Von der Lust, die Zehe zu lutschen und Katzenzünglein ...

Donnerstag Als Innocent seine linke grosse Zehe lutschen konnte, wollte ich das natürlich auch.
NICHT SEINE ZEHE. SONDERN MEINE.
Also? das kam so.
Da brettert einer gestresst und nervig im Rush-Hour-Horror nach Hause. Das Einzige, was nun noch über die Runde hilft, ist die Aussicht auf eine wunderbare Pralinenschachtel, welche die gütige Irma gestern aus Wien mitgebracht hat. Irma ist Diabetikerin. Pralinen liegen da in ihrem roten Bereich. Umso wilder füttert sie ihre Umgebung damit ab. Ersatzhandlung. Das ist wie mit Onkel Gustav, der auch nicht mehr kann und bei den anderen immer davon redet.
Nur sinds bei Irma Süssigkeiten. Und eben: DEMELS KATZENZUNGEN? die züngeln in der obersten Liga, sage ich euch.
Ich habe die Schachtel vor unserem gefrässigen Putzpersonal im Buffet hinter dem Eierlikör versteckt. Doch leider komme ich nicht an sie (die Schachtel) ran: DENN VOR DEM BUFFETKASTEN HOCKT INNOCENT IM SCHNEIDERSITZ.
Natürlich heisst das jetzt nicht mehr «Schneidersitz». Das wars in unserer Jugend.
Heute ist es eine überirdische Mediumsposition. Innocent jedenfalls hält die Augen so geschlossen, wie er das nur tut, wenn er schnalzend eine neue Weinsorte probiert. HIER ABER NICHTS MIT WEIN. Hier gehts um die Füsse, die platten.
Langsam schiebt er sich mit der rechten Hand den linken Fuss vor den Mund. UND KÜSST SEINE GROSSZEHE!
JA HALLO! UND DAS VOR MEINEN PRALINEN!
Ich klatsche energisch in die Hände.
Innocent reisst erschrocken die Augen auf. Zuerst schwankt er wie die Lilie im Winde. Dann fällt er? wummms!? wie ein getroffener Kegel auf die Seite. Und entwirrt fluchend seine Beine: «Ja kannst du denn nicht anklopfen? Ich hätte ja einen Herzschlag bekommen können!»
«WESHALB KÜSST DU DEINE LINKE ZEHE?»
Innocent hangelt sich am Buffet hoch: «Ich glaubs ja nicht? jetzt bist du noch auf meine linke Zehe eifersüchtig... das ist doch eine yogistische Übung... Herr Markus hat sie mir beigebracht!»
Ja, klar doch!
HERR MARKUS HIER... HERR MARKUS DA. Seit wir den persönlichen Knochentrimmer in unseren vier Wänden haben, verändert sich hier alles: Das Treppengeländer wird zur Ballettbarre. Kürzlich hat Innocent auf der Terrasse Klimmzugübungen am Waschseil gemacht. Muss sich keiner wundern, dass nun auch noch das letzte Zyklamen-Stöckchen den Geist aufgegeben hat. Herr Markus war ein Weihnachtsgeschenk vor einem Jahr.
ZUERST WOLLTE DER ALTE HALLODRI (Innocent) JA NICHT.
Aber als er die strahlenden Augen des «personal trainers» sah, schmolz er wie die Cassata in der Wüste. Seither schmilzt er einmal wöchentlich. Und die Augen von Herrn Markus strahlen noch immer, obwohl sie Schreckliches anschauen müssen? wie etwa die Übung mit der Zehe.
Ich muss zugeben, dass Innocent mit jeder Woche fitter und unsere bescheidene Wohnung parallel dazu baufälliger wurde.
Da ging schon mal bei einer kleinen Dehnungsübung ein Stück Stützmauer in die Brüche. Das schöne Vasen-Paar (Gallé) scherbelte, als Innocent den Ein-Beinstand auf der Gummimatte übte und in jenes Buffet donnerte, vor dem er nun die Zehe lutscht.
Das neue Terrassenfenster war eben frisch eingesetzt, als es bereits wieder ausgewechselt werden musste, weil die Übung, die Herr Markus «das schlafende Schwänchen» nennt, nicht gelang. Durch den Aufprall von Innocents Schwerkraft explodierte die Riesenscheibe mit einem Donnerknall, sodass im Quartier garantiert keiner mehr schlief. Auch das Schwänchen nicht...
ABER IMMERHIN. ER NIMMT JETZT DIE ZEHE VOR DEN MUND!
Dazu grinst er hämisch: «Machs nach! Würde mich sehr wundern, wenn sich dein Fuss über diesen Ranzenberg durchkämpfen könnte!»
Er meint: über meinen schönen Bauch. Und schon meine liebe Mutter hat immer gesagt: «Männer ohne Bäuche sind wie das Abendmahl ohne Wein...»
Seit aber dieser Herr Markus unsere Wohnung unsicher macht, sind Bäuche des Teufels. Beide Yogisten schauen immer wieder vielsagend auf meine Ausbuchtung und wiederholen penetrant: «Da müsste etwas geschehen... das kann man nicht so anstehen lassen...»
ACH JA?
ICH HABE EIN RECHT AUF MEINEN BAUCH!
Nun hat mich aber die Zehenlutscherei von Innocent doch etwas aus der Fassung gebracht. Es ist über ein halbes Jahrhundert her, dass ich das letzte Mal meine Zehe geleckt habe. Das war beim Doktorspiel mit Dorisli Matthys? und sie konnte es besser.
Der Ehrgeiz ist angestachelt.
Ich zwänge mich in den Schneidersitz. Und versuche ebenfalls die Zehe zum Kopf zu ziehen. NUN IST AUCH NOCH DIE SCHÖNE ALTE STEHLAMPE DAHIN!
«Okay? ab nächster Woche trimme ich mit Herrn Markus», gebe ich mich geschlagen. Und schaufle die Scherben zusammen.
P. S. Als ich dann endlich an die Schachtel mit Demels Katzenzünglein kam, war die prompt leer.
Innocent hat nicht nur die Zehe gelutscht.

Donnerstag, 27. November 2008