Von der öden Wildnis mit Maschendraht und Träumen

Also? das hier auf der toskanischen Halbinsel ist pure Wildnis. Macchia. Und Mafia.
Da stellen sich die Ahnungslosen unter «Insulanerdasein» Capri oder die elegante Costa Smeralda vor. GESTATTET, DASS ICH GANZ HERZLICH LACHE! Unsern Gästen vergeht das Lachen jedenfalls, wenn sie hier durchs Gestrüpp müssen, um an einem Veilchen zu riechen.
UNSINN. Mit Veilchen ist eh nix. Es gibt da und dort eine blühende Kaktee. Und alle 25 Jahre stösst eine Agave ihren Stängel raus. JA HALLO? DAS IST DANN EIN EREIGNIS!
Als Innocent und ich dieses Fleckchen Erde zum ersten Mal sahen, wollte ich nicht. Kein Caféhaus.
Kein Vuitton-Shop. Das einzige Ereignis ist der Wochenmarkt. Immer am Dienstag. Und dort baumeln dann Dutzende von miefigen Trainingsanzügen wie ein aufgehängter Suizid an Plastikbügeln.
Oder die Zweitgeneration Chinesen beetet dir ein Beet mit Nike-Imitationsschlarpen hin. Und daneben: die Knoblauchzehen von Nonnina Carlucci, die noch verschrumpelter sind als der alte Drache selber.
«WILLST DU HIER MIT MIR ALT WERDEN?», hat mich Innocent heiss machen wollen. Als ich das alles sah, war ich auf der Stelle alt. Und wusste: Das schönste Kind meiner Mutter wird nie in einer Villa am Meer seinen Diener rufen können.
Die Hütte, die sie uns andrehten, steht wohl Handbreit über dem Meer. Das war es aber nicht, was Innocent überzeugte. Sondern das viele Land dazu.
«Jetzt handle ich alles noch um die Hälfte runter und wir sind Grossgrundbesitzer zum Preis einer Basler Taxifahrt!»
Das mit dem Land war dann ein böses Erwachen.
Klar. Es war da. Aber alles nur Gestrüpp.
Verdörrter Wald. Und Stein. Viel Stein. Kurz: Wir waren auf einmal steinreich.
Als man Innocent nach dem Kauf klarmachte, dass hier nie gebaut werden dürfe, da jeder Flecken zur europäisch geschützten Naturzone gehöre, bekam der zuerst einmal das Herzkasperl.
Und hatte das letzte Mal «Grün» gewählt. Ich meine: Die Grünen wissen doch gar nicht, was es heisst, im Grünen zu leben.
Wenn ich Frau Roth sehe, sehe ich eh grün. Und umgekehrt. Die tanzt da mit ihren schicken Kleidern und der umweltfeindlich gefärbten Scharlachfriese an. Steigt aus der chauffierten Limousine. Und erklärt, was grünes Leben ist.
UNSEREINS ABER MUSS DAS LAND BESTELLEN! UND SCHUFTET SICH VOR LAUTER GRÜN DIE BIRNE BLAU.
Kurz: Unsere feudalen Baupläne verdorrten so plötzlich wie meine drei Rosenstöckchen, die ich mit Ach und Krach in die steinige Erde eingegraben hatte.
So wurden wir keine Bauer, sondern Bauern. Und als Knecht kam Gianni ins Haus, ein drahtiges, wackeres Männchen, das punkto Betongrind verdammt an die Bergbauern in meinem geliebten Adelboden erinnert. Überhaupt unterscheiden sich hier die Insulaner nur unwesentlich von unsern Oberländern: stur konservativ.
Stur jedem Neuen abgekehrt. UND ÜBERHAUPT NUR STUR. Dazu aber schlitzohrig, dass es knallt.
Die ziehen dich über den Tisch, bevor der Tisch überhaupt da steht...
«Irgendwie muss das Land ja genutzt werden», jammerte Innocent. Und so kam es, dass Gianni ihm eine Terrassierung vorschlug. Er fantasierte von herrlichen Fruchtbäumen mit honigsüssen Pflaumen, von sonnengereiften Tomaten und dem Grappa aus eigenem Rebstock.
DAS MIT DEM GRAPPA ÜBERZEUGTE INNOCENT SOFORT. Über Nacht donnerte ein Heer von Traktoren und Maschinen an. Gianni hatte die halbe Insel aufgeboten. Und ein gewisser Herr Präsident Monti könnte heute einiges von Giannis Wirtschaftsankurbelungen abkupfern: DA HATTE DOCH PLÖTZLICH DIE HALBE BEVÖLKERUNG ARBEIT. UND DIES GARANTIERT FÜR ZEHN JAHRE. Kommt dazu, dass es den italienischen Staat keinen Centime kostete. Dafür schmolz unser Erspartes wie Gelato in der Sahelzone.
Es muss gesagt werden, dass die Inselmenschen ein gemütliches Völklein sind? stur hin oder her. Jedenfalls war es ein fröhliches Schaffen. Nur hats nicht viel gebracht. Wir haben zwar jetzt ein Terrassenland.
Aber mit Zwetschgen ist nichts. Die Tomaten werden meistens von den Stachelschweinen und Wildsäuen geerntet. Und den Grappa holen wir im Touristenmarkt von Grosseto. Natürlich lügen wir den Gästen vor, wir hätten ihn selber verbrochen.
Und sie schlucken es.
Als die Terrassierung zu Ende war und die Wirtschaftsflaute erneut wie eine schwarze Gewitterwolke über der Insel stand, als allen armen Menschen hier die 24. Rate des Zweitmercedes, der Play-Game-Anlage und des Segelboots ins Haus zu flattern drohte, da griff Gianni wieder durch: «Wir müssen uns vor den Wildschweinen schützen. Sie zerstören alles, was wir angebaut haben!»
Ich schaute um mich. Und sah nichts Angebautes. Auch nichts Erbauliches. Also korrigierte sich Gianni: «Wenn wir dann wieder mal anbauen werden!»
Erneut kam eine Armee von Bulldozern.
Dieses Mal hatten sie Tonnen von Maschendrahtzaun dabei. Sie klopften, bohrten, sprengten, hämmerten? die Fernsehreklame vom Baumarkt ist ein Lächeln dagegen. Endlich stand unser Land eingehagt in der Öde? gezäunte Wildnis, sozusagen. Aber hallo, dieser Zaun wurde dem IQ der Sau nicht gerecht.
Man kann nämlich wohl sagen «saudumm ». Doch das ist ein saudummer Ausdruck. Denn Wildsäue sind alles andere. Es war, als hätte sie der Zaun noch inspiriert. Jedenfalls gruben sie sich unten durch.
Und dann waren auch die letzten Tomaten weg.
Manchmal setze ich mich auf einen der unzählig vielen Felsklötze. Und stiere übers Meer. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn wir damals nicht ins Grüne investiert hätten. Sondern irgendwo auf der Piazzetta von Capri in einer Zweizimmerwohnung hausen würden. Ich würde mich von charmanten Kellnern einen Espresso servieren und von der bildschönen Vuitton-Verkäuferin den heiss ersehnten Reisekoffer andrehen lassen.
UND DANN SEUFZE ICH LEISE, ABER GEFÜHLVOLL AUF. Nicht selten gesellt sich eine kleine, dunkelbraune Viper zu mir. Und wünschte sich, ich wäre eine Maus.
Man kann im Leben nicht alles haben.

Samstag, 16. Juni 2012