Von der Nacht bei Nomaden und der Bagdad-Fahrt

Donnerstag Okay. Mea Culpa. MEA MAXIMA CULPA. Oder in Goethes bestem Deutsch: «Der Arsch war ich!»
Wie ein schwarzes Trauerband hat sich die Strasse von Syrien nach Jordanien durch die Wüste gewunden.
Dann kam dieser Wegweiser aus Holz: BAGDAD.
Es entspannte sich ein hipper Dialog, wie er unter zwei alten Knackis immer wieder abspult: «Bagdad hätte ich schon gerne mal gesehen? ist nur 140 Kilometer...»
Innocent: «Ähemmm.»
«Schon als Kind hat mir Tante Julie das Märchen vom Kalifen von Bagdad vorgelesen und...»
Innocent: «Ähemmm.»
«JA, HÖRST DU MIR ÜBERHAUPT ZU?»
Er reibt sich am Ohr. Sphärische Pfeiftöne irren durch die Wüste. Dann: «WASS ISSS LOS?»
Und da war ich auch schon unterwegs nach Bagdad.
Nach 140 Kilometern waren wir dann dort? allerdings nur an der irakischen Grenze. DA WAR DANN MAL WAS LOS, KANN ICH EUCH SAGEN.
Wir mussten die alte Karre aufbocken.
Unser Gepäck durchleuchten lassen.
Und all unseren Charme zusammenkratzen.
«Hello... wir sind doch nur die lustigen Schweizer mit der dummen Gaddhafi-Geschichte... jetzt lacht schon mal los!»
Aber die lachten nicht. Nachdem sie uns umarmt und die Pässe wieder zurückgegeben hatten, schickten sie uns ins Auto. UND RETOUR.
Die Nacht schlich aber bereits mit eiserner Kälte und herrlichem Sternenkleid über die Wüste.
Irgendwie mussten wir nach Hama, in diese Stadt, wo die Wasserräder so irre gross sind wie das Hochhaus, das die Roche nicht gebaut hat.
DOCH HAMA WAR NIRGENDS. Nur Wüste.
Wüste. Wüste. Und dazu ein wüster Hunger meinerseits.
Als ich die kleine Nomadenstadt mit den zwölf Zelten sah, entwickelte sich wieder ein Gespräch:
«Wir sollten mal anklopfen und fragen, ob wir hier übernachten können...»
«Ähemmm...»
Da wusste ich, dass auf ihn kein Verlass war. Also hielt ich die Karre vor einem der Zelte. Und rief Helloou, da es keine Türen zum Klopfen gab.
UND JETZT HALTET EUCH MAL FEST: DER EMPFANG WAR MINDESTENS SO HERZLICH, WIE WENN DER WESTERWELLE IN DIE SCHWEIZ REIST UND VERKÜNDET: ALLES IST GUT.
Natürlich kapierten wir kein Wort, als die Kinder auf uns losschnatterten.
Als dann aber die Zelt-Älteste auftauchte, war es plötzlich so still in der Wüste, dass man einen Wüstenfloh husten hören konnte? sie nahm Innocent am Arm.
Führte ihn in eines der Lumpenzelte. Und empfahl die Räumlichkeiten wie Herr Straumann die Luxussuite im «Trois Rois».
«... wo sind die Betten?», flüsterte ich zu Innocent, der mit der Alten bereits am Schäkern war.
«... sei nicht kleinlich!», zischte er mir zu. Und klopfte der wüsten Omi immer wieder auf den Buckel, was dem Wüsten-Opi ein etwas gequältes Lächeln vom zahnlosen Mund abrang.
Eine halbe Stunde später liessen sie einen Hammel am Grill brutzeln. Sie formten gelbliche Käsebällchen, die den ziegentechnischen Hautgout ausströmten. Und sie brauten einen Tee aus einer Wüstenpflanze, die sie «Lahalla» nannten, der wie geplatzte Hühnergalle schmeckte. Aber Hauptsache: WIR HATTEN EIN DACH FÜR DIE NACHT, AUCH WENNS NUR EIN VERGILBTER STOFFLAPPEN MIT SCHLAPPEM YASMIN-MUSTER WAR.
Ein Bett gabs natürlich auch nicht. Nur Naturböden, wo Steinchen und Hühnerdreck mit altem Linnen barmherzig überdeckt waren. Als Heizung standen jede Menge Ziegenfelle zur Verfügung.
Und den Stecker für den Drei-Tage-Bart-Rasierer konntest du dir in den Mond stecken...
Sie servierten zu unseren Ehren nicht nur die Augen des Hammels und dessen Hirnschale mit den Schlabberblabber-Ganglien an Minze (UND ICH KANN EUCH SAGEN, SO EIN HAMMEL HAT EINEN IQ, DER ZUERST MAL VERDAUT WERDEN MUSS!)? nein, als sie den Kaffee in ihren Messingkännchen kochten und uns Kardamomen zum Kauen gaben, da schleppte die Beduinen-Omi das Kostbarste ihres Stammes an: ein Buch voller Erinnerungen. Wir hatten uns schon gewundert, weshalb die Alte so wunderbar Französisch parlierte, da stellte sich heraus, dass ihre Muhme «une artiste à Paris» gewesen sei. Das verblasste Foto zeigte eine abgegriffene Schönheit unter der Tingeltangeltüre von «Madame Arthure». Und die Urahnin muss eine heisse Nummer geschoben haben? jedenfalls lagen ihr drei Männer zu Füssen.
«Ma Mémé...», flüsterte die Alte zärtlich. Und ihr Mann zeigte grinsend mit dem Daumen nach oben, was immer das auch mit der heissen Grossmutter zu tun gehabt haben mag.
Es wurde eine wunderbare Sternennacht.
Die Kinder der Nomaden tanzten uns auf Geheiss der Alten etwas vor? es war eine Rap-Nummer, deren kehliger Inhalt wir nicht kapiert haben.
Aber der gute Wille zählt. Und der sternenklare Himmel, der aussah, als hätten sie die Milchstrasse mit Sigolin poliert.
DA KANNST DU NICHT MECKERN.
Noch lange sahen wir die bunten Punkte im rötlichen Sand. Sie winkten zum Abschied. Und wurden immer kleiner.
«Aus solchen Erinnerungen kannst du nie vertrieben werden», schneuzte sich Innocent ins Taschentuch. Und: «Wir müssen ihnen aus Basel Läckerli schicken...» Doch Erinnerungen und Nomaden haben keine Postadressen.

Samstag, 28. November 2009