Von den vielen Toten an Weihnachten... und Signierstunden

Wer schreibt: UNTERSCHREIBT. Und zwar alles, was er geschrieben hat. DAS IST DIE STRAFE FÜRS SCHREIBEN!
Man muss sich das so vorstellen: Irgendwann ruft ein Verleger an. Und bellt in den Hörer: «Was denken Sie sich eigentlich? Sie Faulsack! Das Christkind steht vor der Tür. Und Sie haben immer noch kein Manus geschickt!» VERLEGER SIND NIE UM LÜGEN VERLEGEN. Denn erstens steht das Christkind nicht. Es fliegt! Also: Draussen fliegt das Christkind um die Tür.
Zweitens: Es ist Mai. MAI! Da fliegen die Maikäfer, wenns denn noch solche gäbe. Und natürlich fliegen die Easyjet-Touristen wild in der Gegend herum sowie die Studenten durch die Prüfungen. ABER CHRISTKINDLEIN HABEN IM MAI ZU SCHLAFEN, WEIL ERST IM DEZEMBER SAISON UND DAS CHRISTKINDLEIN DANN WIEDER IM SCHUSS IST.
Gut. Christkindlein schlafen. DOCH VERLEGER SCHLAFEN NIE.
So kommt es also, dass Innocent in diesem Wonnemonat, wo die Leuchtkäfer auf unserer Insel Tango tanzen und sich die Fischer alle drei Minuten am Sack kratzen, unser lichtdurchflutetes Garagenhäuschen aufsucht. Das Häuschen liegt mitten in Pinien und ausgedörrten Geranienstöcken. Innocent findet hinter der versiebten Fliegengittertüre einen Schreiber, der bei 35 Sonnenwärmegraden über dem Bildschirm und seiner eigenen verschneiten Weihnachtsschnulze zusammengebrochen ist.
Weinend krallt sich der liebenswerte Autor an der Computer-Maus fest. Die Tränen stürzen in Bächen über seine so wunderbar rundlichen Wangen.
Und sein ihm vom Gesetz angetrauter Lebenspartner wirft genervt das Häckerchen auf den Boden und knurrt: «HIMMEL HAMMEL! Badest du wieder in deinen Weihnachtstoten. Jetzt geh mal von der Bremse... schiess nicht so viel Schmalz und Zucker in all das Gesülze rein... und lass am Schluss doch wenigstens noch ein Kindlein leben!»
Ach Gottchen: Er spricht, wie ers versteht. Innocent tut ja immer so militärisch bolzenhart. Aber im Grunde genommen ist er mimosig zart. Sein weiches Herz kann keine traurigen Weihnachtsgeschichten ertragen. Wenn ich mich jeweils an der Familienfeier vor dem Baum aufrüsche und mein Büchlein zücke: «Ich lese nun die Geschichte von der geköpften Maria», unterbricht er in Panik: «Nein. Nicht DIE! Bring doch?Omis Witz?, da können wir wenigstens lachen...»
OMIS WITZ HABE ICH SCHON 14 MAL GEBRACHT. DIE POINTE KENNEN ALLE ZUM ABWINKEN. Und so folgt eine heftige Diskussion, die mein lieber Onkel Alphonse natürlich ausnutzt, um unaufgefordert seine unsauberen Wirtinnenverse zu deklamieren.
Aber nun ist also Mai. Der Verleger wartet auf das Manuskript der Weihnachtsgeschichte. Und ich bade in meinen eigenen Tränen, da im Geschriebenen wieder mal drei Särge und vier Witwen vorkommen.
Ich weiss auch nicht, weshalb in meinen Weihnachtsgeschichten immer so viele Menschen den Löffel abgeben müssen. Aber es ist nun mal so. Und auf die immer wiederkehrende Frage des Publikums: «WO NEHMEN SIE AUCH IHRE IDEEN HER?», kann ich nur sagen: «KEINE IDEE! DAS PASSIERT HALT EINFACH. ES GEHT VON DER MUSE DIREKT IN DIE GANGLIEN UND HINÜBER IN DIE FINGER, WELCHE PER TASTATUR ALLES AUF DEN BILDSCHIRM ZAUBERN...»
Und da liege ich nun darüber und beweine das Resultat.
Auch Frau Ruth weint. Sie will die alljährliche Weihnachtsgeschichte für ihr Adventskonzert im Musiksaal der Stadt. Ein kleines Kind soll die grosse Prosa lesen. Kleine Kinder sind für Autoren immer ein Risiko. Sie stolpern bei den wichtigsten Stellen, verschlucken die Schlusssilben und kichern vergnügt beim dramatischen Moment, wo die junge Mutter vor dem Kindergrab in Ohnmacht fällt.
Und nun mailt mir Frau Ruth verzagt: «Die Geschichte ist so wunderschön, lieber Herr Autor? aber bitte: Lassen Sie den kleinen Jungen am Schluss leben! Erwecken Sie ihn wieder. Bringen Sie alles zu einem fröhlichen Ende!»
Das ist dann das Schöne am Autorsein: Im Schnupf ist ein Wunderdoktor erfunden, der mittels chinesischer Akupunktur und heisser Honigmilch das Bubenleben rettet. Der Sarg bleibt zu. Und statt dass die Mutter in Ohnmacht fällt, fällt sie in einen Freudenrausch und schreibt der Gilde «gegen Übergewicht bei Kindern» einen Check von 5000 Franken aus.
JA WENN DAS NICHT WEIHNACHTEN IST!
Kaum aber zieht der Herbst ins Land und windet die Blätter vom Ast, da fallen auch die vielen Bücher vom Verlegerhimmel, die das Christkind, welches nun tatsächlich bereits aufgeweckt vor der Türe steht, den Menschen unter das Halleluja-Bäumchen legen soll.
UND JETZT SIND WIR BEIM ANDERN SCHREIBEN: Nicht nur, dass all die Schwarten geschrieben werden mussten. SIE MÜSSEN JETZT AUCH UNTERSCHRIEBEN SEIN. Sonst kauft sie nämlich kein Schwein.
Und eben deshalb organisieren die Buchhandlungen Tische mit Autoren dahinter und Menschen davor. SIGNIERSTUNDEN heisst das. Die Leute löchern den Schreiber. «Also? schreiben Sie: für meine liebe Mutter...»
«MEINE MUTTER IST SEIT 27 JAHREN TOT!»
Der Buchkäufer schaut perplex auf den Autor. Dann lacht er. «Wo nehmen Sie auch immer diese Ideen her?»

Samstag, 20. November 2010