Von dem harten Los der Quitten-Köche

Wir haben Tonnen von Quitten.
Die Hitze hat ihnen arg zugesetzt.
Sie sehen aus, wie der Elefantenmann am Ast: Beulen. ­Flecken. Buckel.
Ich wollte keine Quittenbäume. Also hat Gianni sie gesetzt. Es ist seine Art von kleinen Freuden. HAUPTSACHE, ER ZEIGT ­DIESEN DURCHGEFICKTEN NORDLÄNDERN SEINE ARSCHKARTE!
«Quitten? senza problemo!», hat er geknurrt. Und mir ganze Reihen mit Jungbäumen eingepflanzt.
NA DANKE FÜRS OBST!
Unser Acker sieht aus, als hätte einer einen pelzigen Teppich ausgelegt. Die Quitten sind? wie bereits vorgejammert? nicht schön. Aber es sind deren reichlich. Ich möchte fast sagen: SO HABEN DIE NOCH NIE!
Und nun tippen wir uns also stundenlang über Handy zu unsern Freunden durch: «WOLLT IHR QUITTEN?!»
Keiner will. Auch nicht auf Italienisch. Und dies, obwohl mele cotogne (laut gesagt: meele goddonnje) süsser tönt, als das simple Wort ­«Quitten», dessen neckisches Plus höchstens darin besteht, dass es sich auf «Titten» reimt.
Eigentlich hätten wir es ja wissen müssen? die Frage nach der Hartfrucht taucht wie diejenige in Goethes «Faust» bei Gretchen immer wieder zur Saison auf: «? und wie habt ihrs mit der Quitte?» RIESENTHEATER!
In 99 Prozent kommt nämlich ein sattes «UMHIMMELSWILLEN!» retour. Denn obwohl die gelbliche Frucht ein herrliches Resultat erzeugen kann (ich sage kann), ist alles, was mit Quitten in Zusammenhang steht, aufwendig. UND MIT EINER GANZ ENTSETZLICHEN PLACKEREI ­VERBUNDEN!
Das Resultat von fröhlicher Quittenarbeit sind meistens wüst gerötete Hände, aufgerissene ­Fingerkuppen? manchmal auch ein gebrochener Arm, weil diese verdammte Frucht einen härteren Kern hat als die SVP!
Doch genug gespasst.
Meine brave Mutter liebte die Quitten. Als sehr sparsame Frau, die es nur durch rigoroses Ein­halten eines Knapp-Haushaltbudgets zu vier Pelzmänteln gebracht hatte, war sie das eine Prozent, das bei der Anfrage: «Willst du Quitten?» mit: «Aber gerne!» antwortete.
Sie, deren Kochkünste bei einer aufgeheizten Wurstwegge auf dem Höhepunkt gipfelte, wollte sich das Gratisangebot nicht entgehen lassen. Irgendwo hatte sie ein Rezept ausgegraben, das die verdammt harten Fruchtklötze zu einem schwabbelnden Purpurgelee mit kleinen funkelnden Stückchen drin werden liess.
Aber dieses Purpurwunder war teuer bezahlt: Mein armer Vater musste auf dem Sechsertram Urlaubstage eingeben und seine ihn vermissenden Mitfahrerinnen trugen Trauerflor.
Jeden Morgen stand er tapfer in der Küche, um mit einem Hackebeil diese Frucht, die er als persönliche Pein Gottes verfluchte, zu halbieren. Dann schälte er mit einem Spitzmesser das Kerngehäuse raus. Und musste sofort verarztet werden. Das Messer war zu spitz für seine zarten Arbeiterhände, welche am 1. Mai die rote Fahne vorantrugen.
Nie habe ich Mutter fröhlicher gesehen als beim Quittenkochen. Übermütig pfiff sie sich eins? und wenn Vater im Zuckerdampf stöhnte: «Das klebt dir ja den Arsch zusammen!», lächelte sie ihn mit ihren wasserblauen Augen an: «Ach Hans? du stehst doch auf all das Süsse, das diese Welt dir bieten kann. Und wenns dann noch so heiss Dampf macht!»
All diese Quittenerinnerungen brodeln in mir auf, wenn ich unsern rotbraunen Acker mit den gelben Früchten darauf und den fröhlich summenden Hornissen entdecke (na gut? Hornissen hatten wir zu Mutters Zeiten nicht). Und da Italiens legendäre «Nonna-Küche» sich schon längst zu Tode gekocht hat und die Grossmütter im Supermarkt zu Nutella greifen, ist die Antwort auf die Quitten-Gretchen-Frage stets ein Kreuzschlagen. Und «NOOOOO!».
Leider fährt auch Innocent punkto Einsparungen und Haushaltsbudget auf ähnlichen Schienen wie meine liebe Mutter, GOTTHABSIESELIG. (Es ist nicht so, dass der Gute auf einen Pelzmantel spart ? er hat ja noch das Hartwollmäntelchen, das er sich zur Heirat seiner Schwester beim ehemaligen Kleider Frey herausgeschossen hat.) Doch: «Es verkommt nichts!», heisst sein Schlachtruf. Und so schleppen wir umgeben von fröhlich knurrenden Hornissen Tonnen der hässlichen Hartbeulen hinters Haus.
Hier hat sich Innocent bereits mit dem Holzbeil aufgebaut und erinnert an einen billigen Hollywood-Horror, wo der Zombie einem harmlosen Pfarrer die Rübe weghackt.
«Die Konfitüre gibt ein wunderbares Weihnachtsgeschenk für unsere Freunde? und kostet keinen müden Rappen!»? so stimmt er das Lied meiner Mutter an. Er lässt das Beil auf die erste Quitte sausen? doch leider ist das Werkzeug wie so oft ein Schnäppchenkauf aus dem Fernsehversand gewesen. Jedenfalls löst sich der Metallteil vom Kunststoffgriff. Und jagt wie eine abgeschossene Rakete auf den ohnehin schon etwas lädierten ­linken Fuss unseres Freundes.
Selbst die Hornissen hielten für einen Sekundenbruchteil den Atem an. Dann surrten sie ungerührt vom Elend wieder drauflos.
«SCHEISSQUITTEN!!!»? brüllte Innocent. Schon zehn Minuten später hörte man das Horn der Ambulanz.
Die Hornissen sind somit die einzigen, die unsere Quitten dieses Jahr geniessen können.
Auf Weihnachten bekommen die Freunde ein Nutella-Töpfchen.

Dienstag, 15. Oktober 2013