Donnerstag Der Zollübergang Syrien?Jordanien war kein Honigschlecken.
Erstens fehlte der Mann, der uns die Visa aushändigen sollte. Er war im Gebet. Und dies mitten in der Wüste.
Zweitens durften wir nicht ohne Geld zu wechseln einreisen. Aber die Bank war geschlossen. Der Schaltermann war der Bruder des Visum-Manns.
Und beide beteten synchron zu Allah, dass er ihnen einen guten Tag schenken möge.
Ich betete auch zu meinem Beschützer. Mein Wunsch ging allerdings in andere Richtungen: Der liebe Gott möge doch den beiden eine kleine Bauchregung schicken, damit sie hurtig in ihr Zollhäuschen zurückeilen würden.
INNOCENT ZOG MITTLERWEILE WIEDER SEINE ÄCHZ-UND-STÖHN-NUMMER AB.
Ahmed, unser Fahrer, half ihm, sich aus dem Auto zu hangeln. Die Sonne brannte wie ein Pizzaofen.
Und Innocent kratzte stöhnend über sein üppiges weisses Haar. Die Araber stehen auf weisse Haare wie die Italiener auf die Möpse von Cicciolina. Jedenfalls: Immer wenn sich Innocent übers Haar streicht und ächzend den Schweiss von der Stirn tupft, eilen sie herbei. Fächeln ihm Kühlung zu.
Und schleppen kübelweise Wasser an, damit der alte Hallodri ja auch genügend trinke. NA PRIMA. DAFÜR MUSS INNOCENT NICHT ERST NACH JORDANIEN EINREISEN. DIESE REGEL BEHERRSCHT ER PERFEKT. NUR IST DAS WASSER ZU HAUSE GRÜNER VELTLINER!
Sie komplimentieren also unseren Freund in eine Hütte, die so baufällig ist wie die Besucher aus dem Lande der Helvetier. Jemand hat mit einer Kreide «wait rom» auf die Blechwand gekritzelt.
Das dunkle Loch war wohl als Wartesaal für alle Ungläubigen konzipiert, die Allah zur Gebetsstunde über die Grenze schickt.
Für Innocent wurde eine Kerze angezündet, Tee aufgesetzt und von irgendeinem CD-Rekorder wurde diese Fidifidilalala-Gesänge losgezittert, die unsere Herzen während der ganzen Reise so wunderbar ins Vibrieren brachten.
MICH LIESS MAN IN DER SONNE BRATEN. Menschen, denen das Haar ausfällt und die ihre Haut mit Nivea-Lifting-Cream glätten, finden in der arabischen Männerwelt keine Beachtung. Aber siehe da: ER hat mich nicht im Stich gelassen? und den beiden Betenden das dringende Bedürfnis geschickt.
Nach einer längeren Händewaschzeremonie verneigten sich die Brüder tief, hiessen uns in ihrem Land willkommen und bockten dann unser Auto auf, um zu kontrollieren, ob die fremdländischen Schlitzohren nicht etwa ein Bömblein an den Auspuff geklebt haben. Dann wurden unsere Gepäckstücke durchleuchtet. Stück für Stück? denn wenn das Zollhaus auch nur eine Grümpelkammer mit einer unendlichen Auswahl an Stempeln und Papierbergen war, so fiepten und piepsten dennoch in allen Ecken Computerkisten, drahtlose Telefone und Röntgenschirme wie auf einer Marsstation.
Einer der Zollbeamten kam mit einem Motorrad angebrettert und hielt ein Paket mit honigtriefenden Mandelküchlein auf dem Kopf. Damit fütterten sie dann Innocent.
Mit leiser Stimme erzählten die Männer, dass wir seit Wochen die ersten Touristen seien, die aus Syrien aus- und in Jordanien einreisen würden. MIT ANDEREN WORTEN: WIR WAREN DAS BUNTE PROGRAMM, DAS IHNEN DIE SAISON MACHTE? die «Lindenstrasse » der Wüste quasi.
Dann schenkten sie uns ein Hochglanzbildchen von ihrem König, der kein Krönchen, aber eine Militärmütze trägt. Und dessen Frau eine grosse Schönheit sein soll.
DAS PEINLICHE: WIR KONNTEN UNS MIT NICHTS, ABER AUCH GAR NICHTS REVANCHIEREN.
Die Schokolade hatten wir bei den Ägyptern und den Beduinenkindern hinter Palmira gelassen. Und Geld darf man nicht schenken, sonst sagt der schweizerische Geheimdienst, man habe die Zöllner geschmiert, und alle machen einen zur Sau.
Wir sollten auf keinen Fall den Suk von Ammann und ein Bad im Toten Meer verpassen, so legten die Beamten zum König noch ein paar Gratistipps hinzu.
Als wir Tage später dann beim Toten Meer vorfuhren, hielt sich unser Hochgefühl in Grenzen. Das Ganze erinnerte sehr an den Lago Maggiore an seiner engsten Stelle. Das Wasser war ölig, brannte in den Augen und die Leute rieben sich von Kopf bis Fuss mit gräulichem Schlamm ein. Überdies war die Hotelanlage total in schweizerischer Hand. Die Mövenpick-Fahne flatterte zur Begrüssung. Und in der Hotelhalle stand auf jedem Tisch ein Schild «NO SMOKING». Als wir endlich den Bungalow am Toten Meer bezogen, war unser Enthusiasmus mindestens so tot wie das Wasser vor uns. An jeder Mineralwasserflasche klebte die Mahnung: 1 EURO. Daneben lag die Preisliste für die Minibar.
Wir dachten an die Gastfreundschaft und Grosszügigkeit, die wir in den letzten Wochen erleben durften.
Es klopfte. Der Zimmerkellner schüttelte die Kissen auf und legte auf jedes ein Karamel-Bonbon der Marke Mu. Daneben den Bestellschein für das Frühstück, auf dem freundlich vermerkt war: Zimmerservice mit Aufpreis. «Da können wir ja auch direkt nach Hause!», seufzte Innocent.
Wir öffneten die Terrassentüre. Vor uns lag der schmale See wie ein dunkles Trauerband. Die Lichter des israelischen Ufers vis-à-vis tanzten wie Silberfische im Schwarz. Wir spürten eine stille Traurigkeit und wussten, dass die Sanduhr abgelaufen war. Der Schweizer Wecker würde uns bald jäh aus all den arabischen Träumen reissen.
Von der Schweiz am Toten Meer und dem Gebet in der Wüste
Samstag, 5. Dezember 2009