Von der katalanischen Paella und Alfonso

Reisen ist zum in die Luft gehen. ABER ERST KÖNNEN VOR LACHEN. Seit sechs Stunden hocke ich mich jetzt in diesem Römer Flughafen madig. Und nichts geht. Schlimmer noch, nichts fliegt! Hat da irgendeiner mal «NUR FLIEGEN IST SCHÖNER» gesagt?
Also? die nette Zürcher Redaktorin steuerte mich von ihrem gemütlichen Pult über der Limmat aus: «Jetzt hockst du mal in den Jet. Und düst nach Barcelona. Wir brauchen so etwas wie ein kulinarisches Städteporträt.»
«Wann?»? «Gestern!»
Sie wollens immer schon gestern. Und natürlich wollen sie keine Spesen: «Denke daran? Printmedien nagen am Hungertuch!» Ach ja? Habe ich da nicht kürzlich Herrn Ringier mit Chauffeur gesehen? Es ist das Schreibvolk, das nagt.
Ich buche also einen Stehplatz. Und habe nicht mit der italienischen Gewerkschaft gerechnet. Denen ist das andere arbeitende Volk nämlich TOTAL WURST! Sie haben den Generalstreik ausgerufen. Mit Pfeifen trillern sie durch das alte Rom und trommeln auf Tamburins für eine neue Ordnung. Dazu düdelt da alle zehn Minuten das Telefon. Alfonso drückt sich auf der SMS-Tastatur die Finger breit: «Zum Teufel, wo bleibst du?» Er hockt in Barcelona. Und wartet ebenfalls seit sechs Stunden auf den Flug, der noch gar nicht fliegt.
Alfonso ist das, was man einen Lover der jungen Tage nennt. Wir haben uns vor mehr als 40 Jahren in Torremolinos kennengelernt. Beide jung. Beide dumm. Wir sahen von Torremolinos nicht viel? aber es gibt dort auch nicht viel zu sehen. Der Abschied war spanisch heftig. Wir versprachen, einander immer zu schreiben. «Immer» ist immer relativ. Immerhin tauschen wir an Weihnachten Grüsse aus? und zu Ostern schriftliche Eier.
Da ich Barcelona in Begleitung meiner lieben Tante Ruth und somit nur Louis Vuittons Wunderland kennengelernt habe, brauchte ich einen Stadtführer. Ich schrieb Alfonso Gesülze wie: «Wäre doch schön, einander wieder mal zu treffen... Komme zufällig nach Barcelona... Hast du Lust?»
Spanier haben immer Lust? eine Lust, die allerdings nach über 40 Jahren und sechs Stunden Wartezeit hart auf die Probe gestellt wird. Um ein Uhr morgens landete die Maschine. Ich übersah das kleine, glatzköpfige Männchen, das in der Ankunfsthalle vor sich hinschnarchte. KEIN EMPFANGSKOMITEE MIT BLUMEN! Ratlos schaute ich mich um. Da erwachte der Alte mit dem Bierbauch. Schneuzte sich laut. Und kam zögernd auf mich zugeschlurft: MEIN GOTT, IST ALFONSO ALT GEWORDEN! In Torremolinos hatte er noch Locken. Und Hosengrösse 38.
Nun? Alfonso nahm mich in die Arme. Und seine Augen sprachen Bände. Ich hatte damals auch Grösse 38... REDEN WIR NICHT DRÜBER!
Auf der Fahrt zum Hotel ratterte mein spanischer Freund wie eine Nähmaschine: Er müsse strenge Diät halten... Alterszucker... Dazu ein neues Knie, das ihm noch etwas Mühe mache. Jeden Tag dreimal Tropfen gegen Herzrhythmusstörungen? und natürlich ein Cholesterinproblem. ABER KEINE BLUMEN!
Endlich waren wir bei der Rambla und Alfonso bei seiner Prostata angelangt. «Übermorgen zeige ich dir die schönste Markthalle der Welt», tätschelte er meine Hand? la Boqueria. «Hast Du noch Lust auf ein Bierchen?» Ich schaute ihn schräg an: «Was ist mit deiner Diät?» Er wedelte sie wie eine lästige Fliege vom Thementeller: «Alterskrankheiten sind dazu da, um Konversation zu machen. NICHT UM SIE ZU KURIEREN!» Immerhin war er so feinfühlig, Einzelzimmer zu bestellen.

Alfonso lebt in Madrid. Und Madrid?Barcelona ist in etwa so wie Zürich?Basel. Jeder zeigt dem andern die Haare auf den Zähnen. «Die Katalanen sind ein eigenwilliges Völkchen», macht mir Alfonso beim Frühstück Barcelona mies. Die meinen stets, sie seien etwas Besonderes... Sie wollen ihre Unabhängigkeit... und sind dann stinkesauer, wenn Madrid sie übergeht...»
KOMMEN UNS SOLCHE PROBLEME NICHT IRGENDWIE BEKANNT VOR?
«... und unser Fussballverein ist nie mit demjenigen von Barcelona zu vergleichen. Wir sind die Könige. Real Madrid hat ein Milliarden-Budget und...»
Irgendwie kriege ich das nicht auf die Reihe: einerseits Armenhaus in der EU. Andererseits: die teuersten Fussballspieler der Welt!
La Boqueria ist eigentlich dem heiligen Josef gewidmet. UND ES IST NICHT MEHR ALS RECHT, DASS DER NEBEN DER ANGEHIMMELTEN MARIA AUCH EINMAL ZUM ZUG KOMMT. Hier huldigt man Sant Josep mit einem Angebot, so bunt wie die Bonbons in einer Wundertüte. «Was ist denn typisch katalanisches Essen?!»? will ich von Alfonso fette Facts wissen. Der rümpft die Nase: «Ach, die kochen hier auch nur mit Wasser, die heisse Schokolade dicken sie mit Mehlpulver. Und die Paella essen sie mit Fischen. Die verstehen hier nichts davon!» Aha.
Die Fischstände sind ein Traum. Und man versteht die Katalanen, dass sie diese Reispfanne damit aufpolieren. Die Krebse krabbeln lebend auf dem Eis... Die Scampi liegen in den letzten Zuckungen... Für Tierfreunde ist es ein kulinarischer Stierkampf. Man muss zugeben? die Langostinos sind hier so dick wie Bratwürste. Und die Preise etwa 70 Prozent billiger als bei uns auf der Toskana-Insel. Ich kaufe drei Kilo. Denn Innocent ist da Fan. Also schlage ich hier zum Schnäppchenpreis zu. Und werde ihm die Dinger zum Geburtstag auftischen. Die Fischfrau wickelt die Langostinos sechsmal in Zeitungen. Dann verschnürt sie das Ganze in einem Plastiksack. So kann ich die Köstlichkeit problemlos im Koffer transportieren. Scampi sind im Handgepäck nämlich nicht erlaubt. Alfonso schleppte mich zu diesem Schinken mit den schwarzen Schweinsfüssen. Dann zu den verschiedenen Sorten von eingesalzenem Stockfisch. Schliesslich zum Stand mit der Quittenpaste, die sie hier zum Käse geniessen. Dann fuhr er mich wieder auf den Flughafen. Doch die spanischen Luftlotsen streikten.
«WO ZUM TEUFEL STECKST DU»? tickerte Innocent ein genervtes SMS von Fiumicino.
Ich steckte lange. Ungefähr neun Stunden.
In der Römer Empfangshalle sass er dann auf einem Bänklein. Und schnarchte. KEINE BLUMEN! Er erwachte abrupt: «UMHIMMELSWILLEN? WAS STINKT HIER SO?!» Ich holte hurtig die Scampi aus dem Koffer. Wir haben sie auf der Stelle in einem Papierkorb entsorgt. Bald wehte ein horrender Duft durch die Ankunftsmeilen des Römer Flughafens. Die Zeitungen schrieben später von einem Attentat der gemeinsten Art. Und ich schrieb das katalanische Rezept von der Paella mit den Langostinos.

Samstag, 4. Juni 2011