Innocent macht mir den Morgen: Hörapparate draussen. Und die Haare jagen in alle Richtungen, als sei der Kopf eine Autobahndrehscheibe...
Nun buttert er sich den Gipfel voll. UND ICH SAGE NICHTS. Ich habe gelernt zu schweigen. Denn wenn ich jetzt meckere und nur ein einziges? EIN EINZIGES Wort über Gewichtsprobleme sage, klackst er auch noch Honig drauf.
Dabei trägt er Kittel Grösse 60. Dies bei einer Körpergrösse, die eingeht wie der hellgrüne Kaschmirpullover, wenn Annick ihn mit 60 Grad wäscht...
Also? ich sage nichts. Weder bei Annick (die macht mir ansonsten den Gau. Kündet. UND WER RÜSTET DANN DIE KARTOFFELN ZUM STOCK? Eben!) noch bei Innocent. Ich lasse ihn schaufeln. Und bruddeln: «Wie kann man eine?Aida? im Fussballstadion singen lassen...»
Ich löffle meinen Magerjoghurt. Nachdem ich mich bei Herrn Marti wieder mal auf die Couch gelegt habe und mir von ihm Blut nehmen liess, weiss ich: DIE WERTE SIND WIE DIE WAHL-CHANCEN VON OBAMA? KATASTROPHAL! «Wenn du weiter so in den Tag frisst, bricht nicht nur die Lebensmittelversorgung dieser Stadt zusammen, sondern auch DU!» Das war mein blutzapfender Freund und Arzt Felix.
Deshalb: Magerjoghurt.
Vis-à-vis also gebutterte Gipfel und das Wort zur «Aida»-Aufführung.
Ich: «MIR HATS GEFALLEN!»
Er: «DAS SAGST DU NUR, UM ZU WIDERSPRECHEN!»
Ja was sagt man dazu?
Ich sage gar nichts mehr.
Schliesslich: «Ich kann mit diesen Schwarten eh nichts mehr anfangen? sie langweilen mich alle. Deshalb finde ich, ein bisschen Blut peppt die Sache doch auf. Und man kann ja nicht sagen, dass bei?Aida? nichts los gewesen ist... dazu diese herrlichen Stimmen und...»
Er: «Hats Wurst?»
Ich hole ihm ein halbes Päckchen «Du darfst»-Wurstscheiben. Ich weiss nicht, wie sie gewurstelt werden. Ich weiss nur, dass sie nach nichts schmecken, aber leicht, locker und dem heutigen weightwatcherigen Esstrend angepasst sind!
Er: «DAS ESSE ICH NICHT!»
Ich lüge ihn an, wie ich früher unserem Zwirbelhund die in einem Stück Butterbrot versteckte Wurmpille zum Schlucken gebracht habe: «Ist feinifeini... gudigudi Trutenfleisch.»
Er: «WESHALB MUSS ICH TRUTHAHN ESSEN, WENNS MIR UM EINE WURST IST? WESHALB SINGT?AIDA? AUF DEM FUSSBALLFELD, WENN SIE DOCH IN DIE PYRAMIDE GEHÖRT? WESHALB IST DIE WELT SO VERRÜCKT?»
Es spricht für mich, dass ich ganz, ganz ruhig bleibe: «HAST DU DIE PILLEN GENOMMEN?!»
Nun fliegt mir das vollgebutterte Gipfeli entgegen. Innocent donnert die Faust auf die Tischplatte: «SPIEL DICH NICHT ALS KRANKENTRINE AUF? ICH KANN GUT AUF MICH SELBER AUFPASSEN!» Genervt will er sich erheben. Aber er sackt sofort wieder in den Sessel zurück. DENN ÜBERGEWICHT, ARTHROSE UND DIE VERGESSENEN STÜTZSTRÜMPFE VERLANGEN IHREN ZOLL. Ich schiebe ihm den Rest meines Magerjoghurts zu. Nun fliegt auch die Tasse.
Unser Familienfreund Werni Nobelherr tuschelt hinter meinem Rücken mit Innocent. Ich schnappe Wortfetzen wie «... alle Grössen... tolle Muster... scheissbillig» auf. Dann erklären die beiden, sie hätten in der Lesegesellschaft zu tun. Und verlassen die Wohnung. Unglaublich, wie hell die Wohnung plötzlich wirkt, wenn die zwei lustigen Saurier draussen sind. Werner bringt nämlich auch so einiges auf die Knochen. Und Innocent liebt es, links von Werner zu laufen, weil dies? wie er immer sagt? «mich so schlank macht».
Nun ist also Ruhe im Basler Haus. Ich blättere mich durch die Zeitung und wundere mich einmal mehr, dass ich noch der Einzige sein soll, der Zeitungen liest. ICH KANN MIT DIESEN VIRTUELLEN MELDUNGEN AUF MEINEM COMPUTER NICHTS ANFANGEN!
Es ist doch etwas ganz anderes, wenn einem Frau Bundespräsidentin persönlich in den Händen entgegenglotzt, als wenn ich sie mit einer Maus bearbeiten muss. Ich will mich eben ans grosse Kreuzworträtsel machen, da ruft Evchen an: «Was wünschst du dir zu Weihnachten? Ich habe an eine Puppe gedacht, die ich für dich kreiere und... UM HIMMELSWILLEN! «Ich will doch nichts...», säusle ich? und hoffe, dass sie es nicht glaubt? aber das Schicksal die Schauerpuppe von mir abwendet. Evchen ist eingeschnappt: «Den Kopf habe ich schon...»
Danke. Und ich 27 Puppen von Eva, die alle im Keller liegen und immer zum Weihnachtsessen, wenn sie mit der Familie aufkreuzt, eiligst auf dem Sofa drapiert werden.
«... wenn ich mal tot bin, kannst du die teuer verkaufen. Es sind Kapitalanlagen und...»
DAS HAT MEIN BANKFACHMANN VON DEN UBS-AKTIEN AUCH GESAGT. Und auch die sind im Keller...
Im Kleiderkasten von Innocent hangen vier Paar neue Hosen. Und drei Kittel, die ich noch nie gesehen habe. Sie haben die Grösse eines mittleren Festzelts. Innocent strahlt: «Werni hat mich in ein Geschäft geführt, wo sie jede, aber auch wirklich jede Grösse haben. Du glaubst es nicht? aber ich stand in vier Kitteln, die mir zu weit waren. DAS IST EIN GEFÜHL!»
Wie soll ich ihm die Truthahnwurst schmackhaft machen, wenn es solche Läden gibt? «... und wehe, du schreibst das!», donnert er nun, «das ist ein höchstpersönliches Thema. Und mein privater Kleiderladen. Ein Wort? und ich bringe dich um!»
Meine Lieben? vermutlich ist das der Schluss der Mimpfeli-Serie.