Von der Suche nach Commissario Montalbano

Als wir Herrn Camilleri in Rom endlich am Telefon hatten, um ihn nach Commissario Montalbano zu befragen, da antwortete der 88-Jährige ziemlich ungehalten: «VERGESSEN SIE DIESE PFEIFE. ICH HÄTTE MONTALBANO SCHON VOR JAHREN ERSCHIESSEN LASSEN SOLLEN!»
Dennoch verputzt der wetterfühlige Bulle weiterhin enorme Portionen von gebratenen Melanzane und Barben an der Bucht von Vigatà.
Seit die skurrilen Geschichten aus dem berühmtesten Kommissariat Siziliens auch für die häuslichen Mattscheiben einer übrigen Welt gedreht werden, ist natürlich keine Sekunde mehr daran zu denken, Herrn Montalbano ins Gras beissen zu lassen. Man brät kein Huhn, das goldene Eier legt. Und Montalbano steht seit Anfang der Neunzigerjahre auf Europas Bestsellerlisten.
Sein Schöpfer Camilleri ist in Porto Empedocle aufgewachsen. Der Ort inspiriert ihn noch immer. Mehr als Rom, wo er jung hinzog und lebt. DENN IN PORTO EMPEDOCLE IST ­SIZILIEN AUCH HEUTE NOCH, WAS DIE INSEL GESTERN WAR.
Hier findet man die Figuren, die den Albano-Geschichten den Reiz geben. Wenn Leser dann die Fernsehfilme reinziehen, sind sie enttäuscht. Luca Zingaretti ist zwar ein wunderbarer Schauspieler. Aber irgendwie wird er dem Commissario im Buch nicht gerecht: zu schön. Zu elegant. Zu wenig brummig. Kurz: ZU WENIG SIZILIEN!
O.k. Das ist immer so. Der Leser stellt sich unter Agatha Christies zarter Miss Marple schliesslich auch nicht eine Kraftmaschine wie Margaret Rutherford vor.
Buch und Film sind zwei Welten.
«Gehen Sie der wahren Welt von Commissario Montalbano nach. Recherchieren Sie das!»? versuchte die nette Redaktorin einer «Süddeutschen Zeitung» mich aufs Abenteuer heiss zu machen. «Schauen Sie nur in den Fernsehfilmen diese herrliche Szenerie? EIN TRAUM!»
DU DUMMERCHEN? EIN FERNSEHTRAUM! Denn die wahre Welt des Montalbano findet nicht an malerischen Drehorten statt. Nein. Vigatà ist ein kleines, unbedeutendes Hafenkaff mit dem Namen Porto Empedocle.
Das Nest liegt zu Füssen von Agrigento? dort, wo die griechischen Tempel von Akragas Millionen von Touristen anziehen. Zugegeben? der Autor hat recht, wenn er in den Hörer bellt: «Fahren Sie nur hin. Und sehen Sie sich dieses Sammelsurium an Scheusslichkeiten an!»
Industriekamine schreien an der verschmutzten Bucht zum Himmel und rufen nach Arbeit. Und in der 1700-Seelen-Gemeinde oberhalb des Hafens döst Sizilien an blechernen Kaffeetischchen vor sich hin. ANSONSTEN: KEBAB UND TOTE HOSE.
Aber immerhin ist Camilleri hier vor fast neun Jahrzehnten geboren worden. DIESER ORT IST SEIN VIGATÀ? die Drehscheibe all dieser berühmten Romane und Filme, die nun auch die Staaten und Deutschland erobern. Nur: Vigatà liest der Besucher auf dem ­offiziellen Ortsschild nicht. Oder eben nur als Klammerbegriff.
Nämlich so: PORTO EMPEDOCLE? (Vigatà).
Es scheint fast, als würde sich der kleine Hafenort dafür schämen, nicht einen so prächtigen Dom, kein so pompöses Kommissariat und auch nicht dieses herrliche Strandhaus wie im Fernsehfilm bieten zu können. Diese Augenblender hat die Regie nämlich zwei Autostunden entfernt in der Gegend um Ragusa Ibla (dem Weltkulturort) oder am malerischen Büchtlein von Punta Secca aufgenommen.
Parkplätze gibts in Porto Empedocle wie Sand am Meer. Die Finanzlage ist mies. Viele Bankinstitute haben nach den ausgebliebenen Ratezahlungen die Autos wieder eingezogen.
Zwei Kunststoffbarrieren trennen die Via Roma, das Herz des Kaffs, vor störenden Mopeds oder Dreiradwagen ab. Mitten auf den 100 Spaziermetern trifft man doch da und dort auf den Namen des kleinen Fantasiestädtchens. Etwa beim Tabacchi-Händler, der auch ein paar Taschenbücher Camilleris in Paperback führt. Oder in der Bar an der Hauptstrasse, deren rote Sonnenstoren stolz den Namen «CAFFè VIGATÀ» tragen.
Serafina lotst uns ins dunkle Innere: Hier hängen dann nicht nur zwei Fotos von Camilleri gegenüber dem Tresen. Hier ist auch ein Bücherschrank mit all seinen Werken? jedes signiert: «Andrea ist mit seinem Heimatort sehr verbunden. Vigatà sind wir. Der Bürgermeister hätten den Ort gerne umbenannt? aber die Behörden in Rom erlauben es nicht.»
Die Barfrau zeigt vis-à-vis auf den grossen Dom des Orts: «Andrea kommt jeden Sommer hierher. Dort, hinter der Kirche, in diesem dunklen Gässchen, ist er daheim! Der Ort inspiriert ihn noch immer? vermutlich weil hier alles so geblieben ist wie zu seiner Kinderzeit.»
Porto Empedocle scheint Schriftsteller zu beflügeln. Immerhin steht hier auch das Geburtshaus von Luigi Pirandello? dem ersten Literaturnobelpreisträger Italiens. Auf Pirandello stösst man beim Bummel durch die Via Roma. In Bronze gegossen überblickt er die Strasse mit den schattigen Bäumen, wo ein Lebensmittel-Supercenter und eine Handvoll Kleiderboutiquen das Highlight des Tages ausmachen.
Kaum einen Steinwurf von Pirandello entfernt, entdecken wir halb so gross Commissario Mont­albano. Ein lokaler Künstler hat ihn vor fünf Jahren in Bronze gegossen? und wieder eine Enttäuschung: Der Bulle ist so mager, als müsse er durch Kamine klettern. Er erinnert eher an den Schornsteinfeger aus «Mary Poppins» als an den sizilianischen Polizeihaudegen.
Und wo bleibt die Statue von Andrea Camilleri?
Serafina schiebt mir lächelnd einen dieser sizilianischen Brioches hin, die wie der Himmel schmecken und mit butterweicher Ricotta gefüllt sind: «Da muss unser Camilleri zuerst sterben, bis sie ihn offiziell hochleben lassen?»
Das ist sizilianisches Drama.

Dienstag, 21. Mai 2013