Donnerstag - Evchen wollte eben eine happige Portion von der fetten Schinken-Lasagne, über welche der Mozzarella sich wie eine Schneelandschaft ergossen hatte, reinschieben, da erstarrte die Gabel sekundenlang in der Luft. Und die Tomatensauce klatschte mit einem saftigen Flutsch auf den üppigen, dunkelgewamsten Vorbau meiner Freundin.
Evchens Kulleraugen, die dank der neuen Wimperndauerwelle von Max Factor («Hallo Max - we did it!») und dem tintenschwarzen Trauerrand oberhalb der Tränensäcke den Hauch ins Gespenstische verströmen, stieren gebannt auf die Türe des Speisesaals.
Grethchen, Freundin Nummer 2, schluckt eben einen zünftigen Gutsch von dem Valpolicella, den Arturo, der Oberkellner mit der vielversprechenden Nase als «einfach göttlich» gepriesen hatte. Grethchen schaut auf Eva. Dann sofort in dieselbe Richtung, wo Max Factors gewellte Wimpern hinzittern. Grethchen verschluckt sich. Und der göttliche Tropfen sprüht wie ein Platzregen über Tisch und Teller.
«Das ist sie?», keucht Grethchen. Und hält sich geziert die pflotschnasse Serviette an die Mundwinkel.
«DAS IST SIE!» - japst auch Evchen. Und reibt wild an ihrem versauten Busen herum, als wäre er ein Rubbelspiel.
Dann kommen die Kellner und spritzen Tisch wie Busen frisch um: «Dort ist sie» - flüstert Arturo und schrubbt nun auch noch über Evchens schwarzen Acryl. Seine lange Nase bebt. Evchen bebt mit. Und in diesem Moment ist in dem ansonsten stillen Speisesaal, wo man höchstens mal das Knacken der Drittzähne oder das Quietschen einer lockeren Prothesenschraube zu hören bekommt, der Teufel los.
«Vieni da noi!», brüllt der Südtiroler-Seppl und winkt in Richtung Türe, als würde sich dort ein Ozeandampfer verabschieden.
«Kommts zu uns!», hangelt sich der alte Graf von Wuppertal an der Wupper aus seinem Rollstuhl hoch. Er macht einen Bückling, so dass die nicht arretierte Karre ins Fahren kommt und der Graf mit Vollfahrt im Salatbuffet endet. Von hier aus schickt er der Neuangekommenen Rosen zu. Na ja: Es sind nur geschnitzte Radieschen. Aber der alte Knacker macht das mit so viel Stil, dass sich die Dame das Gemüseröschen mit perlendem Lachen und einem anzüglichen Blick zwischen die üppigen Brüste steckt. Dann zum Oberkellner: «Buon giorno, Arturo - mein Tisch wie immer?»
Die Lippen, die irgendeiner dieser modernen Schönheitschirurgen aufgespritzt hat, so dass sie nun einem Doppelpaket Schwimmflügelchen ähneln, spitzen sich zu einem Kuss in Richtung Oberkellner. Und wieder flattern die Wimpern, so dass ihr Wind in der ersten und zweiten Tischreihe die Kerzen ausbläst.
«Wir haben Sie erwartet, Signora», haucht Arturo.
Und diesmal bebt nicht nur die Nase.
Freitag - Zizi hängte sich übers Staubsaugerrohr. Drei Tafeln Toblerone und 20 Euro hatten ihre Zunge gelöst: «Bruna ist schon seit 20 Jahren im Geschäft. Sie nennt sich?Alleinunterhalterin?. Aber keiner hat sie je allein gesehen. Und den Unterhalt finanzieren ihr diese alten Trottel, die hier die morschen Knochen kuren. Deren Hormonspiegel kocht doch nach der dritten Fangopackung bereits wie Spaghettiwasser. Und da mischt nun Bruna die Sauce auf. Intervallsmässig macht sie in allen Hotels der Euganeischen Hügel die Runde. Wir nennen sie?die Melkmaschine??» Mehr war nicht aus Zizi herauszuholen.
Jedenfalls erlebten wir nun, wie eine Horde lädierter Männer, die von ihren Ärzten zur Aufbaukur nach Abano geschickt worden waren, auf einen Schlag geheilt sind. Sie werfen ihre Krücken und Stöcke fort. Ziehen den Bauch ein. Und surren wie ein Schwarm summender Schmeissfliegen hinter Bruna her. DAS WUNDER VON ABANO.
Und apropos: Grethchen, das schon seit zwölf Jahren an übelster Schwerhörigkeit leidet, hat das Zimmer neben der Melkmaschine. Auch hier schafft Abano ein Wunder: GRETHCHEN HÖRT ALLES.
«Sie dockt pro Nacht mindestens zehn bis zwölf dieser sabbernden Schleimer an!», gibt sie uns bei jedem Essen den neusten Lage- und Liegebericht durch.
«Weshalb hats eigentlich nichts Adäquates für kurende Frauen?», seufzt Evchen schwer. Und nippelt an einem knackigen Karöttchen.
Da steht Arturo vor ihr. Der Oberkellner schaut sie durchdringend an: «Hat die Dame einen besondern Wunsch?», flüstert er.
Evchen zögert einen kurzen Moment. Dann gibt sie sich einen Ruck: «Ja bitte - nochmals eine Flasche von diesem göttlichen Valpolicella?»