Von den Feuerzeichen und einem winkenden Händchen

«Sarà una meraviglia!»? Das mit dem herrlichen Wunder hört man in Italien immer. UND IMMER WIEDER. Es ist verständlich, dass die Menschen, die in einem Land von Päpsten und Berlusconis leben, noch immer an ein Wunder glauben.
Sie müssen das. Sonst könnten sie gar nicht überleben.
Aber mich wundert hier schon lange nichts mehr. Und deshalb habe ich zuerst auch «NEIN» gesagt. Denn ich erlebte auf dem Stiefel schon mehr als ein Wunder. UND STAND DANN MIT ABGESÄGTEN HOSEN DA.
Carla schaut mich an wie ein Hund, der Wursträdchen bettelt: «ALLE machen mit. ALLE. Sie können gar keine Ausnahme machen. Sonst fällt die Kette auseinander und...» ICH BIN ALSO DAS GLIED EINER KETTE. Und somit der Titel eines Krimis der guten, alten Agatha. Nur hat dies hier nichts mit Krimi zu tun. Sondern mit Geschichte.
Das Leben hat mich auf einen uralten Turm vertrieben.
Oder eigentlich war es Innocent. Denn der sagte vor etwa 40 Jahren: «Ein Kunde von mir besitzt da auf dieser komischen, kleinen Halbinsel, wo alles nur Natur und Wildschwein ist, einen Torre. Irgendsoetwas aus der Senesen-Zeit, 17. Jahrhundert.
Jedenfalls sollen dann auch noch die Spanier in ihren blühendsten NON-EU-JAHREN die Burg bewohnt haben. Da fahren wir kurz mal hin, um zum Rechten zu schauen.»
Ich protestierte. Wildschweine waren nun wirklich nicht das, was sich meine Mutter für das klügste ihrer Kinder gewünscht hatte. Die Mutter hatte nur ein Kind. Und deshalb gingen wir trotzdem.
Wir kamen an. Und blieben 40 Jahre. Man atmet auf dem Turm die Geschichte der Vergangenheit und den Umweltstaub von heute. Das ist ein interessantes Gemisch. Und lockt immer wieder Forscher an. So auch Carla: «Wir werden die Rauchzeichen starten, wie zur Zeit der türkischen Piratenüberfälle. Die Säbelträger kamen mit wendigen Booten übers Meer. Jagten hier an Land. Und nahmen sich Weiber und Öl.»
«Und die Männer?», erkundigte ich mich bereits etwas interessierter. Carla machte mit der rechten, flachen Hand eine Bewegung zur Gurgel: «RÜBE AB!» Und dieses Grausame wollten sie nun für die Forschung nachgeschichteln.
NICHT MIT MIR. Deshalb: «Bei aller Liebe zur Wissenschaft? ABER MEINE RÜBE IST MIR LIEBER. Ich mache nicht mit!»
Sie versuchte es nun auf die weinerliche Tour: «Aber Signore, wir starten das Signalfeuer in Porto Santo Stefano auf dem spanischen Fort. Die Flammen geben das Zeichen zum nächsten Turm. Der fackelt sofort. Und so weiter. Bis alles brennt. Und wir bei allen 17 Türmen rum sind. Mit solchen Feuern haben die Inselbewohner damals den Alarm durchgegeben:?SIE KOMMEN... SIE KOMMEN!? Vermutlich, damit sich die Weiber noch rasch die Haare föhnen und die Männer den Hals geschmeidig cremen konnten.»
Unerwartet fiel mir Innocent in den Rücken: «DU RAUCHST DEN GANZEN TAG DIESE STINKENDEN, TODBRINGENDEN ZIGARREN? DA DARF DER TURM SCHON AUCH EINMAL EIN HARMLOSES RÄUCHLEIN STEIGEN LASSEN!»
Und dann spielte Carla ihre Trumpfkarte aus: «Das Ganze kommt im Fernsehen.»
«ICH BIN DABEI», rief ich. Und holte schon mal den Schminkkoffer.
Drei Tage später tauchten die Initianten dann drei Phones kleinlauter auf: «Diese Kleingeister und Armleuchter (?Stronzi!?) von Florenz sind dagegen. Wir dürfen keine Fackeln abfeuern. Sie fürchten, die Insel könne einmal mehr in Flammen aufgehen.»
Carla holte eine Konservendose aus ihrem umweltfreundlichen Pro-Natura-Rucksack.
«Da lassen wir eben so was los. Die kleine Büchse gibt ganz viel Rauch ab.»
«MEIN GOTT? WIR HABEN EINEN POLITIKER IN BÜCHSENFORM!», versuchte Innocent einen Tageswitz. «Wichtig ist, dass die Sache zur rechten Zeit zündet. Sobald ihr den Rauch auf der Ruine des Capo d?Uomo seht, zieht ihr an der Lasche. Und lasst die Bombe platzen!» Das waren Carlas Anweisungen. «UND WO ZÜNDEN DIE TV-KAMERAS?» Das interessierte mich brennender.
Aber da war Carla bereits auf dem nächsten Turm.
Der grosse Tag war grau. Und wolkenverhangen.
Leider versperrte uns ein dicker Nebel die Sicht auf die benachbarte Ruine. Wir warteten und warteten und warteten. NICHTS GESCHAH! Nur Wolken und Wolken und nochmals Wolken? ein bewölktes Italien ist leider durch die klimatisch beeinflussten Umstürze in den letzten drei Jahrzehnten gang und gäbe geworden.
Dann düdelte Innocents Handy. «WAS ISS», brüllte der in den Hörer. Dann nahm er Haltung an: «ZU BEFEHL, FRAU GENERAL!» Er klemmte die Dose zwischen die Beine. Zog an der Lasche.
Dann war auch bei uns ein wolkenverhangener Tag. Innocent sah aus wie unser alter Kaminfegemeister Fegerli vor der Epoche der Zentralheizung: ein russiges Erbarmen.
«Ehhhh... ehhhh», brüllte jemand vom Meer. Es war das Boot der Kameramänner. Hurtig legte ich den Hautstraffer nach. Und winkte. Abends gab der Lokalsender durch: die Turm-Rauchstafette habe wegen schlechten Wetters abgeblasen werden müssen. Nur ein einziger Torre habe aus Versehen die Büchse gezündet. Natürlich hatte Innocent wieder einmal die Verstärker nicht drin. Und Carlas Abbruchbefehl falsch verstanden. Das Fernsehbild zeigte ein winkendes Händchen im Rauch. Dann kam Werbung.

Samstag, 7. Juli 2012