Donnerstag Der Zoll in Aleppo tut recht pampig.
Innocent ist schon lange durch. Und verhandelt am Bankschalter lauthals über den Eurokurs.
Ich aber werde vom syrischen Grenzpolizisten ganz genau unter den Bildschirm genommen... dliggedidliggedi... arabische Schriftzeichen leuchten auf... der Mann schüttelt den Kopf, seine schwarzen Augen nehmen mich ins Visier: «Journalist?»
GOTT BIN ICH BLÖDE!
Weshalb habe ich nicht «HAUSFRAU» im Visum angegeben. Ich hätte ja wissen sollen, dass JOURNALISTEN nicht nur bei uns das rote Tuch bedeutet.
Der Mann nickt mir nun zu? ich solle hier bleiben.
Dann holt er Verstärkung in der Person von einem in Weiss gehüllten Uniformo. Sie bringen mir vier Papierseiten, die ich ausfüllen muss und? «FAHRE ICH MIT DOLLARS GÜNSTIGER?», höre ich Innocent am Bankschalter hiepen. Immer wenn er den Hörapparat auf «mittel» gestellt hat, ist seine eigene Vokalformation so stark, dass er spielend ein Fussballstadion im Goal-Rausch übertönen könnte.
Ich muss einiges unterschreiben. Ich habs nicht genau gelesen. Aber ich glaube, dass in dem Wisch steht, dass ich mich anständig gegenüber den Syrern verhalten soll.
JA WAS DENKEN DIE DENN! Ich käme hierher und würde die Sau rauslassen? in einem moslemischen Land?
Wie ich Innocent beim Bankschalter abholen will, sitzt der bereits hinter der Scheibe mit einem Glas Tee und strahlt. «Er hat mir einen Superkurs gemacht. Es scheint fast, als hätte mich meine Schweizer Bank beim Wechseln gelinkt.»
Aleppo ist die Stadt wie aus Tausendundeiner Nacht. Adib führt uns herum. Wir steigen auf die alte Zitadelle, fahren zu den Klosterüberresten von Sankt Simeon? JETZT HÖRT MAL HER? HIER HAT DER HEILIGE SIMEON AUF EINEM SCHMALEN SÄULENSTEIN GELEBT UND JAHRELANG RUND UM DIE UHR GEFASTET. Nun wisst ihr, weshalb ich hin gepilgert bin.
Freitag Wir lassen uns durch den Suk treiben? den grössten der Welt: 17 Kilometer überdachter Basar und süsswürzige Duftgemische von Seifen, Moschus, Kreuzkümel und abgehangenen Hammeln betäuben den Menschen aus dem Land des vakuumverschweissten Scheiblettenkäses.
Das Angebot ist mannigfaltig? vom filigranen Goldschmuck über blecherne Putzkessel bis zu traumschön gewobenen Tüchern und mit Silberfäden bestickten Stoffen. Das Schöne: Im Gegensatz zu anderen arabischen Basars sitzen die Händler hier stolz in ihren kaum meterbreiten Verkaufsgeschäftchen, schlürfen Hibiskus-Tee und versuchen gar nicht erst den dummen Passanten ihre Schleier und Parfumfläschchen anzudrehen.
Sie wollen einfach einen friedlichen Tag.
Und ihre Ruhe. Befühlt man ein Tuch, schnuppert an den Gewürzsäcken oder nimmt eine Seife in die Hand, lächeln sie nur. Und fragen, ob man schon Tee getrunken habe...
Im christlichen Viertel wird eine Hochzeit vorbereitet.
Tüllwolken führen zum Altar? unter den Tüllwolken leuchten Glimmerlämpchen wie Tausende von Glühwürmchen. Und überall hats silberne Schalen mit Tonnen von weissen Blüten.
Für einen Moment setzen wir uns in die kühle Kirche? eine Gasse weiter, im islamischen Teil der Stadt, ruft der Imam die frommen Moslems zum Gebet.
Später erkundigen wir uns bei Adib, wie denn das Religionen-Nebeneinander hier so läuft. Er: «Das christliche Viertel hat die beste arabische Küche und im islamischen Teil kauft man bedeutend günstiger ein.»
SO WEIT DER KASSENSTURZ AUS ALEPPO.
Samstag Wir besuchen das Hotel Baron. Es ist das älteste Hotel im Orient. Agatha Christie hat hier ihren legendären «Orient-Express» geschrieben.
Und Pasolinis Crew stieg im «Baron» ab, als der Regisseur mit der Callas die «Medea» in Aleppo drehte. Zur Zeit von Lawrence of Arabia war es ein Luxuskasten? noch immer gehört das Haus derselben Familie. Doch heute ist das Hotel etwas heruntergekommen. Aber urgemütlich.
Und mit einer grossen Terrasse, auf welcher der alte Direktor die Gäste mit frischem Mangosaft oder ausgepressten Granatapfelkernen willkommen heisst.
«Wollen Sie das Zimmer sehen, wo Madame Christie geschrieben hat?»? Der Hotelier führt uns die traumschönen Marmorstufen hoch zum ersten Stock. +123+ steht an der schweren Holztüre.
Und für einen kurzen geisterhaften Moment meint man dahinter das Klappern einer alten Schreibmaschine zu hören.
Das Zimmer ist einfach und bescheiden. So, als müsste er sich für die karge Umgebung entschuldigen, zuckt der Direktor die Schultern: «Hier hat sie natürlich nur geschrieben? gewohnt hat sie in der grossen Suite, wo auch Maria Callas geschlafen hat!»
«Ob er wohl auch ein Bier serviert?», unterbricht Innocent auf der Hotelterrasse abrupt all meine Gedanken, die um Agatha am kleinen, wackligen Schreibtisch und die Callas vor dem grossen Spiegel in der Halle kreisen.
Und dann: «... da siehst du, wie bescheiden die Christie gelebt hat. UND HAT DABEI MILLIONEN EINGESCHRIEBEN!» Er schaut mich lange an. Etwas Vorwurfsvolles bleibt unausgesprochen in der Nacht mit den 100 000 Sternen hängen.
«Wir haben leider kein Bier», lächelt der Servicemann auf der Terrasse.
Geschieht der Nervensäge ganz recht.
Oder wie schon Agatha Christie sagte: «Nerve deinen Nächsten und die Rache wird dir direkt vom Oberkellner serviert.»