Als ich bei den Adabais an dieser seltsamen Holztüre mit den goldrauschenden Vohängen und der Fatimahand anklopfte, empfing mich eine kichernde Mädchenschar.
Die Adabais wohnen in einem Aussenquartier von Istanbul. Früher sind hier Ziegen rumgehüpft.
Heute: HOCHHÄUSER, HOCHHÄUSER.
Man kann das Istanbul von früher vergessen. Seit sie die Kulturstadt 2010 daraus gemacht haben, gibts hier Ziegen nur noch in Picasso-Format.
Keramik und so. Im grossen Bazar, wo es einst herumwuselnde Händler den Touristen mit «Gutes Tappiche... schöner Lamp... fein Silberelefantig» angeschlaucht haben, herrscht jetzt Krawattenzwang. Oder eben: 5th Avenue mit Dach. Die junge Verkäufergeneration von Istanbul empfängt dich mit perfektem: «Tschüssli... dem Dialekt nach kommst du aus Basel, Hegenheimerquartier!» Dann verkaufen sie dir mit charmantem, unaufdringlichem Lächeln einen handgrossen Teppich für 2000 Hämmer.
Natürlich weiss jedes Kind, dass man auch im modernen Istanbul feilschen muss. Entsprechend ist das Flecklein Teppich auch mit 4000 Dollar angeschrieben gewesen. Du ringst. Weinst.
Verwirfst die Hände. Und schmeisst dich schreiend auf den Boden. Du tust alles, wie es dir einer vor 40 Jahren im Handfeilschbüchlein «WIE HOBLE ICH DEM ARABER EINEN RUNTER» aufgeschrieben hat. Du bist schon drei Mal vom Laden weggelaufen... hast den Händler bei der Seele seiner Kinder um Barmherzigkeit angefleht.
ABER NATÜRLICH MUSST DU JETZT DIESEN TEPPICHFETZEN HABEN. DU GEILST SO HEISS DARAUF, WIE HERR BERLUSCONI AUF DIE SCHULMÄDCHEN.
Und eh du richtig kapiert hast, was da mit dir geschieht, gibst du in Trance gesunken irgend einem Zefir deine Kreditkarte. Schon trägst du ein kleines Paketchen voll Teppich nach Hause? in dieses Heim, wo du vor zehn Jahren alle Teppiche raus- und die Bodenheizung reingezwungen hast.
«Ein wunderbares Stück», schleimt Zefir. Ihm sind Bodenheizungen egal. Du versuchst in Panik alles rückwärts zu spulen? UMSONST. UND DABEI KANN DER TEPPICH FÜR DIESEN EXORBITANTEN PREIS NICHT EINMAL FLIEGEN!
Gut? Istanbul boomt. Igendwie hat es damit den verzauberten Schleier des Orientalischen verloren.
In 14 Tagen Istanbul habe ich ein einziges Mal eine Frau in einer Burka gesehen. Wenn ich in Münchens Englischem Garten spaziere, wehen mir an einem Sonntag mindestens ein halbes Hundert vermummte Muselmaninnen entgegen.
In diesem Sinne ist München orientalischer als die Stadt am Bosporus.
Zurück zu den Adabais. Es war mein türkischer Gemüsehändler Ogün, der mir die Adresse der Adabais zugespielt hat: «Ist Tante... von eines angeheiratetes Vetter... und dessen totes Onkels Schwester... sie machen bestes Baklava in Welt... immer in Haus auf Lehmigboden...»
Das Aussenquartier, wo die Adabais kücheln, unterscheidet sich nicht die Bohne von einem Londoner, Pariser oder Berliner Vorort. Überall stehen ein paar abgehobene Wolkenkratzer herum. Dazwischen Shopping-Meilen. Und Aldi ist auch schon da.
Das Baklava-Haus war dann kein Wolkenkratzer.
SONDERN DAS PURE GEGENTEIL: EIN ZWERGENHOHES FLOHBARÄCKCHEN. EINSTÖCKIG. UND MIT DEM CHARME EINER BRÖCKELNDEN PUPPENSTUBE.
Nachdem mich die kichernden Mädchen taxiert und enttäuscht als «zu verblüht» eingestuft hatten, schaute mich Frau Adabai streng an: «Schuhe aus!» Ich hatte ihr Heiligtum mit den Schuhen betreten. Und das machen in orientalischen Häusern nur die ganz grossen Dummis aus der westlichen Alpenwelt... Ich genierte mich ein bisschen wegen des hervorstehenden Zehens aus dem Sockenloch, aber Frau Adabai übersahs vornehm. Nur die Kichermädchen knipsten es sofort mit ihren Kleinsttelefonen und setzten die Schande in ihre Facebooks.
Das ist auch so was: Früher hatte in jedem orientalischen Märchen eine junge Frau den Fächer in der Hand, mit dem sie ihre herrlichen Augen neckisch verdeckte (natürlich nur halb) und die Männer 1000 und eine Nacht mit Erzählungen glücklich machten. Heute aber wedeln die jungen Dinger mit einem i-Phone herum und rufen tausend und einen Börsenkurs ab.
Nun schleppt eine Grossmutter in Pluderhosen, von denen ich nicht sagen kann, ob es die neuste Macke des Herrn Lagerfeld oder ein Retroversuch in die original türkischen Siebzigerjahre ist, einen Stuhl heran. Auf den soll ich mich setzen. Schon breiten fleissige Hände vor meinem aus der Socke stierenden Zeh Tücher aus. Sie schleppen Schüsseln und Nudelhölzer, kleine runde Tische und Backbleche herbei. Eier werden mit Joghurt und Öl vermischt, dann mit Mehl angereichert und zu einem Teig geknetet... dazu summt die Pluderhosen-Omi mit Fatima Adabai das Neuste aus dem Musical «Mamma Mia», während die Natelknipsenden Kichererbsen-Tee in Gläschen schütten. Und den fetten Gast zum Teufel wünschen, weil sie seinetwegen daheim bleiben müssen. Und Heisseres auf dem hormonellen Programm gehabt hätten...
Es ist wenig sinnvoll, wenn ich hier das Prozedere der Baklava-Geburt beschreibe? aber eines kann ich euch flüstern. ES GEHT ELLENLANG. Zum Schluss, wenn die siebenschichtigen Blätterteigdinger mit den gehackten Nüssen zwischen jeder Schicht aus dem Ofen kommen, werden sie mit einem Zuckersirup getauft. Und man muss nochmals drei Stunden warten, bis sich der Sirup durch alle Schichten gesoffen hat. DANN ERST DARF MAN ZUGREIFEN!
Aber ich kann euch sagen: DU SCHAUST KEINE ANDERN BAKLAVAS MEHR AN. ES SIND WIRKLICH DIE WELTBESTEN. UND SELBST KLEINE ESSER WIE ICH SCHAFFEN DA RUND VIER BLECH OHNE KOLIK!
Als ich mich in einer Sonntagszeitung über den Genuss dieser Baklava elegisch ausliess, schickte Erdem aus Basel eine Mail: «DAS IST DOCH SCHEISSE? MEIN MAMI MACHT DIE BESTEN. PROBIER SIE MAL.» Ich lasse es darauf ankommen.
Und werde die Socken wechseln...
Von der Baklava-Bäckerei und kichernden Mädchen
Samstag, 21. April 2012