Alle haben uns gewarnt. ALLE.
Lasst nie Gepäck im Auto zurück. Und schon gar nicht in Marseille.
Nun haben wir aber die Karre so gestossen voll wie die Zigeuner, wenn sie zur schwarzen Maria pilgern. Ich meine? in drei Monaten läppert sich doch einiges zusammen: 23 Paar Hosen und dann diese lustigen Shorts mit den tanzenden Bienen drauf. Natürlich die Geschenke für alle und alles fast geschenkt. Dann noch ein paar Pfunde Reiseproviant (immerhin kurven wir noch sieben Tage durch Südfrankreich und man weiss ja, dass hier Steak et Frites das lukullische Leben sind? NICHT ABER FÜR MICH!)
Schliesslich sind da noch Innocents Apnoe-Turbo... Innocents Medikamenten-Koffer... Innocents Bestandteile für das auswechselbare Knie... und Innocents Werkzeugkiste «der kleine Automechaniker», den er noch mit sechs Satz Zündkerzen und 20 Litern Reservebenzin aufgestockt hat.
DA WAR DER ALTE GEIZFUCHS ABER DOCH FROH, DASS ICH MICH DAMALS FÜR ETWAS GRÖSSERES ALS DEN FIAT 500 ENTSCHIEDEN HABE.
Natürlich denkt der Schweizer vom Lande nicht an die Festivitäten seiner Nachbarn. Und so waren wir doch baff, als die Zufahrtswege zum alten Marseiller Hafen verbarrikadiert waren.
Immerhin? Polizisten standen zuhauf herum. Alle frisch lackiert und mit diesem strahlenden Elan ihres Präsidenten, wenn er die Presse begrüsst.
«C?est le 14 juillet? messieurs!»? strahlten uns die Gesetzeshüter an.
«Was ist?»? Innocent knipste die Lauscher auf «on».
Ich: «Wir können nicht zum Hotel fahren. Sie feiern den Quatorze Juillet.»
Nun schaute unser Freund aber bittergallig zu den Uniformos: «Ja seid ihr denn nicht dicht... wir haben ein Zimmer reserviert? macht kein Theater, dallidalli!»
Daraufhin erlosch abrupt ihr ministeriales Lächeln. Ich versuchte mit einem angedeuteten «Plemplem»-Zeichen in Richtung Innocent noch alles gut zu machen. Zu spät. Sie führten uns auf die Wache ab. Machten eine Riesenkiste wegen Staatsbeleidigung. Und verlangten 1200 Euro auf die Hand.
JA HAB ICHS NICHT GLEICH GESAGT! Wenn einer eine Reise tut, da kann er was erleben...
Immerhin haben sie uns dann mit Polizeieskorte zu diesem Hotel geführt, in dem schon der gute alte Cocteau mit Jean Marais eine heisse Nummer geschoben hat. Zwar hatte das Hotel seine gerahmten Erinnerungen an Jean Cocteau. Doch keine eigene Garage. Und da fing das Problem an.
Innocent war nach der Polizeiabreibung und den 1200 Flöte gegangenen Eiern eh schon mit den Nerven fix und foxi. Also musste ich die Sache in die Hand nehmen. Ich drückte dem Portier unsere beiden Reisetaschen mit dem Allernötigsten in die Finger. Und parkierte die Karre schliesslich im öffentlichen Parkhaus beim Vieux Port.
Mittlerweile flogen zwei Mirages vom Heer sowie vier Helikopter der Seefahrtspolizei über die Tribüne, wo die Bürgermeisterin der Hafenstadt jeden Propeller einzeln begrüsste.
Von der Hotelterrasse aus konnten wir dann die festliche Parade zu unsern Füssen miterleben: Feuerwehr und Stadtpolizei, Meereswache und Schifffahrts-Gendarmerie? alles im Gleichschritt und mit einem derart ausgefeilten Armspiel, welches jedes Ballettcorps vor Neid käsig werden liess.
Einen Moment lang überlegte ich, ob ich vom Balkon grüssen sollte. «Ich werde jetzt das Diadem aufsetzen...», gab ich in Richtung Innocent einen kleinen Scherz ab.
Der genervt: «Hör auf mit dem Scheiss? du bist 63, 185 Pfund. Also reiss dich am Riemen und werde endlich erwachsen!»
Da schweigt man eben. Doch nicht lange: «Ist das nicht ein Traum...!», stiess ich Innocent begeistert in die Weichteile, so dass er schier vom Balkon gekippt wäre, «... der alte Hafen... die junge Marine... diese goldenen Säbel der Unteroffiziere!» Kurz? Cocteau galoppierte mit mir durch.
Innocent fuhr plötzlich auf: «Du Pumpe, du hast meinen Apnoe-Apparat im Auto vergessen...»
Also musste ich wieder ins Parkhaus zurück. Und dort suchte ich sicherlich zwei Stunden nach dem Auto mit all dem vielen Gepäck.
ES WAR EIN VERGEBLICHES SUCHEN. Und als mir klar wurde, was da geschehen war, als ich hyperventilierte und alles in einem entsetzlichen Schrei gipfelte, war da auch keine Polizei zur Stelle, weil die ja die Arme streckten und im Paradeschritt an Cocteaus Vergangenheit vorbeizog.
Ja was soll ich euch noch lange berichten?? Als wir vier Stunden später erneut auf dem Posten sassen, hatten wir das Plus, dass sie uns bereits kannten. Sie holten für Innocent ein Bier und für mich dieses smaragdgrüne Gesöff, das sie Eau de Menthe nennen und das sich trinken lässt, als spültest du dein eigenes Mundwasser herunter...
Dann schrieben sie den Verlustschein.
Fast hätte uns die Luftwaffe für einen kleinen Aufpreis noch heimgeflogen. Aber Innocent winkte ab: «Wir nehmen den Rentnernachtzug ins Burgund... die Flaschen werden uns trösten.»
Die Temperaturen in der 2. Klasse überstiegen das Saharahöchst? doch Innocent nahm plötzlich Hitze wie auch den Diebstahl gelassen: «Wir hätten ja auch einen Unfall haben können... MAN MUSS DAS LEBEN NEHMEN, WIE ES IST.»
Entweder hat ihn die Vorfreude auf den Burgunder gepackt. Oder Cocteaus Geist ist auf ihn übergesprungen.
Von Cocteau in Marseille und dem gestohlenen Auto
Samstag, 7. August 2010