Natur ist herrlich.
WUNDERBAR.
So natürlich natür.
Ich finde es ganz richtig, dass wir zu unserer Natürlichkeit Sorge tragen sollen.
Wo ich aber total keinen natürlichen Sinn in der Sache erkennen kann, ist, wenn man einen 66-jährigen, übergewichtigen Zigarrenraucher auf eine Alp schleppt, nur um ihm zu sagen. «Do hett?s de gwiis amme Munggeni?»
Die gute Seele wollte auf heimelige Vogellysi-Art etwa Folgendes andeuten: «Hier gibt es ? wenn du Affenschwein hast und dich zehn Stunden hinter einem Stein als Misthaufen tarnst ? alle paar Jahre ein pfeifendes Murmeltier zu sehen?»
ABER HALLO ? MUSS ICH DESWEGEN AUF KUHFLADEN RUMLIEGEN, DERWEIL DIE BREMSEN MEINEN DICKEN BAUCH UMKREISEN?
N e i n ! Muss ich nicht.
Es gibt pfeifende Adelbodner Murmeltiere auch auf Postkarten. In TV-Doku-Sendungen. Und als Trickfilm-Animationen.
Ich finde die Natur wunderschön ? aber nur vom Sofa aus. Mit dickem Stumpen (Natur ab Blatt) und einem Kaffi Jätter (hochkonzentrierte Natur).
Meine Strubel-Nachbarn vom Kuonisbergli haben nun aber nicht lockergelassen. Die Adelbodner sind berühmt für ihre Köpfe, wo die Meinungen in Fels gehauen auf die Welt kommen. Sie (die Meinungen) bleiben für immer dort. Und werden schliesslich unverändert ins Grab geschaufelt.
Hier nun: «Es geht doch nicht an, dass du in deinen 60 Adelbodner Jahren noch nie auf der Bonderlen-Alp warst! Anita betreibt dort einen umgebauten Kuhstall als Event-Oase und macht Rösti? also «heb dis Füüdle».
SO HUB ICH.
Einzige Bedingung: «Ich laufe keinen Schritt!» Da bin ich so stur wie die Oberländer. Jede Bewegung ist mit Anstrengung verbunden ? UND SOMIT DES TEUFELS!
Schon mein herzensguter Vater hat mich nur mit Versprechungen wie: «Wenn du eine Stunde durchhältst, wartet auf dich beim Café Schmid ein Coupe Wildstrubel mit Rahm?» zum Laufen bringen können.
Und mein fitter Vetter Thomas heizt mich heute noch mit Versprechungen an wie «eine halbe Stunde Walken und ich verrate dir das Codewort, mit dem du dich in die Wunderwelt von «Sex and Sexy» einloggen kannst?
Ich bin zwar der absolute Rösti-mit-Spiegeleier-Fan. Aber Rösti kann ich mir auch quick aus dem Säcklein schälen. Dafür brauche ich gar nicht erst auf die hohe Alp an den verrauchten Holzfeuerherd. Deshalb: «Nur wenn ihr mich auf der Sänfte zu den Kühen tragt?»
Sie lachten herzlich. Nannten mich es «choge Schluffi». Und fuhren mit einem zweihundertjährigen Subaru vor, der wackliger daherrollte als der Rollator von Tante Finni.
SO WURDE ICH DURCH DIE NATUR GERÜTTELT. UND DAS KLARHELLE BÄCHLEIN, NAHM ALLES AUF, WAS MEIN MAGEN NICHT MEHR BEI SICH HALTEN KONNTE?
Immer höher trug uns die Büchse hinauf ? dorthin, wo die Kühe fröhlich rumfurzen und heute ein mega Umweltproblem darstellen.
Von den hohen Bergen stürzte das Wasser runter wie die Milchpreise. Und alle zehn Minuten kam eine Herde , die sich dem Auto stur in den Weg stellte. Verächtlich streckten die Kühe dem Subaru den Arsch hin. Dann hoben sie ihre Schwänze. Und liessen den Inhalt dahinter dampfend fallen.
Immerhin ? das Lysettli führte neben Ringelblumensalbe und Enzianwasser auch ein Tütchen mit Salz in der Handtasche. Damit lockte sie die Vierbeiner aus der Fahrbahn, sodass wir endlich weiterschaukeln konnten. Im Rückspiegel sahen wir, wie uns die Milchlieferantinnen mit diesem wunderbaren Blick nachgafften ? ein Kuhblick, der an eine Wimperntusche-Reklame erinnert.
Überhaupt zeigt so eine Kuhherde erstaunlich viele Parallelen zum zeitgenössischen Make-up und einer Miss-Schweiz-Show: Eine wie die andere ist austauschbar? jede mit Idealmassen am Euter? und alle mit diesem lasziven Augenaufschlag, der bei jedem Heti-Ochsen die Milch zum Kochen bringt.
Von Weitem sahen wir endlich die prächtige Alphütte, wo einst Anitas Grossmutter die Milch im Kessi verkäst hat.
«De muesch jetzt umhi stiiu sy?», flüsterte Edi durch seine Zahnlücke, «suscht gsehmer dee kcheener Munggeni.»
Also hockte ich mich aufs Maul, dem eh nicht ums Reden, sondern um einen gespritzten Süssmost war. Aber auf den konnte ich so lange warten wie auf die Murmeltiere, die vermutlich ihren gewerkschaftlich vorgeschriebenen Frei-Tag einzogen.
Nachdem ich drei Stunden bewegungslos ausgeharrt hatte und sämtliche Oberland-Bremsen blutsaugend über mich hergefallen waren ? als ich also bereits aussah wie ein fleischliches Fasnachtsküchlein, da winkte Edi die Murmeltier-Übung ab: «S hett hüür keener Munggeni ? aber s Anita hett es güets Bätziwasser!»
So ergaben wir uns dem Hausbrand, bis alle doch noch Tausende von ausgelassenen Murmeltieren in den rosigen Alpenrosen herummurmeln sahen.
Die Rösti war schliesslich wirklich Güteklasse 1a. Ich machte Anita ein klugscheisserisches Kompliment, dass so eine Köstlichkeit eben nur auf dem lodernden Feuer hingezaubert werden könne.
Sie schaute mich pikiert an. «Ja, gehts noch? Meinst du, wir leben hier hinter dem Mond? Wir nutzen die Solarenergie. Ich habe die Quickrösti von Maggi auf dem Induktionsherd gebraten?»
Die Natur geht viele Wege ? sicher ist, dass ich sie nicht alle mitlaufen muss!
Von den vielen Wegen der Natur und Murmeltieren?
Dienstag, 20. August 2013