Von der Brautfahrt im Polo und viel Tüll

Es ist, als hätte der liebe Gott Italien zum Pizzaofen gemacht. Und den mal zünftig eingeheizt.
ZUR HITZE DANN NOCH SCHWARZ!
Ok. Ich habe Schwarz gewählt. Meine Schuld. Und es war keine politische Wahl, sondern die Auslese im Kleidergeschäft. Der etwas schräge Blick des Verkäufers auf meine Figur und sein griffsicherer Kommentar, als er mir die glänzende Scheusslichkeit vor den Bauch hält, «fa magro», haben den Ausschlag gegeben. Schwarz federt die Pneus ab. Aber ich sehe darin aus wie auf meiner eigenen Beerdigung. Das Trauerspiel wird von einer weissen Kunststoffschleife im Knopfloch und einem blassgelben Röslein verziert.
Und dann die Braut. Wie eine wild gewordene Hummel schwirrt sie durch die enge Portiere-Wohnung, wo gestern Nacht die angereiste kalabrische Verwandtschaft jede freie Ecke mit Schlafsäcken und Gummimatratzen belegt hat.
«Diese Hitze... che calura», stöhnt die Liebliche, die vermutlich lieber einem Eisregen als ihrem zukünftigen Gatten das Ja-Wort geben möchte. UND NATÜRLICH KANN ICH DIE GUTE FRAU VERSTEHEN. Sie hat massige Ausmasse. Und da ist eine Schattentemperatur von 41 Grad Celsius nicht gerade das, was dich zur lieblichen Braut macht. IM GEGENTEIL. Du tropfst wie 20 Gartenbad-Duschköpfe und bist dir bewusst: Mit all dem Tüll, der an deinen runden Teilen schweisskleben wird, siehst du schon nach einer halben Stunde aus wie ein ausgelaufenes Pralinenei...
Nun will ich ja nicht an Antonella herummäkeln oder gar Kritik üben? BEWAHRE. Aber sie hat nun mal die Ausmasse einer Walküre-Sängerin. UND SO ETWAS DARF NUR EIN GANZ VERWEGENER REGISSEUR WIE PASOLINI IN WEISSE RÜSCHEN KLEISTERN.
Wie Antonella das Kleid zum ersten Mal an Leib und Kilos wallen lässt... wie da die zugereiste kalabrische Familie kreischend zu Kameras und Handy-Knipserchen greift... wie man der Brautmutter in der falschen Zuckersüsse dieser Prothesenkiller-Mandeln, die überall in trompetengoldigen Schälchen herumstehen, versichert, noch nie, aber wirklich noch gar nie so eine schöne Braut gesehen zu haben... Also ehrlich, da müssen wir an diese ägyptisch-üppige Sofagruppe im Nil-Haus meines Freundes Ahmed denken. Und Antonella wäre dort nicht etwa der grosse Ohrensessel, sondern das etwas ausgeleierte Rüschensofa...
GENUG DER SPITZEN WORTE!
Schliesslich warten im Treppenhaus, das über allen Staub der Jahre hinweg mit knisterndem Krepppapier wie der Pharao im Sarg einbalsamiert wurde, die Gäste. Man erkennt sie an den lampigen Röschen im Knopfloch. Und an den bissigen Bemerkungen, die sie einander zuflüstern: «In welchem Monat ist sie? Und dann in WEISS?! Diomio!»
Zwei für diesen Tag engagierte Videoteams sowie sechs gemietete Fotografen versuchen einen Hauch von schwedischer Königshochzeit zu verbreiten? statt einer royalen Kutsche stinkt allerdings ein Bentley aus den Zwanzigerjahren in den Hinterhof. Lächelnd steigt die Braut mit ihrem Vater ein. Sie ist die Einzige, die lächelt, denn der Vater hat für alles die Rechnung präsentiert bekommen...
Nun setzt sich der livrierte Chauffeur ans Steuer. Die Braut? jetzt fest geschnürt wie eine sizilianische Salami? kann kaum atmen, winkt aber Leichtigkeit vortäuschend heiter nach links und rechts aus dem Wagenfond. Das hätte das dumme Kind nicht tun sollen? denn erstens reisst gleich unter dem Winke-winke-Arm der Stoff. Und zweitens gerät sie durch die Bewegung in der Tüllwucht derart ins Schwitzen, dass die Puderschichten ins Schwimmen kommen. «Stopp!», brüllt nun das liebliche Mädchen, das eigentlich schon seit zehn Minuten vor dem Altar stehen sollte. «STOOOOP!» Hurtig schaffen Cousinen und Tanten den Schminkkoffer sowie ein Nähnecessaire herbei. Man restauriert, was zu restaurieren ist.
Endlich ist BRAUT so weit? der Vater setzt bereits zum sechsten Mal den Flachmann an. Dessen Inhalt besteht aus einem Teufelsgebräu, das ihm die Familie seiner Frau heimlich zugesteckt hat: «Für alle Fälle...»
«Fahr endlich, du Trottel!», brüllt die Liebliche nicht gerade prinzessinnenhaft. Der dreht sich um. Zuckt die Achseln und sagt nur: «Ebe!». Damit kündet er an, dass die Hitze den Oldtimer k.o. geschlagen und die königliche Fuhre nun in Gottes Hände gelegt hat...
Hurtig wird die Braut in unseren kleinen VW-Polo umgebettet. «Gottlob habe ich ihn letzte Woche noch gewaschen», raunt Innocent. Und schon jagen wir zur Piazza Santa Maria di Pietro e Paolo. Die Kalabresen verfolgen uns laut hupend? ein Gehupe, das nur noch von den Kirchenglocken und dem Geschrei des Küsters an den Glockenseilen übertönt wird: «Verdammt? wo bleibt ihr denn?! Mir fallen fast die Arme ab...»
Dann Hochzeitsmarsch, wie wir es im Film gelernt haben. Langsam tritt die verschleierte Tochter am Arm ihres Vaters zum Altar. Der Bräutigam steht sich dort seit einer Stunde die Beine in den Bauch und hat mindestens schon dreissig Mal das Gezeter seiner Mutter anhören müssen: «Ich habe dich vor ihr gewarnt... ich habs ja kommen sehen...» Nun gehen seine Augen gross auf. Er sieht? die Tradition will es so? die Erwählte zum ersten Mal in ihrem Brautkleid. Er schluckt drei Mal leer. Und in der schwedischen Hochzeitsreportage würde es heissen: «IHR ANBLICK HAT IHN ÜBERWÄLTIGT...»
«Lasset uns beten», erhebt der Pfarrer die Stimme. Und das tun wir alle inbrünstig? jeder mit seinen eigenen Wünschen nach oben. Nur Innocent wendet sich diesbezüglich klar und in gewohnter Lautstärke an den Brautvater: «Kann ich mal den Flachmann haben?»

Samstag, 24. Juli 2010