Von den Mönchen im Flugzeug und dem Atitlan-See

Reisen ist heute einfach nur warten. WARTEN? ganz gross geschrieben. Wir stecken in Honduras fest. Und warten auf den Flug nach Guatemala City. Da wir nun schon mal da sind, wollen wir doch gleich mal schauen, was die Honduraner uns Wunderbares anzubieten haben. Leider ist die Palette bald schon ausgereizt. Es gibt Café aus Ecuador. Totenköpfchen aus Yucatan. Und Pepsi-Cola in der Büchse. Die viel gepriesenen Honduras-Zigarren sind am Flughafen nicht im Verkauf. Dort pafft man nur die von Kuba. Und davon habe ich ja Tonnen durch die Zölle geschmuggelt. Ich ginge da problemlos als Basler Fumoir durch.
Nun tut sich etwas in der kleinen Flughalle. Ein Geschwader von schwarz berockten Drag Queens betritt die Szene. Sie tragen alle kniehohe Stiefel, Ketten und diese Schleppe, in die sich Tosca in der letzten Live-Oper-Übertragung verhedderte, als sie sich von der Engelsburg in den Tod stürzen sollte...
DIE DRAG QUEENS ENTPUPPTEN SICH BEI NÄHEREM HINSCHAUEN ALS JUNGE MÖNCHE? DIE KETTEN WAREN GEGEN DIE SÜNDE. UND JESUS BAUMELTE ALS KLUNKER AM KREUZ.
Das war mindestens so gut wie honduranische Zigarren! Jedenfalls war etwas los in der Bude. Sie gingen mit sanftem Sing-Sang durch die Gänge. Und verteilten IHN auf Hochglanzpapier. Es war ihre Art von «Blick am Abend»? gratis. Und bunt.
SEIN Fussvolk aber war es, dass nun auch die Maschine nach Guatemala City in Bewegung brachte. «Sicherer können wir gar nicht fliegen», grinste Innocent? «da jettet bei jeder Meile Gott mit!» Ich dachte an Terroristen und ihr Handbüchlein «Kleine Bombe? grosse Wirkung!» SEHR WOHL WAR MIR NICHT MIT DIESER ENGELSBEGLEITUNG? die schrien doch nach einem Terrorangriff wie der Honig nach dem Bären.
Doch dann landeten wir ganz friedlich in Guatemala. Und als ich vor lauter Aufregung dem Einwanderungsbeamten statt der Papiere mit diesen Daten, dass man ein Lieber sei und nur so zum Spass im Lande Geld ausgeben wolle, das Heilandbild hinstreckte, also da breitete dieser verzückt die Arme aus. Und wollte mir die Finger küssen.
«HÖR AUF MIT DEM SCHEISS!», giftelte Innocent hinter mir.
Da klickte ich mich wieder ein. Gab mein bestes Lächeln in die Zollkamera ab. Und winkte der kettenklirrenden Mönchsclique noch einmal zu? sie wuselte zum Ausgang, als wäre es eine Gruppe von Herrn Lagerfeld, die er auf seinen Laufsteg scheucht.
Innocent äugte nach dem Fahrer, der für uns bei Fuss stehen sollte. «Wir haben da auch einen Führer... schau mal nach den Herren mit den hochgestreckten Namenskartons?» Da klopfte mir ein Hüne von Mannsbild auf die Schultern: TSCHÜSS ZÄMME!»
Es war René. Und er war unser Reiseführer. Überdies Basler. Da hatten die Landeier vom Rheinknie aber sofort heimwehtranige Tränen der Rührung in den Augen.
Bald schon sitzen wir in einer Karre und fahren in Richtung Atitlan-See. Der Chauffeur heisst Carlos. Und ist in andern Umständen. Das heisst? seine Frau ist es. Aber er ist umständlicher als sie. Alle sechs Sekunden piepst sein Handy. Die Verwandtschaft ist im Anmarsch. Sie wollen der jungen Frau bei der Niederkunft beistehen. Das Problem: Sie finden den Weg zu deren Wohnung nicht? und während wir auf einer kurvigen Strasse zum Atitlan-See jagen, winkt Carlos mit der linken Hand allen Weibern zu. Mit der rechten versucht er zu steuern. Das Handy aber hat er zwischen Schulter und Kinn eingeklemmt. Er bellt Direktiven durch, wie Onkels und Tanten am besten zu seinem Haus kommen. Dann gibt er heisse Liebesbezeugungen an die Mutter seines noch ungeborenen Kindes weiter und verflucht seine Firma, die ihn mit zwei überalterten Schwuchteln zusammengebracht hat, während er doch jetzt das Händchen seines Täubchens halten möchte. Parallel dazu WINKEWINKE zu all den andern Tauben des Landes.
Der Machoismus wuchert hier wie die Bananenstauden. Und es sind nicht nur die Skorpione, die da alle drei Sekunden ihre Schwänze stellen...
A propos Skorpione? es ist Nacht, wie wir beim Atitlan-See ankommen. Das Hotel liegt an einem Berg? von den viel gepriesenen Vulkanen ist nichts zu sehen. Dafür öffnet uns ein kleiner, wuseliger Guatemalteke die riesige Glastüre zum Balkon: «VORSICHT, HAT GIFTIGES SKORPIONOS... BÖSES SCHWANZ NIX BERÜHR!»
DA WAR ICH ABER GLEICH IN STIMMUNG. Zuerst untersuchte ich alle Schubladen und Winkel nach den lustigen Tierchen. Aber da war nur eine Schachtel mit eingetrockneten Präservativen und ein angekauter Kugelschreiber.
«MORGEN WENN ERWACHT, HERRLICHES BLICK AUF VESUVE UND SCHÖNSTES SEE VON WELT...», freute sich das Männchen für uns. Dann: «VIEL SCHLANGES HIER? ABER NIX GIFTIGES... SCHLANGE GUTES GOTT!»
Guter Gott! Da ist mir aber das bunte Hochglanzbildchen der Mönche lieber.
«Morgen sehen wir die Mayas von heute», gibt Innocent sein Schlusswort zum Tag ab. Drei Minuten später rasselt der Apnoe-Apparat wie ein verrosteter Wecker. Ein kleiner Skorpion hat sich im Gebläse verirrt. Innocent reisst sich den Luftschlauch von der Nase: «ICH KÖNNTE TOT SEIN», schluchzt er hysterisch. Das arme Tierlein wuselt derweil genervt in eine Bodenritze. Und wir sitzen beide noch immer aufrecht im Bett, als der Tag seinen ersten Silberschleier über den schönsten See der Welt wirft. Und die Vesuve wie aufgeblähte Röcke von Derwischtänzern langsam Form annehmen.

Samstag, 9. April 2011