Montag - Agathe Bitterlein war einst ein liebenswertes, einfühlendes Mädchen. Keine hat sanfter abgesaugt als Fräulein Bitterlein. Keine tupfte besser. Und nie hätte sie ihren Kunden die Zunge so teilnahmslos rumgeschoben, wie einen Abfallsack. Ich meine: Agathe Bitterlein war sanft. Einfühlsam. Drückte mit ihrem kleinen Handspiegel die ängstlich schwitzende Zunge des Patienten leicht nach hinten. Und saugte vorne den Rest ab. Das war Fräulein Bitterlin - Zahnarztassistentin mit Abschlussnote 1,4. Also im Rang.
Ich habe die kleine Agathe in allen ihren Lernstufen miterleben dürfen - von der Amalgammischerin bis zur Spritzenreicherin («Hier, Herr Doktor» - «Danke, Fräulein Agathe»), als sie mir den Dreier links eintäuben mussten.
Zur bestandenen Prüfung habe ich Fräulein Agathe eine nette Poesie geschenkt:
«1,4 - ist das nicht fein? - ES LEBE FRÄULEIN BITTERLEIN!»
Dazu eine mittlere Schachtel Frigörlein. Sie nahm beides mit schelmischem Zeigefingerschwinger entgegen: «Aber, aber - wir sollten doch keine Schokoalde essen, Sie Schlimmer. Nun ja - dann machen wir mal eine Ausnahme?» Und so arbeitete Fräulein Bitterlein mit 1,4 und mehr Lohn als früher weiter einfühlsam neben Zahnarzt Hieronimus Bohrer, bis dieser ihr den dummen Floh in den Zahn setzte: «Lassen Sie sich doch als Dentalhygienikerin ausbilden?» DA WECHSELTE FRÄULEIN AGATHE DIE SEITEN.
Nun assistiert sie nicht mehr. Sie saugt auch nicht. Sie wächst über sich selber hinaus, greift zum Marderial und lässt die Sau über meinen Zähnen ab.
Nichts mehr von Feinfühligkeit. Kein sanftes Kitzeln mit dem coolen Spiegelchen mehr. Nur noch harte Kratzerei und dieses elende Gepfeife des Zahnschmelzzertrümmerers auf Laserbasis.
Agathe Bitterlein ist innert weniger Monate zur Dentaldomina geworden. Über meine obere Reihe schüttelt sie missbilligend den Kopf: «Aber - aber». Dann: «zzz - zzz». Die Worte: «Sie sind ja ein echtes Ferkel - putzen Sie Ihre Zähne eigentlich nie?!», lässt sie als dunkle, ungeregnete Gewitterwolke über dem Zahnarztstuhl schweben. Dann legt sie mich wieder flach. Und geht an meine Beisser wie Schneewittchens Zwerge ans Geröll im Bergwerk.
Zum hundertsten Mal zeigt mir nun Agathe Bitterlein wie ich meine Zähne nach jedem Genuss von Schokolade, Cereal-Riegeln oder Viergangmenüs zu putzen habe. Ich verstehe jetzt auch, dass alle Menschen mit einem Rucksack herumlaufen müssen. Die haben dort das dentale Putzwerkzeug drin.
Ich kaufe mir also von diesen geborstenen Stäbchen, welche ich durch die Ritzen zwischen meinen Zähnen durchzuschieben habe. Ich kaufe mir von diesem salamandergrünen Mundwasser, das alles zusammenzieht. Und ich kaufe mir die Elektrozahnbürste mit Akkustab, damit ich sie auch im Tram benutzen kann: «Ansonsten garantiere ich für nichts. FÜR GAR NICHTS!» - hat Fräulein Bitterlein geunkt. Und dann liess sie die Wolke platzen: «Wer stark raucht, sollte eh drei Mal täglich abkratzen». Meine Lieben - der Termin für die Dentalhygiene ist morgen. Meine Zahnzwischenräume sind gebohnert und geschrubbt; das Zigarillo-Braun ist runtergekratzt und die Poesie mit der Frigor-Schachtel im Rucksack:
«Der Mund gespült, das Zahnfleisch rein. ES LEBE FRÄULEIN BITTEREIN.»
Dienstag - DAS TRAM - A:
Habe mir ein Combino-Tram an den Mantelkragen fahren lassen. Gold. Mit Tramdepot.
Man soll die BVB ja unterstützen - die Basler Vasnachts-Betriebe.
Dann Mantel in der Beiz an Garderobe gehängt.
Zwei Frikadellen reingezwitschert.
Mit Cola light gespült.
Auf der Toilette die dentalen Zwischenräume gepflegt (siehe oben). Bürstinstrumente ausgewaschen. Alles hygienisch einwandfrei verpackt. Mantel geholt.
UND WAS MUSS ICH SEHEN: Mein Combino-Tram ist am Kragen abgefahren!
Dem ehrlichen Dieb wünsche ich alle Dentalhygienikerinnen dieser Welt an die Wurzeln gehetzt!
Mittwoch - Hildegard S. aus Binningen downtown schreibt:
«Sehr geehrter Herr -minu. Am Heiligen Abend habe ich Ihre Kalbshaxe ausprobiert.» (Ich mag nicht, wenn die Frauen so über meine Beine reden. O.k. Sie sind nicht mehr wie früher. Aber seit mein hitziger Beindoktor die dicksten Adern rausgefädelt hat, können sies mit den Kessler-Zwillingen wieder aufnehmen.)
Hildergard von Binningen schreibt also weiter: «Ich habe die Haxen stundenlang bei acht Grad im Ofen garen lassen. Gestern habe ich sie endgültig aufgegeben. Sie sind noch roh wie einst, und selbst Waldemar, was mein ansonsten gutmütiger Dackel ist, hat knurrend einen Bogen um sie gezogen!»
Liebe Hildegard aus Binningen - «Das mit acht (8!) Grad war ein Druckfehler. Das kommt in Zeitungen schon manchmal vor. Sie verwechseln da auch gerne Coiffeure mit mundharmonischen Gärtnermeistern, oder Eishockeypräsidenten mit Kunstmäzenen. Am besten, du taust jetzt die Haxen auf und schiebst sie nochmals bei 80 Grad rein. Grüsse an Waldi!»
Zuerst die Dentalhygiene. Dann die Haxe aus Binningen - das Jahr fängt heiter an.