Von den Ravioli aus der Büchse und MAMMA MIA

Donnerstag Kochen war nicht gerade das, was in unserer Familie als «stärkste aller Begabungen » aufgeführt worden wäre. Im Gegenteil. Ich bin neben Büchsenöffnern, Hero-Ravioli und Stocki-Pulver aufgewachsen.
Mutters «Hausmacher-Sugo» war eine wässrige Sauce in der Farbe eines TATORT-Blutopfers. Der «Sugo» von damals schneite übrigens aus einem Knorrbeutel pulverisiert ins Wasser.
HITZE. RÜHRUNG. FERTIG.
So wurden die Spaghetti in jener Zeit, die heute verblendete Nostalgiker als «die gute» bezeichnen, napolitanisiert. ABER? WIR WAREN GLÜCKLICH.
Trotzdem? die Küche in den 50er-Jahren war eine echte Katastrophe. Und immer mit dem Maggifläschlein als oberstes Weihwasser auf dem Tisch. Ich glaube, heute würde sich der Tierschutz einmischen, wenn wir vierbeinige Freunde mit dem abfütterten, was damals als Spinat aus der Büchse kam. Und selbst Schappi hat mehr Biss als Mutters Nudeln von einst.
Natürlich haben wir das alles nicht gemerkt. Erst retrospektiv und in einer Zeit, wo Sven Epiney den Zuschauern die Eier persönlich beseelt, wissen wir, was für Schweine wir damals waren. Erst als der erste Italiener die Tortelloni von Hand füllte, wussten wir, dass das Leben Besseres zu bieten hat.
Nun gut? die Sonntags-Menüs von damals waren nicht etwa mies. Oder gar ungeniessbar. Als Voressen gabs Pastetli. Auch hier lieferte irgendeine Büchse diese weissliche Füllung, die mit gekügeltem Bratwurstbrät angereichert wurde und bei der Kembserweg-Omi immer wieder Blähungen hervorrief.
Mutter, die ihre Schwiegermutter so schätzte wie jene die Blähungen, schlug Sonntag für Sonntag den Alternativgang vor. «Ich kann dir auch eine Brühe machen, meine Liebe...»
Aber die Omi schüttelte es wie den Dackel im Regen, wenn sie an den Würfel dachte, welche Mutter ins kochende Wasser warf und später in Bouillonform 1:100 verdünnt im Suppentässchen als «Brodo della Casa» servierte.
«Lass nur Lotti», wehrte sie entsetzt die Brühe ab? ich nehme Pastetli und spüle dann mit einem Schnaps nach!»
Nicht umsonst war Buschs « fromme Helene» die Lieblingsfigur im dramatischen Leben der Omi.
Zur Ehrenrettung meiner Mutter muss hier angefügt werden, dass in den so lustigen 50er-Jahren jeder alla «MAMMA MIA» kochte. Die Frauen freuten sich über den ersten Tiefkühler, der ihnen so viel Köstliches und vor allem mehr «Zeit für Gescheiteres als am Herd zu stehen» brachte. Endlich konnten sie sich selber verwirklichen und überliessen die Kelle irgendeinem Genie, der das Fischstäbchen erfand.
Natürlich sahen unsere Grossmütter solche Entwicklungen mit schrägen Blicken an und brachten die Pastetli-Sonntagsessen mit ihrem Zunder zum Explodieren: «Findest du nicht, dass der Hansi ziemlich käsig aussieht, Lotti? er müsste wieder mal etwas Rechtes zwischen den Zähnen haben...»
Schon war der Krach da! Mutter schoss ihre Giftpfeile ab: «Seine Käsigkeit, liebe Omi, stammt nicht von der Pastetenfüllung sondern von einem menschgewordenen Fleischauflauf, welche er?Hanni, meine Billetteuse? nennt».
«Trotzdem... trotzdem...» hüstelte die Omi. Und packte demonstrativ ein Päckchen mit fettigen Flecken am Papierrand aus ihrem Sonntagstäschchen: «Hier Hansi, ich habe dir ein paar Fleischküchlein mitgebracht...»
Spätestens jetzt verliess Mutter mit Getöse Tisch und Pastetlifüllung, die in ihrem erkaltenden Zustand bereits dicklich anzog...
ICH MEINE. MUSS SICH JA KEINER WUNDERN, DASS AUCH ICH NICHT GERNE KOCHE!
Und doch werde ich immer wieder um solches gebeten. Irgendwie ist es ein Fluch? und das verfluchte am Fluch: Ich kann nie Nein sagen. So wie Mamma einst die Kembserweg-Omi, so habe ich heute die Benefiz-Essen am Hals. Entsprechend hat mich auch die «Blinde Kuh» angefragt: «Würden Sie auch mal bei uns...?»
Das Spezielle an der «Blinden Kuh» ist, dass die Menschen in einen nachtschwarzen Raum geführt werden. Dort mümmeln sie die Köstlichkeiten, ohne auch nur einen Schimmer davon zu sehen. Das Personal, das serviert, ist blind? sieht aber besser als jeder seiner Gäste.
«Da wird man aber meine schönen Decors gar nicht erkennen»? jammere ich bei Felix, der mir das Essen eingebrockt hat. Tatsache ist, dass die Decors von den Büchsenravioli ablenken.
«Du irrst», macht Felix auf Klugscheisser, «deine Sensorien entwickeln sich im Dunkeln derart, dass man alles fühlt? auch die Garnituren. Im Übrigen ist es doch wunderbar, wenn sich der Gaumen für einmal ganz auf deine Kochkunst konzentrieren kann. Jetzt erst wird er die feinen Nuancen deiner Kreationen richtig würdigen, das Bouquet der Gewürze, das Feuerwerk der Saucen und...»
Also eines ist klar? die Büchsenravioli sind gestrichen.

Donnerstag, 21. Februar 2008