen man mit einer Trick-Druck­-Mechanik eine Erektion hervorzaubern konnte. NA DANN: FROHES FEST!
Schon schüttelte ich verzweifelt den Kopf: «Ja, Himmel? wo bist DU hingekommen?»? als ER mich an ein Ständchen mit buntem Taschen­lampen-­Lesebrillen-­Nagelscheren­-Angebot führte. Da gabs kaum fingergrosse Hartplastikpüppchen im Angebot. Sie nannten die Kunststoffbabys «Marie­-Lou». Und hatten sie mit «MADE IN CHINA» abgestempelt. Stückpreis: zwei Euro. Das kann man schlucken!
Ich habe den günstigen Kauf mit etwas Goldfolie heiligenscheinmässig aufgerüscht, die Augen mit einem Eyeliner vergrössert und alles in Lametta gelegt. So wurde Marie­-Lou ihm doch noch ähnlich.
Zu Hause schaute sich Ginetta die kleine Puppe im Goldfinger­-Outfit an. Bekreuzigte sich. Und meinte, sie habe ihren lieben Pipa-­Hund umsonst verdächtigt. Der Krippenjesus sei nicht gefressen worden, sondern unter den Glasbaumvögeln hervorgekommen. Und: «DANKE TROTZDEM!» So ist die Krippenwelt für Ginetta wieder in Ordnung. Wir aber nutzen hier die Gelegenheit, die guten Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass ER im Windelalter Mangelware geworden ist. Marie-­Lou aus China ist kein wirklich passender Ersatz. DESHALB: TRAGT SORGE ZUM JESUSKIND.
Kleiner Nachtrag: Ich habe die verglimmerte Marie-­Lou dann Innocent zum Namenstag geschenkt. Er zeigte sich ziemlich ungehalten: «Du gibst dein Geld nur für unmöglichen Mist aus... lediglich, um mir auf die Eier zu gehen!» Ich hätte den blinkenden Opferstock doch nehmen sollen...

Sonntag, 18. November 2012