Ich stehe am Flughafen. Und warte.
Wer ein gastfreundliches Haus hat, wartet immer.
IMMER. Das WARTEN fängt beim Frühstücks-Ei für die Gäste an («wann stehen diese Penner eigentlich auf?!»). Und es hört nach dem Nachtessen am Runden Tisch beim vierten Fläschlein immer noch nicht auf. Seit Stunden schon drehen sich die gescheiten Diskussionen wie ein Formel-1-Rennen im Kreis herum. Und nachdem die zweite Kiste mit dem drittklassigen Roten leer war, war es auch das Gerede. Kaum mehr verständlich. Nur noch «labberlabberlabber. UND DU WARTEST TOPFNÜCHTERN DANEBEN. Du wartest darauf, dass sie endlich die Klappe halten und sich in dieselbe zurückziehen.
Am andern Morgen dann WARTEN beim Frühstückstisch.
Die Gäste kommen mit der zweistündigen Verspätung eines durchgerüttelten Vulkan-Flugplans an die üppig gedeckte Tafel. Du wartest auf irgend ein nettes Wort, ein «HIMMEL, WAR DIESER FISCH GESTERN GÖTTLICH!»? aber sie gähnen über die Konfitüre hinweg, lassen ihre Augensäcke wippen und müffeln: «Ihr habt Flöhe in den Matratzen!»
Es ist dieser Moment, wo du die Eier in die Pfanne haust und wünschst, es wären die Gäste. O.k. SELBER SCHULD. Und vielleicht ja doch nicht. Denn irgendwie liegt das alles in der genetischen Veranlagung.
Schon die liebe Mutter war eine Hobby-Wirtin. Vater schleppte nach dem letzten 3er-Tram gegen ein Uhr morgens immer ein paar verwirrte Fahrgäste und den Billeteur heim. Die gute Gattin hatte drei Stunden strickend auf diesen Moment gewartet, um dann mit einer hausgemachten Tomatensauce zu Spaghetti sowie den stets etwas zu hart geratenen Kokos-Makronen beim Kaffee zu glänzen.
Waren Gäste zum Übernachten angesagt, wurden die Zimmer wie für eine Prozession hergerichtet: Blumensträusschen in allen Gläsern und Väschen... Duftstäbchen (damals der letzte Schrei), welche vergessen vor sich hin glimmten...
REINFALL! Die Erwartungshaltung wunderbare Leute zu beherbergen, die bei jedem Tablett mit Filterkaffee und den oben erwähnten vermaledeiten Prothesenknallern in Makrönchen-Form begeisterte Jubelschreie von sich geben würden («Ach Kinder, bei euch isst und ist man am liebsten!»). Solche hochgesteckten Erwartungen wurden immer aufs Tiefste enttäuscht.
IMMER.
Ich kann mich noch gut an unseren Adelbodner Bauernnachbar Göpfi erinnern, der direkt aus dem Kuhstall zur Mustermesse kam und das puffsüsse Rauchstab-Parfüm im Gästezimmer mit derbfröhlichen Mistwolken überdeckte. Er äugte zu Mutters Kokosnuss-Elenden. Dann nahm er bei deren harten Anblick die oberen Zähne raus. Und nuschelte: «Ig wot mer doch mit dyner herte Guetzeni nit myner Protheesi vercheiiibe...»
Damals hatte auch Mutter die gastliche Pension für drei Wochen geschlossen.
UND NUN ALSO DAS ERWARTEN DER GÄSTE AUF DEM FLUGHAFEN FIUMINCINO. Ich warte nicht alleine. Es ist eine riesige Warterei. Die Wartenden kennen einander. Sie nicken wortlos den andern Mitwartenden zu. Und halten Plakätchen hoch :«DR. SCHMITT-SCHULZE? VATICANGROUP» oder «TRAUERFALL BERLUSCONI». Immer wieder, wenn die Türe nach der letzten Zollkontrolle hektisch auseinanderzischt und wieder drei, vier Passagiere rausspuckt, wird diesen Arg- und Ahnungslosen «Paris?»... «New York?»... «Basilea?» entgegen-gehiept.
Vor der Schranke geht dann diese nervige Geschäftehuberei mit den Handys los. Alle reden auf das kleine Apparätchen ein. Und immer wieder kleben die Gesichter an diesen Anzeigetafeln, die in eiskaltem Neonblau stoisch verkünden: in ritardo... in ritardo... in ritardo.
Die Menschen auf einem Flughafen sind gespickt mit Geschichten. Ich spinne mir die Storys dann noch bunter, wie etwa bei diesem Pfaffen im wadenlangen Rock und den hautengen Jeans darunter.
Seit anderthalb Stunden wartet er geduldig.
Geistliche sind das lange Warten auf den glückseligen Moment gewohnt. DOCH DANN DIE BELOHNUNG.
Ein zweiter Schwarzrock schreitet endlich, endlich durch die Zolltüre wie ins glückseligmachende Paradies. Schon sinken die beiden einander in den Armen, als hätte einer von ihnen ein Goal geschossen. Schliesslich knübelt der Neuankömmling einen Fotoapparat aus seinem Nylon-Rucksack. Er bittet mich die wunderbare Ankunft im Bild festzuhalten.
Beide winken glücklich in die Linse. Aber der Blitz geht nicht los. Wir jagen zum TABACCHI, um eine neue Batterie zu kaufen. UND JETZT EXPLODIERT DER FLASH GLEICH DREIMAL, WEIL ICH ZU LANGE AUF DEM DRÜCKER RUMFINGERLE. JA, HÄTTE EINER GAR NOCH DAZU GEDONNERT, WÄRE ES GEWESEN, ALS HÄTTE MAN DIE BUNDESLADE SCHON WIEDER VOM HIMMEL AUF ERDEN GESCHICKT.
In all diesem stressigen Gewusel, Gewimmel, Geknipse und «please one more picture... you are so kind, thank you soooo much!», düüdelt auch mein Handy: «DU PFEIFE! ICH STEHE BEI DER ZOLLTÜRE. KEINE SAU WEIT UND BREIT. WO STECKST DU EIGENTLICH?» Dies nach einer dreistündigen Verspätung. Ich jage zum «Arrivi»-Eingang zurück und alarmiere sofort Innocent auf der Insel: «Die Räucherstäbchen, los... und nimm die Kokos-Makronen aus dem Ofen...!»
Hugo steht säuerlich da: «Ja gehts dir noch... ich komme nicht in die Ferien, um stundenlang auf dich zu warten!»
Ich wünsche ihm die Flöhe ins Bett und umarme ihn: «Herzlich willkommen!»
Von der ewigen Warterei und Flughafen-Impressionen
Samstag, 5. Juni 2010