Von der Freude auf Gäste und Katzen-Horror

Innocent liebt Gäste. Er freut sich wie ein wedelnder Hund, wenn sie kommen.
ICH? DAS GEGENTEIL!
Ich wedle erst, wenn sie gehen.
Kommt daher: DIE PLACKEREI HABE NÄMLICH ICH! ICH? fett geschrieben.
«Du machst alles einfach zu aufwendig», wehrt Innocent laute Einwände, «WAS? SCHON WIEDER GÄSTE?», ab.
Und dann: «Die können doch ihre Betten selber machen. Und zum Essen gibts einfach Käse und Brot. Basta.»
Mit einer eigenen Kochsendung kann ich nicht Käse und Brot auftischen. Auch wenn die Sendung nur aus dem Quick-Suppen-Beutel auf­gebeselt wird?
Ich kenne die Leute: Die sind schwanger mit Erwartungshaltungen, die eh keiner erfüllen kann. Dazu sind sie gespickt mit Problemen wie die polnische Gans mit Stopfmais:
«Ach, reiss dir unsretwegen keine Beine aus! Wir sind ja so etwas von einfach.»
DANN ABER KOMMT DIE LISTE: «Hubi isst leider keine Peperoncini; er verdaut sie nicht. Und Grethchen hat diese schreckliche Milchallergie. Hast du da etwas auf Ziegenbasis?
Ich selber bin total unkompliziert ? ein klitze­kleines Handicap: Ich kann nur auf ägyptischem Linnen einschlafen. Aber das hat ja jeder im Haus. Alles andere jagt mir nämlich Flecken auf die Haut. Irgendeine Wollallergie ? nein, so sorry? auch afrikanische Baumwolle geht nicht.»
Sie vergessen die Zahnpasta. Schreien nach Feuchttüchlein. Und streifen mit den Zeigefingerkuppen über den Gläserschrank: «Zzzz? also der hats aber wieder mal nötig!»
SPÄTESTENS JETZT FRAGE ICH MICH: DU DUMME KUH, WESHALB TUST DU DIR DIES AN!
Doch schon schleppt Innocent glücklich eine Flasche vom gekühlten Weissen an ? wie ein Hund seinen Lieblingsknochen: «Kannst du mal ­Gläser? und einen Eiskübel? und hats Nüsschen?» Er ist der Typ, der sich nie alleine zuprosten kann. ER BRAUCHT DEN GÄSTERAHMEN. DESHALB: VIELE GÄSTE AM TROG! HALLELUJA.
So kommt es, dass unsere bescheidene Hütte im Reiche der Stachel-, Wild- und sonstigen Schweine zu einer frohen Pension wird. Ich watschle mir die Latschen flach.
Und da Inncoent mitten in der toskanischen Natur umgeben von Weinranken und abgesondert von jeder Louis-Vuitton-Freude leben wollte, kann ich morgens nicht einfach rasch beim Bäcker die Cornetti holen. Mein Weg, ein serpentinischer Gräuel­parcours, führt stundenlang über einen Pass, wo es den Menschen auch im heissesten Sommer graue Nebelschwaden entgegen jagt. Die Strasse ist verlöchert wie der Käse aus dem Emmental. Und die Berge kübeln ganze Hänge mit Steinen vor dich hin ? JA HALLO. DA PFEIFST DU DIR NICHT JEDEN TAG FRISCHE GIPFELI ZUM FRÜHSTÜCK REIN!
Die Alternative: Morgens, wenn es auf der Insel noch kuhlochschwarze Nacht ist, werfe ich den Ofen an. Und verbrenne schon mal eine halbe Pinie, bis der Steinbauch heiss ist. Nun schiebe ich die Tiefkühlgipfel ins Pizzarohr, damit die Gäste, wenn sie endlich zum Frühstück erscheinen, zumindest den Tag genussreich anbeissen können. Allerdings gucken sie dann argwöhnisch auf die Frischgebackenen: «Die sind mit Zucker. Ich darf keinen Zucker?! Gibts keine wie die Laugengipfel vom Konsi?»
DA BRAUCHST DU KEIN FRÜHTURNEN. DA KOMMT DAS ADRENALIN AUCH SO IN SCHWUNG.
Die Wetterfrage ist ein zentraler Punkt des Tages. Ich weiss nicht, welcher Trottel den Menschen eingeflösst hat, dass es in Italien stets ­sonnig sei. Vermutlich stammt diese Mär noch aus jener Zeit, als Vico Torriani sein «O sole mio» zwitscherte. Tat­sache ist, dass in den letzten 20 Jahren das Wetter in der südlichen Toskana kaum anders war als im nördlichen Helvetien. Wenn ich aus Basel höre «es schifft à gogo», weiss ich, dass es 24 Stunden später auch bei uns schütten wird. Die Klimaveränderung hat uns näher zusammengebracht als das Büro für Integrationsarbeit.
Nach dem ersten Hahnenschrei klappere ich mich auf dem Internet also durch alle Meteo-Stationen und lüge parallel zur Konfitüre: «Der Quittengelee ist hausgemacht? das Wetter wird auf Mittag besser!»
(Natürlich ist der Quittengelee vom Tankstellen-Shop und das Wetter bleibt die nächsten 72 Stunden verschütt.)
Was fängst du auf einer einsamen Insel mit Gästen an, die nur hauchfeine Hermès-Schläppchen und zwölf seidene Outfits von Max Mara aus ihren Gucci-Köffern schälen?
Es ist schwierig, ein Touristenprogramm auf die Beine zu stellen, das die Menschen packen kann. Die frisch aufgerichtete «Concordia» vis-à-vis hat nach zehn Minuten ihren Faszinationsbonus eingebüsst, da sie nicht auseinanderbricht. Und das Tomatenpflücken im Garten wurde sofort mit «Igitt, da hats ja Würmer drin» verworfen. Und: «Sind wir hier im Katastrophen-Camp? hähä!»
Aber gottlob haben wir Katzen. Wilde. Diese sorgen unermüdlich für unterhaltsamen Nachschub, sodass zumindest dieser Programmteil einen Moment Zerstreuung und lustige Katzenflohbisse verspricht: «Katzen füttern in der Wildnis?» das ist einer der raren Tages-Events.
Es nützt nichts, dass die Förster und Naturwächter der Umgebung dieses Füttern strengstens verbieten ? Thunfisch-Büchsen und Maremma-Rinder in Dosen werden eingekauft. Und an die Miezen aufgebüchst.
«Die Insel wird von Ratten und Mäusen über­flutet, wenn sie die Tiere so mästen!» ? brüllt der Leder­stiefel-Polizist unsere mit Hühnerbrust herumjagende Örsi an. «UND WAS IST, WENN DIESE BESCHISSENE KITEKAT-ZEIT VORBEI IST? DANN HABEN DIE VIECHER DAS JAGEN VERLERNT UND BEZIEHEN BEAMTENPENSION!»
Daraufhin hat Örsi dem gestiefelten Polizisten-Kater sehr ungalant den Stinkefinger gezeigt ? dies, wo wir doch alle wissen, dass ähnlich unflätige Gesten nur deutschen Kanzlerkandidaten vorbehalten sind.
Morgen besuchen wir sie im Gefängnis. Und bringen eine Dose Thunfisch mit.

Dienstag, 29. Oktober 2013