Die Autobahn München?Salzburg ist immer so verstopft wie Innocent, wenn er drei Pfund dunkle Schokolade reinhoovert.
ABER IM VERKEHR HILFT KEIN FEIGENSIRUP!
Du stehst. Und stehst. Doch keiner hupt. Oder nervt sich krumm. Nur Innocent hats wieder mit der Blase. Seit einer Viertelstunde schon macht er mich ranzig: «Ich muss mal... ich muss wirklich dringend... ich hätte kein warmes Wasser zum Frühstück trinken sollen!» NA BITTE.
Da hat ihn irgendso eine fühlende Gesundheitstussi auf das Wasserglas heiss gemacht. Warmes Leitungswasser. Gleich nach dem Aufstehen. MIR WIRD ÜBEL, WENN ICH MORGENS NUR SCHON DEN BOILER RUMPELN HÖRE...
Innocent stürzt also das Gesöff mit Todesverachtung runter. Lügt schnalzend die Welt und sich selber an: «AHHHHH? DAS TUT GUT!» Da kommst du dir vor deinem Schoko-Frühstücksdrink wie ein Verbrecher vor, der bald die Krankenkasse plündern wird. Jetzt aber rächt sich der warme Boiler im Autostau: «Ich halts nicht mehr aus...»
Ich entgurte ihn: «Dort ist ein Wäldchen... wir stauen eh noch eine Stunde. Lauf. Und erledige das Unaussprechliche.»
Innocent wackelt auf der Sicherheitsspur in Richtung Tannen. Aber er schafft es nicht über die blecherne Abschrankung. Und dann tut ers davor. Die Not war zu gross.
Nirgendwo ist bis anhin ein Polizeiauto zu sehen gewesen. Sie haben uns kommentarlos und ohne irgendwelche Warnung in den Stau losgeschickt. Jetzt aber brausen sie mit Blaulicht an. Innocent kann eben noch zusammenpacken. 2000 stauende Autofahrer sehen wildes Händegefuchtel. Und eine Polizei mit Hand an der Pistole. Dann humpelt unser Freund in seinen Khakishorts zu unserem Wagen.
WAS GÄBE ICH DARUM, ER WÜRDE JETZT NICHT HIER EINSTEIGEN. Die Menschen lehnen sich weit aus den Autofenstern, um genau zu sehen, in welcher Karre der Khakihosen-Herr zu Hause ist. WENN ICH WENIGSTENS MEIN ITALIENISCHES NUMMERNSCHILD HÄTTE! ABER? CH? die saubere Schweiz!
Von Weitem schon höre ich ihn zetern: «Diese Scheissbullen wollten mich doch tatsächlich für eine kleine, menschliche Regung büssen! Ich sei hier ein öffentliches Ärgernis. ICH! DER BIS JETZT IMMER ALLES VERKLEMMT HAT! Aber denen habe ich etwas gehustet: Entweder ihr schafft mir eine Raststätte her oder ihr macht den Verkehr flüssig... ha! DA WAR DANN ABER SUBITO FUNKSTILLE!»
Ein Mann aus Hildesheim an der Hilde, der seit einer halben Stunde schon parallel mit mir die Zentimeter abschlich, streckte ein Erfrischungstüchlein hinüber. «Da! Und sagen Sie dem Piss-Oldy, er soll Kürbiskerne schlucken.»
UND WO NEHME ICH JETZT SO SCHNELL EINEN KÜRBIS HER?
Bei Liesel spielt Innocent dann wieder Signore Potente. Lieselchen hier. Und Lieselchen her. Und: «Ach Lieselchen, mach mir doch wieder Deine Knödelchen.» Das Ganze versteht sich als prall gesottene Gummikugeln mit Zwetschgeninhalt. Aber Innocent, der die Chuzpe hat, an meinen hauchzarten Ricotta-Gnocchi konstant herumzunörgeln, macht sich heisshungrig über Liesels Kampfklösse her, als gelte es, das Kugelstossen zu gewinnen.
Während Liesel knödelt, führt ihr Gatte Heribert mich auf die Burg. Die Salzburger Burg liegt ziemlich oben. Wer mit viel Butter kocht, schafft den Aufstieg nur mühsam. ABER DIE FOLTERKAMMER ENTSCHÄDIGT DEN STEILEN WEG UND ALLE QUALEN! Verträumt steht Heribert vor dem Schauglaskasten mit all den Marterinstrumenten: «Hier pilgere ich oft hin, wenn ich mit meinen Gedanken alleine sein möchte...»
ICH KENNE SEINE GEDANKEN. UND ICH WEISS, WEN ER DA AUF DAS RAD AUFFLECHTEN MÖCHTE. Auch ich hänge bei all den Folterutensilien so meinen Gedanken nach...
«Wir müssen zu Liesels Knödeln zurück!», sagt er nun ruhig. Und ohne über die Frau mies zu reden: Aber ihre Klösse klebten schlimmer als sechs zerkaute Pritt-Stifte. Und erst wer in seinem Leben so etwas runtergeschluckt hat, weiss was echte Salzburger Marter sind.
Wir hatten «Romeo und Giulietta» im Programm. Die Sache von Gounod. Und natürlich die Netrebko als Giulietta. Aber Kinder, ich muss euch sagen: Die Gute hat, seit sie ihr Sängerkind säugt, ganz schön ihren Julia-Balkon ausgebaut. Gut. Die Pfunde stehen ihr grossartig. Und die Stimme vibriert mit so viel Resonanzraum wie der Furz in der Kirche. Nur sterben wollte die Julia einfach nicht. Romeo flehte. Doch die Gute fiel und fiel und fiel nicht ins Grab. Dabei rutschte Innocent schon seit einer halben Stunde ungeduldig auf dem Stuhl herum. Und wisperte immer wieder: «Wann ist es fertig?... WANN ENDLICH GIBT SIE SICH DIESEN VERDAMMTEN DOLCH, WO DOCH ALLES GIFT AUSGESCHÜTTET IST?!» Ungerührt ob der Pein trällerte Julchen weiter. Ja, die Leute im Orchester hatten noch gut weitere zehn Minuten alle Hände und Geigen voll zu tun, bis Giulietta und der Vorhang endlich fielen. APPLAUS.
«Wo iss das Bueberl?» , erkundigte sich Liesel und klatschte wild in ihre Patschhändchen. «Das Bueberl hat eben mal müssen...», sagte ich gereizt.
«S sollt von diesan Kürbis-Tabletterln schlucken», wusste nun auch Liesel Bescheid. Und lud uns in die «Goldene Gans» «zu aanem klaanen Braunen».
Es ist mir einfach schleierhaft, wie ein Land mit dieser doch stark belastendenden Vergangenheit noch immer «einen kleinen Braunen» bestellen kann...
Von der Julia in Salzburg und Kürbistabletten
Samstag, 2. Oktober 2010