Mimma ist ein gefallenes Mädchen. Meinetwegen.
Und das kam so: Vor 40 Jahren, als ich in Rom noch die Schulbank (Dante Alighieri) drückte, gab Mutter Arioli mir Kost und Logis. Ortensia Arioli führte eine Pension mit schwachem Kaffee und starken Nerven. Ihr Alter hatte sich ins Grab gesoffen, ihr Sohn lebte als einer der ersten Transvestiten-Stars in Viareggio und schickte ihr Lippenstifte, abgehangene Boafedernstolas und einen Topf mit Glimmer. Aber nie Geld.
Überdies war das Gesicht von Mamma Arioli (wie sie im Quartier rund um die Via della Scrofa gerufen wurde) mit einem lavendelfarbigen Muttermal überdeckt. Ihre Lippen waren seit Geburt pockennarbig verunstaltet (weshalb schickt da dieses Transvestiten-Bubi lilafarbige Lippenstifte?? EIN HOHN!) und ein Auge war stets geschlossen, als hätte es eine tapfere Singer-Nähmaschine zugerattert.
Beim Anblick von Mutter Arioli hat man kapiert, weshalb ihr Alter soff, aber nie verstanden, weshalb die gute Ortensia nicht selber auch zur Flasche griff.
Ortensia fand ihren Trost bei IHM, den sie am Kreuz auf dem Busen trug und der (wie sie sagte) ihr diese Bürde aus sicherlich einem guten Grund aufgehalst habe. Jedenfalls war ihr der Platz im Paradies so sicher wie das Amen des Prete, der sie auch jeden Tag aufsuchte und gute Worte brachte.
Um ehrlich zu sein, hatten die nicht mehr Wert als die Lippenstifte des Sohnes.
Bei Mutter Arioli waren weder Männer- noch Damenbesuche bei den Pensionsgästen geduldet (es sei denn, es handelte sich um einen Priester, aber da wusste die Gute ja noch nicht, was sich da alles unter der schwarzen Soutane abspielen konnte).
Sie war die Güte in Person? stark im Wesen, wenn auch ihr Kaffee (wie erwähnt) schwach und somit ihr einziger Minuspunkt (aus Sicht der Pensionäre) war.
Als ich mich zur eigenen Wohnung entschloss, drückte mir die Arioli mit dem Daumennagel das Kreuz auf die Stirn, schenkte mir ein Amulett mit dem heiligen Ambrosius darauf und weinte. «Wissen Sie, wie es ist, wenn eine Mutter ihren Sohn ziehen lässt?»
Ich wusste es. Meine hat zu mir gesagt: «Geh? aber bring mir nie die Wäsche heim!»
Natürlich herrschte in der Wohnung dann bald einmal das Chaos. So kam Mimma ins Spiel. Das Gegenteil der Arioli: klein, zart und mit einem Gesichtlein so rein und wunderhübsch, dass die Autofahrer früher tonnenweise ineinandergekracht sind, wenn sie die Strassenseite wechselte...
Mimma kocht starken Kaffee. Hat aber eine andere Schwäche: SPARSAMKEIT.
Sie knausert jeden Cent zusammen, um ihn ihrer Tochter zuzuschieben. Diese soll es einmal besser haben. Das verwöhnte Kind wurde durch alle Schulen und Universitätsstudien gepaukt? und somit dann etwas Besseres. Entsprechend muss die leicht übergewichtige Kleine sich dem sozialen Druck des bürgerlichen Umfelds anpassen. Die zusammengeknauserten Euros der Mamma werden also in falsche Prada-Taschen, ebenso falsche Schmuck-Briller und einen Kleinwagen investiert, während sich die Mutter auf dem Velo wegen den eierigen Pflastersteinen der Stadt zu den Herrschaften durchrütteln lässt. Dies alles, um dort mit nicht besonders sauberer Bettwäsche und ebenso verschmutzten Geschirrbergen konfrontiert zu werden.
«Mamma mia? jetzt gönn dir doch auch mal was!», stöhnt ihre Freundin Maria, die bei der Regierung putzt und somit einiges zu erzählen hat.
Doch Mimma winkt lächelnd ab: «Mia figlia? mia gioia!»? dann ersteht sie sich auf dem Chinesenmarkt ein paar Schuhe, deren Sohlen so dünn sind wie eine päpstliche Hostie, dafür aber nur einen Hundertstel des Preises der falschen Prada-Tasche kosten.
UND DAS RÄCHTE SICH!
Als ich gestern Äpfel auf dem Campo dei Fiori einkaufen wollte (na ja? ich quäle mich eben wieder mal durch eine Apfelkur, 500 Gramm vom Bauchfett sind schon weggeäpfelt!), als ich den Einkaufskorb nahm, schaute mich Mimma tadelnd an: «Nur Touristen und Dummköpfe kaufen auf dem Campo? ich führe dich zu einem Billigmarkt an der Endstation der Tram Nummer 8.» Ich kann ja vor Mimma nicht den Krösus raushängen und willigte ein, obwohl es draussen eiergrosse Regentropfen kübelte und ich, noch bevor wir im überfüllten Tram steckten, so nass war wie ein ganzes Schwimmbad.
Wir fanden dann die Äpfel, die zwar sehr klein, um nicht zu sagen schrumpelige Miniaturköpfchen waren. ABER IMMERHIN WAREN SIE 30 CENTS PREISWERTER ALS AUF DEM CAMPO DEI FIORI! Der Trampreis hatte allerdings auch schon einen Euro hin und einen Euro zurück verschluckt, aber das darf man dann eben nicht so eng sehen...
BEIM STAND MIT DEN ÄPFELN IST ES SCHLIESSLICH AUCH PROMPT PASSIERT.
Wenns in Rom giesst, dann verpflotscht sich der Tagesstaub zu einer Art Rutschschleim auf dem Naturstein. Natürlich waren die 5-Euro-Sohlen der Chinesen dieser Klein-Naturkatastrophe so wenig gewachsen wie der Luftverkehr den wilden Ausbrüchen dieses isländischen Vulkans mit dem unglaublich gutturalen Namen. Mimma donnerte zu Boden. Und der Rest ist ein Armgips, auf den wir in der Pronto Soccorso 6 Stunden und 45 Minuten warten mussten, weil Gips unter Bagatelle läuft und es an diesem Regentag von unbagatellisierten Herzinfarkten nur so hagelte...
Was ich damit sagen will: Ich wechsle die Bettwäsche nun selber. Und die Apfelkur wurde abgebrochen.
Von der gefallenen Mimma und einer Apfelkur
Samstag, 22. Mai 2010