Donnerstag Es war so ein Zwischending zwischen Killer-Oma und verarmter Erzherzogin. Sie sass beim Frühstück im Münchner Hotel Vier Jahreszeiten. Vor ihr: Zwei Scheiben Ananas. Und ein hartes Ei. Der Service hatte es nicht einfach mit dem Gast. «Das soll heisser Kaffee sein? Ich komme seit einem halben Jahrhundert hierher. Noch nie war der Kaffee so kalt. Also bitte!»
Die Service-Mamsell liess sich einschüchtern wie der Pinscher von der Dogge. «JAWOHL, GNÄDIGE FRAU!»
Wieder ein eklatanter Fehler? denn: «Es mag ja sein, dass hier sogenannte gnädige Frauen verkehren und irgendwelchen arabischen Arabern ihre Gnade mit Geld abgelten lassen. Aber ich bin Frau Geheimrat Lachendolder. Dies seit über 60 Jahren. Und damit wollen wir es auch gut sein lassen.» «JAWOHL, FRAU GEHEIMRAT.»
«Bitte wie?»
«ZU IHREN DIENSTEN, FRAU GEHEIMRAT LACHENDOLDER.»
Die Brille, welche Frau Geheimrat an einer Hornkette vom müden Busen baumelte, wurde aufgenommen. Die Alte beobachtete die davoneilende junge Frau. Dann Kopfschütteln: «Nur gut, dass dies Heinz-Egon selig nicht mehr erleben muss.»
Sie schlug das Ei energisch auf? mein Beileid galt dem verblichenen Heinz-Egon.
Eingangshallen und Frühstückssalons sind ein Grund, weshalb ich Innocents Kreditkarten strapaziere. Und immer in diesen alten Kästen absteige, die irgendwann bessere Zeiten gesehen haben. In den Lobbys eines «Sachers» oder «Adlons» spielen sich an einem Nachmittag mehr Geschichten ab, als RTL in 20 Sendejahren je abflimmern kann. Überdies sind sie spannender als der ganze TV-Shit. Die Geschichten werden hier nur angetippt. Sie liegen vor uns wie Billardkugeln auf dem grünen Samt. Dann kommen sie ins Rollen? und wo sie enden, bestimmt unsere Fantasie.
Ich vermute, dass Frau Geheimrat Lachendolder aus demselben Grund wie ich hier so lange an ihrem harten Ei rummuffelt. Sie liebt Geschichten. Und die lassen ihr Adrenalin sausen.
Ich spüre, wie mich ihre kalten Augen von oben bis unten mustern. Und ich spüre auch, dass das, was sie sieht, kein Gramm Begeisterung auslöst. Jedenfalls hörte ich einen Seufzer. Dann ein verärgertes «... UND WEISSE SOCKEN IN GRÜNEN SCHUHEN!!», dann das herrische «Mamsell? bringen sie mir heissen Kaffee. Ich muss das runterspülen.»
Niemand im Speisesaal wusste, ob das harte Ei oder meine grünen Schuhe gemeint waren.
Später, als das eingeschüchterte Häschen von einer Serviertochter zum dritten Mal «endlich heissen Kaffee!» anschleppte, wurde Frau Geheimrat zutraulich: «Ich sage Ihnen jetzt etwas mein Kind? früher war man in diesem Haus noch unter sich. Manchmal kam gar der Erzherzog Hans-Ludwig. Und die Fürstin Klafutti. Gott, was für ein elegantes Paar! Er beschenkte sie mit Perlen zum Frühstück. Jeden Morgen liess er ihr eine neue in einer verschlossenen Auster servieren. Und wenn die beiden abreisten, hatte die Fürstin ein fürstliches Collier. Ich meine, das waren noch Zeiten...»
«Ja», sagte die Serviererin. Und senkte die Augen.
Frau Geheimrat kam nun ins Schwärmen: «Als die Melba da vorne in der Oper die Tosca sang, hat ihr ein Verehrer die ganze Maximilianstrasse mit Rosen bestreut? bis zu ihrem Tisch dort. Dabei hatte die Melba eine Rosenallergie? aber eine Geste war es eben doch. EINE GROSSE GESTE. Sie verstehen, was ich meine.»
«JA, FRAU GEHEIMRAT.»
«Wie bitte!?»
«ZU IHREN DIENSTEN? FRAU GEHEIMRAT LACHENDOLDER!»
«Noch einen Kaffee bitte, aber heiss. Der hier war kalt wie eine Dreitagesleiche!»
Mittlerweilen hat eine Gruppe von Russen den Frühstückssalon betreten. Ihre Handys blinken hysterisch wie die Scheinwelt von Las Vegas. Die Frauen tragen nicht viel. Aber das, was sie tragen, trägt immer ein Label von Vuitton. Die Männer lassen es mit Rolex und taubeneigrossen Brillanten am kleinen Finger klotzen. Dann rufen sie nach Champagner. Sie füllen sich am Buffet die Suppenteller mit Rührei voll, brüllen wieder? diesmal nach Kaviar. Und PIIIPPIIIPPIIP singen ihre Handys.
Frau Geheimrat Lachendolder schaut entsetzt, wie die russischen Frauen den Kaviar mit Suppenlöffeln reinhoovern. Und die Männer mit aufgestützten Ellbogen die Champagnergläser ex leersaufen. «MAMSELL!»
«JAWOHL FRAU GEHEIMRAT LACHENDOLDER!»
Die Alte erhebt sich mühselig vom Tisch. «DIESER OST-PAPST WAR DAS ALLERLETZTE. SCHAUEN SIE WAS ER ANGERICHTET HAT!»
Einer der russischen Männer warf seiner vollbusigen Begleiterin einen Bündel mit Euroscheinen zu. Die XXL-Barbie lachte schrill auf? der Busen wippte wie italienische Crema caramella, wenn diese auf die Platte gestürzt wird.
«Schicken Sie die Rechnung in die Villa», bellte Frau Geheimrat zur Serviererin. «ZU DIENSTEN, FRAU GEHEIMRAT LACHENDOLDER!»
Ich ziehe mir noch rasch einen von diesen wunderbaren Mangosäften rein und steuere auf den Ausgang zu. Dort höre, ich wie der Oberkellner die Service-Mamsell zusammenstaucht. «Sie wissen doch ganz genau, dass die Alte keinen müden Cent besitzt? also werfen Sie sie das nächste Mal raus. Die lebt doch in Ihrer alten Spinnerwelt!»
«Jawohl, Chef», sagt diese.
