Von der glatten Liesel und Haydns ewigem Hitzesommer

Donnerstag Soll mir keiner kommen, die Kultur lasse einen kalt.
DIE KULTUR IN SALZBURG IST HEISS.
Im grossen Festspielhaus beispielshalber misst die Kulturhitze 45 Grad. Die Klimatisation funktioniert dort in etwa so, wie unser Bundesrat im Ausland missioniert: viel warme Luft. Und keine Wirkung.
«Aber Buaberl? a gscheits Jankerl und a Krawatterl sollts ihr schon tragen... Au wenns nur dia Berliner saan...»? Das ist Liesel. UND DAS IST EINE ABSOLUITE ZUMUTUNG.
Klar, kann ich mir das Schlusskonzert mit Herrn Rattle und seinen Berlinern nicht im Tanga anhören. ABER KRAWATTE? UND JACKE?
Herr Rattle geht ja auch nicht mit dem Pelzmantel in die Sauna. Na also. Deshalb: «Ich ziehe mein lindengrünes Arbeiter-Unterhemdchen an. Und darüber den roten Seidenkittel vom Mosi selig...» Innocent schaut giftig: «Reicht dir die Schlampen-Schlappe mit Vasella nicht? Willst du jetzt auch noch Salzburg als Fleischklops aufmischen?»
«Saads friedlich, mai Süssschnaggerln...», versucht Liesel den Frieden auf Erden zu bringen. Sie trägt Tracht und hat uns in Salzburg mit ihren legendären Mozartkugeln empfangen. Innocent kam natürlich sofort ins Hypern. «Ach Lieselchen, welche Freude, dich in alter Form wiederzusehen!»
ALTE FORM IST GUT!
Liesels Gesicht war kaum wiederzuerkennen. Dort, wo sichs sonst wie bei diesen seltsamen Runzelhunden runterwellte, ists jetzt arschglatt wie die Adelbodner Eisbahn. Die Augen stehen raus wie zwei Golfbälle im Kuchenteig. Und wo die lustigen listigen Augenfältchen Liesels ganzen Charme ausgemacht haben (abgesehen von ihren Knödeln, die sie ja bei jeder Gelegenheit auffahren lässt), herrscht heute wächserne Starre. Maskenhafte Glattheit. Andersrum: Frankensteins Tochter hat mehr Farbe im Gesicht als Liesel in ihrer neuen Tapete. Doktor Mabuse hat sich der armen Frau bemächtigt. Er führte das Skalpell. Und er führte es schlecht!
Jedenfalls hätte ich unsere Salzburger Freundin kaum wiedererkannt, wenn da nicht der unverwechselbare Hallux in ihren Trachtenschuhen gewesen wäre. Er steht bei Lieselchen raus wie ein alter VW-Blinker.
«JA MAI BUABERLN? ERKENNTS MY NO? Y hob a Verjüngungskur auf der Edelweiss-Alm gmocht... Ja wos sogts jetzi?»
WESHALB MÜSSEN DIESE LIFT-GIRLS DER MENSCHHEIT IMMER DAS THEATER VON DER SCHÖNHEITSFARM VORGAUKELN? EDELWEISS-ALM! Da lache ich mich ja bucklig. Drei Wochen lang ist Liesel wie eine frisch bandagierte Mumie auf den Matratzen gelegen. Und Doktor Mabuse schaute jeden Tag für 1300 Euros herein, um rasch zu versichern, dass die Abnäher langsam verheilen würden und das Resultat bestimmt eine Wucht sei.
UND JETZT DIESE AALGLATTE LÜGE VON DER VERJÜNGUNGSKUR!
«Ich will auch Fett absaugen lassen», fauchte ich zu Innocent, der in den schwärmerischsten Tönen von der neuen, wunderschönen Liesel zu flöten anfing. Erschrocken stellte er sein Loblied ein: «Ach Pumpel! Wir wollen doch nicht übertreiben. Unsere fetten Jahre sind eh vorbei, wenn wir bald nur noch von deiner AHV leben müssen...»
NA BINGO!
Mir scheint, dass die fetten Jahre bei Herrn Innocent seit Jahrzehnten passé sind? WIE SONST MÜSSTE ICH IM SALZBURGER FESTSPIELHAUS JEDESMAL IN DIESE HÖHEN RAUFSTEIGEN, WO DIE LUFT IMMER DÜNNER UND DAS PUBLIKUM IMMER DICKER WIRD?
Klar, dass es in den obersten Rängen am heissesten ist. Aber Innocent störts nicht: «Du kannst einem mit deiner Meckerei ganz schön auf den Keks gehen... Man hört die Berliner hier oben genau so harmonisch wie auf den teuren Parkettplätzen...»
ES HATTE 45 GRAD. UND ES HATTE IN DIESEM 45 GRAD 329 VERSCHIEDENE SORTEN VON KÖRPERCREMEN, EAUX DE TOILETTE UND PARFÜMS. Wen wunderts, dass die Saaldiener schon im Frühling die ersten ohnmächtigen Weiber raushievten.
Die Berliner spielten sich also durch alle Jahreszeiten von Haydn.
ABER EIGENTLICH WAR IMMER HITZESOMMER. UND MEINEN SPANISCHEN FÄCHER HATTE ICH AUCH NICHT DABEI!
Der Sommer von Haydn wollte kein Ende nehmen. Und als dann endlich der Winter kam, hatte ich auch ohne Doktor Mabuses Absaugung gut neun Pfund Fett weg.
Die Leute applaudierten wild und verspritzten Schweisstropfen wie ein warmer Tropenregen.
Zu Hause erwartete uns Liesel mit ihrem aalglatten Gesicht und hausgemachten Marillen-Knödeln: «Y hob mir gedacht, doss ihr jetzt a klaans Schmankerl nötig habt...»
Schmankerl sind immer richtig. Ich hätte Liesel gerne dankbar geküsst. Aber die Naht unter dem Backenknochen war noch zu frisch.
So küsste ich ihr nur die Hand: «Dank dir, mai schööns Frankenstein-Töchterl...»

Samstag, 10. Oktober 2009