Von autonomen Knödeln und dem Schnalshuber-Bauern

«Wenn ihr in Meran seid, müsst ihr unbedingt den Schnalshuber-Bauern besuchen! Seine Frau macht die weltweit geilste Schokoladentorte.» Das war der Tipp des Jahres. Er wurde uns von Adrian und Markus untergebuttert.
Die beiden Freunde jagen an den Wochenenden mit ihren Cabrio-Flitzern durch ganz Europa. Na sagen wirs mal so: von einem Dreisterne-Tisch zum nächsten. Dabei ziehen sie sich noch Opern rein. Beim vergoldeten Wachtelei diskutieren sie dann über das vierfach gestrichene Eff der Netrebko. Oder darüber, ob der junge Lohengrin mit dem Schwan ein Verhältnis hat.
Um fit zu bleiben und an den Weekends überhaupt in diese rasenden Schuhschachteln reinzukommen, hängen sie sich nach Feierabend an Trimmmaschinen. Und schalten vier zuckerlose Müsli-Tage pro Woche ein. So etwas bleibt (neidlos zugegeben!) nicht ohne Folgen: Waschbrettbauch. Und oben ohne wie ihre Cabrios: zwei polierte Glatzen im Wind. Na ja, die beiden sehen aus wie das kunstgewordene Art-Fair-Paar Eva und Adele? nur alles im schwarzen Beinkleid. Und mit 280 PS.
«Wer ist der Schnalshuber?» Sie schauen uns so entsetzt an. «DER SCHNALSHUBER?? IHR KENNT DEN NICHT? NACH IHM HABEN DIE SÜDTIROLER DOCH EIN GANZES TAL SAMT SEE BENANNT. ÜBERDIES HAT ER DIE TOLLSTEN KNÖDEL IM LAND.»
«Ohlala!», verdrehe ich die Augen.
«Mit Speck?» , fragt Innocent.
«MIT KÄSE! Und grüsst ihn von uns. Ihr werdet dann schon sehen, was passiert...» Es passierte gar nichts.
Um ehrlich zu sein, war es der einzige Tag, an dem sich Herr Innocent und ich sportlich betätigten. Wir fuhren bis zum Parkplatz dieses Hubers mit dem Tal, das seinen Namen trägt. Dann wanderten wir die 28 Meter bis zur Haustüre. Da war dann keine Sau weit und breit! Geschweige denn Käseknödel. ODER SCHOKOTORTE!
Ein altes Weiblein schaute um die Ecke, stützte sich auf einen Stock und krächzte: «Jo, wos wollts denn vom Huber... saans von der Steuerbehörd?»
Innocent sieht ja stets ein bisschen nach Steuerbeamter aus. Alles vermutet hinter den listigen Äuglein Buchhaltung und Neunerprobe. «Wo ist der Bauer?», rufe ich zu der Alten.
«Dör mocht Schnops!»? nuschelt sie. Und betrachtet uns so liebevoll, wie sie zwei verflohte Hunde willkommen geheissen hätte. «Su Gescht wie oirerseits bekucht sai Olte eh nur om Wochenend...»
Das Wunderbare am italienischen Südtirol ist diese autonome Sprache, die ein bisschen an Österreichs Kaiser Franz und an Berlusconis Wirken im Senat erinnert? ein Potpourri von Gemütlichkeit und Chaos. Wenn ich mit meinem lupenreinen Italienisch aus der Schule von Dante prunken will, schauen die Südtiroler einander fassungslos an: «Wos hot der Depp gsogt?»
Zurück zum Bauern und seinem knödelnden Weib. «Kummts nur...», trompetete Letztere am Telefon. Und wie wir ihr dann noch die Grüsse von unsern beiden Freunden ausrichten, lachte sie polternd: «Uiii? vu de baade Glotzenbuaberln? Do muss y bai oich sicher au gleich drei Floscherl vum Schnops aufs Tischerl schtöun...»
«Bevo solo aqua!»? gebe ich trocken den nassen Tarif durch. Schon ist das Gespräch unterbrochen? FUNKLOCH!
Als der Schnalshuber-Bauer uns mit der etwas ? zugegeben!? verbeulten Occasions-Schüssel parkieren sah, schlug er das Kreuz: «Dös isch net wie bai den baiden ondern Schweizer-Buaberln. Dieser olten Mischtkorrn bringt ju nu unsrer Rindviecherln zum Heulen...»
«Non tutti Svizzeri sono ricchi!»? erkläre ich diesem Sack. Und: «DU MIR JETZT SERVIEREN DEIN BILLIGES SCHNAPS!»? vorfreut sich das buchhalterische Herz in höchster Phonestärke neben mir. Innocent hat sich angewöhnt, im Südtirol mit den Leuten so zu reden, als wären sie alle schwerhörig und an einem Eile-mit-Weile-Wettbewerb im Altersheim.
Na ja? alles was recht ist: Die Frau fuhr eine Platte mit dampfenden Knödeln auf, die sie mit Engelshänden gerollt haben muss.
EINFACH HIMMLISCH. Doch als Innocent sich heisshungrig mit Messer und Gabel darüber machte, klopfte ihm der Bauer auf die Finger: «E guats Knöderl troktiert keener mit em Messer net! Dös isch e Belaidigung für d Küchen. Die Knöderln saan so waich, oss me se met dr Gobel verdruggen konn.»
Also ehrlich? sie waren wirklich Weltklasse und «non ho mai mangiato un Gnochetto tanto buono», gab ich Dante durch. DAS HABEN SIE DANN VERSTANDEN. Jedenfalls wurde das Kompliment gleich mal zur Schlussrechnung addiert.
Nach dem Braten der Sau alla moda der Frau schleppten sie endlich die Teller mit dem Schokoladenkuchen an. UND WOWWWWWW! EXTRAKLASSE!
Innocent rollte geniesserisch die Augen, spülte jeden Bissen mit dem Marillen-Brand. Entsprechend hatte er beim vierten Stück schimmernde Tränen in den Augen: «Dass ich das noch erleben darf... so etwas hat unsere liebe Mutter immer an einem Sonntag gebacken und...»
SEINE MUTTER KAUFTE DIE FERTIGPACKUNG VON LEISI! Beim Abschied klopft mir der Knödel-Bauer fröhlich auf die Schultern. «Ggrüsst mer die Flitz-Karren-Buaberln vum Bosellond... die saan arg sympothisch, wenns kummen... und se palavern au net olleweil su dummers Itoliönisch!»
Dann schaute er mich streng an: «Mer saan hier nämmlig autunum, wenns net gmörrgd hosch... AUTUNUM!» Da hat aber Frau Merkel mit dem geeinten Europa noch einiges zu knödeln.

Samstag, 8. Oktober 2011