Von Backtagen und Schweigen wie ein Grab

Donnerstag - Advent sind diese beschaulichen Tage, wo hausgebackene Grättimänner als verkohlte Leichen auf dem Backblech dampfen und die Anisbrote wieder diese krummen Füsse haben, als hätten sie mit sieben Jahren schon eines der vier kleinen Schwänchen tanzen müssen.

O.k. Das war nur ein Spässle. Natürlich ist Advent eine glimmervolle, glamourtolle Backduftzeit.
Und all den Dummis, denen die Anisbrote krumm daherkommen, können diese ja schroten und den lieben Tauben verfüttern. SCHLIESSLICH GIBTS AUCH NOCH DEN BÄCKERMEISTER!

Als Kind habe ich die Backnachmittage, wo Teigschüsseln überladen mit süssen Mandeln, Feigen, kandierten Orangen und Bitterschokoladen herumstanden, genossen. Leider standen solche Schüsseln nur in alten Basler Gedichten und im Film herum. Bei uns zu Hause sah der Backnachmittag anders aus: Leisi Fertigteig und Gezeter: «Wehe, wenn ihr wieder die Hälfte roh fresst - die Finger faulen euch ab!» DAS WAR DIE ROHE ZEIT DES HAUSGEBACKENEN.

Mutter hat die verschiedenen Gutzi-Sorten in Sternenpapier-Säckchen abgefüllt. Dann kam ein rotes Lätschlein und die Drohung: «IHR SCHWEIGT WIE EIN GRAB! Wehe, ihr verratet das vom Leisi? der Teig ist hausgeknetet, kapiert. Sonst versohle ich euren Arsch, bevor der Klaus euch holt!» Oh du fröhliche?

Freitag - Nun also mein Freund Innocent: «Advent, Advent ein Kerzlein brennt?», so summt er sich in gute Laune.
Dann geht er zum Einkauf und verspricht: «Heute zeigen wirs der Welt: Basler Braun und Anisbrot machen Schlemmerwangen rot!» Daraufhin schnappt sich der Taschenbuch-Goethe den Einkaufskorb und wedelt aus dem Haus. Das erste, was er mir anschleppt, ist eine Waage. Wir sind in unserm Haushalt frohe Besitzer von sicher gut einem Dutzend Waagen. So wie alte Hunde ausgegrabene Knochen anschleppen, schleppt Innocent immer mal wieder eine Waage heim. Meistens ists gerade eine Sonderaktion. Das höchste der Gefühle war für ihn, als es zum Stabmixer von Miele noch gratis eine Kilo-Mehlwaage dazu gab. Damals hatten wir auch zwölf Stabmixer.

Und nun also das neuste Modell: «Es wiegt bis zu fünf Kilos ab - dazu gibts die passende Teigschüssel?» Ich atme tief durch. Dann wäge ich jedes Wort ab, weil Advent eine schöne, friedliche Zeit sein soll: «JA SPINNST DU DENN - DIE HAT JA DIE GRÖSSE EINES VW-KOMBIS. UND WO BITTE SOLL ICH DAS VERSORGEN?!»
Innocent schnappt sofort ein: «Wir haben in diesem Haus 14 Zimmer!»
«13 sind mit Mixer und Waagen vollgestopft!», tose ich.

Nun hat er wieder diese spitze Nase, die schon seine liebe Mutter hatte, wenn sie den Milchmann beim Abmessen der Kuhmilch kontrollierte: «Man hat nie genug Waagen. Das Leben ist ein einziges Waagnis?» Manchmal verblüfft er nicht nur durch seine Einkäufe - auch durch seine waagemutige Rhetorik?

Samstag - Alles liegt für die Anisbrote auf dem Tisch bereit. Neben Innocents neuer Waage hat zwar kaum mehr etwas Platz. Seit Jahrzehnten träume ich von dieser riesigen Küche, in der ein mannsgrosses Cheminée eingebaut wurde und wo der Herd in der Mitte des Raumes steht. Die Wirklichkeit sind anderthalb auf anderthalb Meter mit einem Abzug, der röchelt und den Rauch statt wegschluckt einfach zurückspuckt.

«Wo ist der Zucker?!», bellt Innocent.
«Im Bad, weil die Küche zu klein ist?», streiche ich ihm Vorwürfe aufs tägliche Brot.
Er zieht also mit Lippen dünn wie Rasierklingen-Schnittseiten ins Bad. Dann kommt er mit zwei Kilo Zucker und drei Schachteln Eier wieder. Die Eier hat er im Apothekerkästchen gefunden.

«Anisbrote brauchen keine Eier!», sage ich. Er schaut gepeinigt auf: «Wer bäckt hier. Du oder ich?» «Immerhin schreibe ich Kochbücher?», setze ich nach. Nun schaut er noch gequälter: «Darf ich dich an dein Käsesoufflé auf Seite 24 erinnern. Es wird dort ohne Käse zubereitet?» - er hüstelt aufreizend. JA WAS KANN ICH DAFÜR, DASS BEIM VERFASSEN JENES REZEPTES HILDI ANGERUFEN UND MIR IHRE SCHEIDUNG DURCHGEGEBEN HAT! Da vergisst einer schnell mal den Käse!
«Dann machs, wie du willst - aber ich esse das nicht!» - er soll nicht das letzte Wort haben.

Abends beim schwarzen Kaffee balanciert er ein Tellerchen mit den wunderschönsten Anisbrötchen an. Ich bebe. Alle Füsse gerade - und selbst das Spalentor ist auf der Oberseite erkennbar!
Maliziös grinsend sieht er zu, wie ich auch das allerletzte noch wegputze!

In der Küche habe ich dann das Papier vom Fertigteig entdeckt.
Es ist friedlicher Advent.

ICH SCHWEIGE WIE EIN GRAB!

Dienstag, 30. November 2004