Von der Galatabrücke und türkischer Frauenpower

VERDAMMT. AHMED IST NICHT DA!
Hunderte von dunkeläugigen Männern mit Bart halten Kartonschilder hoch. Auf den Schildern stehen Namen wie «MISS SMITH, NEW JERSEY» oder «GLOBETROTTER REISEN, WANNE-­EICKEL». Unser Name steht nirgends. Dabei sollte uns Ahmed hier auf dem Flughafen Sabiha Gökçen auf der asiatischen Seite Istanbuls abholen. «Vielleicht wartet er beim Atatürk Airport?», unkt Innocent. «Man weiss doch, wie die ­denken? zero... null... niente!» Ich kicke ihm ans Knie, sodass die Schrauben dort lustig scheppern. Dann drohe ich: «Noch mal so eine fiese Bemerkung und ich trinke den geschmuggelten Whisky selber!» Murat hat uns den Auftrag gegeben, fünf Liter Einzelmalzwhisky mitzubringen. Einzelmalzwhisky ist Single-Malt. Ich verstehe nichts davon, aber ich nehme an, dass dies ein Malz­gesöff für Singles ist. Jedenfalls betteten wir gleich zwei Flaschen mehr davon ins Duty-free-Körbchen, weil Innocent sofort seine Schluckspecht-Augen aufriss, als er die Sorte sah: «Ein göttlicher Tropfen vor dem Einschlafen! Da pennst du so ruhig wie in Engelchens Schoss!» Nun sind wir samt den Flaschen hier? aber Ahmed nicht.
Ahmed ist ein Freund von Fahid. Fahid wiederum ist der Vetter von Selim. Und Selim ist der ­Schwager von Murat, der uns in seine Wohnung im Istanbuler Stadtteil Beyoglu lässt.
Seit ich Innocent das Lied von Konstantinopel sang und von Murats Terrässchen, zu dessen ­Füssen das Goldene Horn liegt, löcherte er mich täglich: «Wann gehen wir zum Horn? Ich muss das wiedersehen. Das letzte Mal war ich an der goldenen Hochzeit meiner lieben Eltern dort und...» Das sind nun auch schon 75 Jahre her!
Nun gut? ich habe Murat geschrieben, er soll seine Wohnung räumen und eines der Zimmer schalldicht auskleiden lassen. Wir würden am Sonntag landen. Er schrieb zurück, das Haus habe sechs Erdbeben und Kaiser Napoleon über­standen? da sei es wohl auch für Innocent gerüstet. Und eben die Bitte: «MALZWHISKY? fünf Mal!» Als wir schliesslich das Flughafengebäude verliessen, ­wurden wir flüsternd von einem mageren Männchen angemacht. ABER DER WAR NUN WIRKLICH SO ETWAS VON DÜNN, KANN ICH EUCH SAGEN! Da freust du dich gleich wieder über jedes Kilo, das dir im üppigen Überfluss rumhängt.
Das Männchen war Ahmed, der uns sofort in eine wacklige Blechkiste bugsierte und flüsterte: «Pssst... ich habe keine Lizenz. Man muss jetzt eine Bewilligung haben, um Leute am Sabiha abholen zu dürfen.» Und dann habe ich nur noch das Wort «Regierungsmafia» und «Scheisskerle» kapiert? mehr gab der Migroskurs ­«Türkisch in drei Tagen» nicht her.
Es war bereits Nacht, als wir in Istanbul einfuhren. Millionen von Lichtern flimmerten wie eine Glühwürmchen-Hochzeit rund um den Bosporus. Die Muezzin schepperten elektronisch von den Minaretten. Und wir standen im Stau. «Sie flicken wieder einmal die Brücke!»? knurrte Ahmed. Wir wissen nun, dass er auf alles, was hier Staat ist, nicht gut zu sprechen ist. Aber das türkische Strassenamt würde er ­lieber heute schon mit dem Bartmesser wegrasieren: «Immer flicken sie an der Galata Köprüsü herum. Totaler Schwachsinn... reine Schikane und Zuschiebung von Steuer­geldern an Parteifreunde.»
Nach einer Stunde konnten wir die berühmte Brücke passieren. Sie ist übrigens von einer Frau initiiert worden? und zwar von Bezmialem, der Sultan-Mutter Abdülmecids anno 1845. Schon damals hatten in der Türkei die Mütter das Sagen. Und bauten die Brücken für den Staat.
1992 waren es dann die Thyssens, welche sich der Galata Köprüsü angenommen haben. Sie ist nun 42 Meter breit. Acht Autospuren führen von Asien nach Europa. Hin und zurück. Oder eben: meistens nur sechs Spuren.
Murat wartete vor dem Haus. Seine erste Frage: «Habt ihr den Whisky?» Seine zweite Frage: «Wie lange seid ihr an der Galata im Stau gestanden?»
Unter der Türe erschien plötzlich ein kleine, schwarz gekleidete Frau. Sie lächelte Innocent freundlich zu und der alte Herzensbrecher schlauchte sich sofort in ihr Herz: «Ich bin Murats Mutter», erklärte sie in bestem Englisch. Sie blickte ihren Sohn streng an: «Was lässt du die Leute hier draussen stehen, haben sie auf der Galatabrücke nicht lange genug warten müssen?! Herzlich willkommen, die Herren... es gibt frische Baklava!»
Als wir dann auf dem kleinen Terrässchen sassen und zu unsern Füssen die Schiffe wie üppig beleuchtete Weihnachtsbäume vorbeischaukelten, als der Halbmond noch einen draufgab und seine volle, silberne Bahn auf die pechschwarze Meeresstrasse warf, da kam selbst Innocents ­stabiles Gemüt ins Schaukeln: «Hier war ich zur goldenen ­Hochzeit meiner lieben Eltern», ­schnüffelte er zu Murats Mutter.
«Ehre der Seele ihrer Mutter», sagte diese. Die Seele des Vaters liess sie unerwähnt irgendwo schweben. Dann zeigte sie auf die Brücke, auf der Hunderte von Autolichtern in die Nacht leuchteten: «Das alles verdanken wir der weisen Voraussicht unserer Bezmialem, der Sultan-Mutter.» Schliesslich schaute sie stirnrunzelnd auf die beiden Whisky-Flaschen vor Innocent: «Das würde ihre Frau Mamma aber nicht gerne sehen!» Kurzerhand annektierte sie die beiden Hochprozentigen. Und blickte ihren Sohn strafend an: «Wo ist der Stoff?!» Kleinlaut händigte auch der ihr die Dutyfree-Tüten mit den fünf Malzwhiskys ab. Ich weiss nicht, was Murats Mutter damit anstellte. Aber sicher ist, dass die Sultan-Mutter eine gute Vor­reiterin für türkische Frauenpower war.

Sonntag, 21. Oktober 2012