Von der Rache der purpurnen Quitten

Dienstag - Wenn die Möwen über der Mülldeponie aufkreischen, so tönt dies, als würden alte Weiber dem Sommer nachweinen. Und rotkäppchenrot begrüssen die Granatäpfel am Baum die ersten Herbsttage auf der Insel.

Der Quittenbaum trug Früchte wie noch nie. In riesigen Weidenkörben hat Gianni die holzharten Samtkugeln in die Küche getragen. Annamaria hat sie mit dem Handbeil zerkleinert und dabei das Mörderinstrument immer mal wieder drohend in Richtung Gärtnerhose geschwenkt: «Du weisst, was geilen, alten Böcken wie dir in der Hexennacht passiert - mein Schätzchen?!» Gianni deckt reflexartig wie alle Italiener seine Kostbarkeiten ab, schützt dann mit der Hand den Hosenschlitz und grinst zu Annamaria: «Hättest wohl wieder mal gerne ein anderes Beil in den Händen, du alte Kanaille?» Dann kichern und albern die beiden rum, als wäre es Frühling und nicht bald schon Advent.

«ALTWEIBERSOMMER!», knurrt Innocent nasenrümpfend über das Verhalten der Alten. «Gestern noch lag Annamaria mit Migräne in der verdunkelten Kammer - und heute lässt sie ihren dicken Hintern vor Gianni rumkreisen, wie der Dompteur die Gäule?» «AUCH DER HERBST HAT SONNENTAGE - und nicht nur in den Flaschen!» - grub ich den rosa Kalenderspruch der 70er Jahre aus dem Ideenkästchen.

Da kam hoch zu Ross unser Nachbar hergaloppiert. Ihm gehört nicht nur der riesige Rebberg zu unsern Füssen, ihm gehört auch eine Lederwarenfabrik der edleren Lese.
Ich habe Herrn Ducci noch nie anders als hoch zu Ross und mit Ducci-Stiefeln gesehen. Vermutlich ist er im firmeneigenen Sattel geboren und nun darin festgewachsen.

Annamaria knurrt beim Erscheinen des Nobelmanns, wie einst unser Zwirbelhund, wenn der Pöstler im Anmarsch war. «Vecchio stronzo», zischt sie zwischen den beiden Zähnen hervor und gottlob hat eben in diesem Moment Herr Duccis Gaul etwas fallen lassen, was Giannis Gartenhandschuhe dampfend begrub. So gingen Annamarias Worte in der allgemeinen Aufregung unter, denn die Handschuhe waren ganz neu und Gianni ausser sich, während Innocent den alten Herrenreiter anschleimt: «Ach Herr Ducci. SO EINE EEEEHRE. Und das liebe Pferdelein muss halt auch einmal - DAS MACHT DOCH GAR NICHTS?» Rosig wedelt er auf das Ross zu. Aber schon erhebt sich der Gaul in Panik. Schuld ist alleine dieses verdammte Billig-Aftershave, das sich Innocent immer im Supercenter kauft. Ich habe schon Fliegen im Retourgang vor ihm Reissaus nehmen gesehen? UND NUN ALSO DAS ROSS. Schwwwwups - jetzt hat es Herrn Ducci abgeworfen: dies direkt in den noch immer dampfenden Haufen, unter denen Giannis Handschuhe liegen. Nachdem sich der Nobelherr nicht sehr ritterlich ausgeflucht und Annamaria, die sich gackernd die Lachtränen mit der Schürze abtrocknet, einen giftigen Blick zugeschossen hat - wie der Ledertaschenfabrikant also wieder auf den Beinen steht, kommt er zum eigentlichen Anliegen seines Ausritts zu uns armen Schluckern: ER WILL QUITTENGELEE. Er habe nämlich gehört, dass wir aus den steinernen Früchten diese purpurne Marmelata machen würden. Und das sei eine Kindererinnerung - die Mägde der Duccis hätten diese «Confettura d?Oro» auch immer in Umbrien gekocht und ob wir ihm 10 Gläser davon abgeben könnten? er würde sich gerne mit einem Fläschlein revanchieren. Ich sah die beschwörenden Gesten von Gianni. Ich hörte das hysterisch geflüsterte «mai? mai? mai» von Annamaria. Und «natürlich? ganz klar? ist uns eine Ehre», flötete Innocent seine Zuckerwasserarie, «sobald alles eingekocht ist, schicken wir die Gläser aufs Gut?» So gut. SO FIES.

Nun hocke ich da. Gianni hat wortlos seine Ferien eingezogen. Annamaria liegt in der verdunkelten Kammer. UND WER WEDELT NUN MIT DEM HACKBEIL OHNE JEGLICHE HILFE ÜBER DEN QUITTEN? Natürlich ich.

«Weisst du denn nicht, dass die Nobelfamilie im Krieg Giannis Vater verraten hat!», tose ich zu Innocent.

Der: «ACH GOTTCHEN - WIR MÜSSEN DOCH AUCH EINMAL VERGEBEN KÖNNEN!»

Dieses Dummi weiss gar nichts.

«NICHT AUF DIESER INSEL - HIER RÄCHEN SIE BIS INS SIEBTE GLIED!», deklamierte ich das Rachegliedlied Lorenzo Vareses, des alten Lokaldichters der Isola.

Freitag - Immerhin. Innocent hat mit unserm alten Verwalterpaar geredet. Er hat sogar beim Gelee-Einkochen mitgeholfen. Gespannt warteten wir nun auf seine Rückkehr vom Gut und die Kiste mit Wein.
NICHTS DA MIT WEIN. Er brachte ein winziges Musterfläschlein - allerdings DUCCIS AFTERSHAVE DER NOBELLINIE.
Es duftete nicht viel ärger als der Billig-Moschus, den Innocent stets an sich spritzt.

P.S. Sechs Tage nach Übergabe des purpurnen Gelees hörten wir, dass dem Nobile bei seinem Morgenausritt gar Schreckliches passiert sei. Er habe der Konfitüre noch heftig zugesprochen. Eine halbe Stunde später schon habe es in ihm gerumpelt und gedonnert wie vor einem Novembersturm. DIES MITTEN IM VORNEHMEN KREISE SEINER REITERKAMERADEN. Er habe nur noch kurz «ohh dio» gesagt. Und dann ähnlich wie sein Pferd bei uns? Ebè - die weisse Hose sei total durch gewesen? später habe man dann den Bedauernswerten weit über das Gut aus seinem Badezimmer jaulen gehört?

Annamaria hat nun das Abführmittel beim Hühnerhof begraben.
«Bis ins siebte Glied?», schmettert Gianni fröhlich das Rachelied der Insel vom Traktor.

Dienstag, 25. Oktober 2005