Von der Auswahl bei Urnen und Winnifriede im Netz

Mittwoch - Im Urnenladen ists wie im Super-Center: Das Billige steht unten, damit man sich vor dem günstigen Preis verbeugen muss.

Das Exklusive steht oben. HIER AUF SAMT. ODER DEZENT AUSGELEUCHTET.

O.k. Herr Normalbürger kommt ja nicht täglich dazu, eine Urne zu shoppen. Urnen sind kein Diät-Jogurt. Und keine Zwiebeln. Urnen sind etwas Hehres. Etwas Einmaliges. ETWAS FÜRS LEBEN! (Von aussen betrachtet.)

Die Verkäuferin, eine reizende Dame im Hermes-Schal und mit dem Duft, den Coco Chanel einst auf die Frauen sprayte, zeigt mit ausladender Geste auf Bauchiges. Schlankes. Tönernes. Solches mit goldenem Ölzweig drauf. Und auch auf die elegante Schachtelform: «Die Schachtel ist die ideale Art, wenn Sie beabsichtigen, den lieben Verstorbenen in ihrem Heim aufzubewahren. Die Schachtel ist nie aufdringlich - die gerade Form passt sich jedem Haushalt an. Architekten der neuen Cool-Linie sind von der Schachtel geradezu begeistert. In Weiss, Schwarz oder Aicru ist sie ein Schmuckstück für jedes Haus.»
Bleibt die Frage, ob man den lieben Verblichenen zu Hause aufbewahren WILL. Ich meine bei aller Liebe: Aber was soll der tote Onkel Max auf dem Kamin?

Bestechung. Früher durfte man so etwas nur mit amtlichem Segen. Als Onkel Willi hingerafft wurde und Hannelore ihn einäschern liess, wollte sie den Onkel für den Rest ihres Lebens daheim haben. Sie bestach drei Beamte. Die Urne, die da ins feuchte Grab abgeseilt wurde, war leer. Eine zweite Urne trug sie nach Hause. Schwarzgelacktes Edelblech mit den Initialen HRW.

HRW stand für: HIER RUHT WILLI.
So kam Willi also neben den Radioapparat. Hannelore war nämlich eine ausgesprochene Radiohörerin. Sie strickte zum Wunschkonzert. So hatte sie Willi immer im Auge.

Wenn meine Mutter nun bei ihren seltenen Visiten sich Mühe gab, die Urne auf dem Radiotischchen zu übersehen und Hannelore anklagend anschaute: «Hannerl - weshalb tust du dir und UNS das an?», äugte die Tante von ihren Maschen kurz auf: «Am Montag und Donnerstag ist er im Cliquenkeller gehockt. Am Mittwoch Kegeln. Dienstag war politischer Stammtisch und freitags spielte er nach Feierabend mit seinen Kollegen Volleyball. Die Weekends hat er in und auf den Bergen verbacht - JETZT HABE ICH IHN GANZ FÜR MICH ALLEINE!»

«Sie haben natürlich Anrecht auf eine kostenfreie Staatsurne», hüstelt nun die Frau im Coco-Duft. Sie zeigt auf etwas unschön Bauchiges. Etwas Ähnliches zieht meine töpferische Nachbarin in der Erfahrungsgruppe mit Anfängerinnen von der Scheibe hoch.
«Ton ist stets ein bisschen problematisch», bekomme ich nun den Rat frei Haus, «wenn die Sache runterfällt, schüttet sich der Inhalt aus. Da muss dann nur noch ein Fenster offen stehen... Durchzug... und weg ist der liebe Verblichene!»

Drei Schwestern. Weg war damals auch Winnifriede. Die Kembserweg-Omi hat uns die Story immer wieder bei einem Gläschen Malaga mit Tränen in den Augen erzählt: «Winnifriede war unsere liebe Grosstante. Die Ärmste hatte einen Militärkopf aus Rapperswil geheiratet und lebte dort im Nebel. Da wollten wir sie zumindest sonnig begraben - immerhin steht unser Familiengrab an hellster Lage, manchmal fast zu sonnig, so dass die Primeln lampen, aber immerhin...» Die Omi schüttete nochmals vom Süsswein nach. Sie leckte sich die Lippen und kicherte: «Wir drei Schwestern haben die Urne mit der Tante drin also in Rapperswil abgeholt. Finni hatte eine Netz-Einkaufstasche dabei. Da kam Winnifriede rein. Im Bahnhofbuffet gabs von diesem herrlichen, süssen Wein, den sie in Spanien trinken... Pyrenäenglut oder so. Na ja, jedenfalls mussten wir auf den Zug warten. Und es wurden einige Gläslein. In Zürich mussten wir dann umsteigen. Wir waren alle drei quietschfidel und konnten uns nicht halten vor Lachen, als Elsi den Billetteur fragte, ob Tante Winnifriede im Handgepäck auch bezahlen müsse.
In Basel wollten wir im Buffet zweiter Klasse nochmals auf die Gute anstossen und da war dann ausgelacht. Eiskalt ist es uns den Rücken runtergejagt: WO IST DIE TANTE?
Wir hatten sie im Zug liegen gelassen. Und jetzt stellt euch mal den Bahnhofsvorstand vor, als wir dem erklären mussten, wir würden unsere Tante im Gepäcknetz vermissen...»

Man weiss nie. «Haben Sie sich entschieden?», drängt nun die Chanel-Frau.

Einen Moment stehe ich vor der Silberkugel im Glaskästchen - dem Prunkstück der Ausstellung.
«ES GIBT SIE AUCH IN GOLD», strahlt Coco.
O.k. Das würde zu meinem Goldbesteck passen. Deshalb: «Ich will mirs überlegen - ich hab ja noch Zeit!»
«Das weiss man nie!», sagt die Verkäuferin spitz. Und dann: «Glauben Sie mir - ich weiss wovon ich spreche!»
Wie gesagt: Es ist nicht wie Jogurt einkaufen...

Donnerstag, 2. Februar 2006