Vom Zuzzeln der Wurst und dem Münchner Schick

Also echt: In München komme ich mir immer wie ein angedätschtes Landei mit verlorenem Dotter vor. Ich meine: Die Menschen hier sind alle so rundum schick. Mit Vuitton-Täschlein am Arm. Herrn Gucci um den Ranzen. Frau Chanel hinter dem Ohr? und einem Mercedes unterm Arsch.
GANZ GROSSE WELT EBEN? DA BIST DU SCHNELL DIE SCHNORCHELNDE SCHLAMMSAU UNTER ELEGANT HINGLEITENDEN SCHWÄNEN.
Leider hilft auch das silberne Hermès-H am abgewetzten Ledergurt nichts. Das H wird nämlich von der XXL-Wampe überlampt. Und für einmal muss ich Innocents Gemecker recht geben: «DU SPINNST! 1000 Eier für einen Gürtel, dessen Label von deinen Speckwürsten verdeckt wird! WOZU KAUFST DU SO TEUREN MIST, WENN DAS DING NICHT RAUSSCHREIEN KANN: ALLES MAL HERSCHAUEN? ICH BIN EIN HERMES-GÜRTEL?»
Es ist eben ein ganz persönliches Titanic-Drama: Das Schöne geht bei mir immer unter.
Natürlich hat die Schweiz auch elegante Grossstädte. Na ja? grosse Kleinstädte. Aber selbst an Zürichs Bahnhofstrasse, wo sich diese schwarzgelackten Gnömchen mit ihren Lederbeuteln und dem iPhone-Gedüdel ähneln wie Kessler Zwillinge? also selbst das schweizerische Zürich-Downtown bleibt und ist halt doch helvetische Provinz. UNSERER VERGANGENHEIT FEHLT DER KAISER. UND EIN BLOCHER ALS ZUKUNFT BRINGT DEN SCHICK-KICK AUCH NICHT OPTIMAL!
In München schlägt die imperiale Vergangenheit von jeder Turmuhr. München tickt anders. Nicht lauter. Aber irgendwie abgefederter. Wer einen Maximilian unter seinen Ahnen hat, braucht nicht um ein Wattemännchen zu reiten und zu grölen. «Äs isch no lang nöd zwai, mer göhnd no lang nöd hai!» Nein. Er zeigt lächelnd auf die Residenz. UND ES IST ALLES GESAGT.
In München steigt die Schickeria nicht aufs hohe Ross. Hier galoppiert die Kultur, ohne dass penetrant mit dem Magisterfinger darauf hingewiesen wird. Die gemütliche Eleganz überschäumt dieser Tage bereits mit dem Oktober-Bier. Dazu Bretzen und Radi. Letzteres sind diese Riesenrettiche, welche stämmige Kellnerinnen mit einem seltsamen Rundmesser so aufdrehen, dass die ganze Rübe wie Salomons Locken vor sich hin dauerwellt. Salz drüber! UND: «DÖS ISCH A GSCHENGG, WO UNS DER LIEBÄ GOTT VUM HIMMELSZELT SCHICKT...»
Euro 5.90? Gottes Rübe ist preiswert! Obwohl es in der Isarstadt fröhlich zugeht, hängt über allem doch eine gewisse coole Eleganz. Klaus und Sepp sind grosse München-Kenner. Mit runterlatzenden Lederhosen, swingendem Gamsbart und Waden wie die grillierten Stotzen vom «Schweinshaxen-Wirt».
Klaus und Sepp führen uns also herum und tun, als hätten sie die Münchner Oper persönlich auf die Welt gebracht. Klaus baut sich vor den Säulen zum Eingang auf: «Hier hat schon Lotte Lehmann gesungen!»
«Lotte wie viel?», blafft Innocent.
«DIE LEHMANN!», knurrt Klaus. «Du willst mir doch nicht sagen, dass du nicht weisst, wer Lotte Lehmann ist.» Innocent kratzt sich durchs Haar: «Singt die bei den Kastelruther Spatzen?»
Klaus schaut zu Sepp. Sepp schaut zu Klaus. In ihrem Blick hängt so etwas wie entsetzte Fassungslosigkeit: zwischen eidgenössischer und münchnerischer Kultur stecken eben Welten. Der Nabel dieser Welt ist an der Isar? weder am Rhein noch an der Limmat!
«Mir ists um die gute Münchner Wurst und nicht um so eine abgehalfterte Kolloratur-Zicke aus München down town!», versuchts Innocent nun unbeholfen humorig.
«Frau Lehmann war aus Perleberg, Brandenburg», erklärt nun Sepp mit diesem schulmeisterlichen Ton, der ihn zum Professor erhoben hat. «Und die richtige Münchner Wurst bekommt ihr jetzt beim ewigen Licht.»
Ich dachte schon, dass die Freunde uns ins Jenseits wünschten. Da zeigte sich aber, dass das «ewige Licht» die Geburtsstätte der legendären Münchner Weisswurst ist. Man erkennt den Geburtsort daran, dass hier die Japaner so zahlreich wie die Sushis im neuen Fastfood-Rayon anrollen. Sie stellen ihren Apparat auf scharf und nehmen die Wurst ab, die in einem Suppentopf blassweiss untergegangen ist. Dann verlangen sie Oyster-Sauce und das Lächeln des Wirts, der auch aufs Bild muss und den sie dann in Nagasaki als «den Erfinder der Blasswurst» herumzeigen.
DABEI WURSTELT DIE GESCHICHTE GANZ ANDERS.
Es war am Rosenmontag 1857. Tout München hockte beim «Lichterl-Wirt». Doch dem waren wegen des grossen Fasnachtshungers die «Stadtwürste» ausgegangen. «Und weil Münchner immer gute Geschäftsleute sind», so doziert nun Sepp, «hat Josef Moser, der Lichterl-Wirt, das vorfabrizierte Wurstbrät in Bratwurstdärme gefüllt. Diese nicht gebraten, sondern gesotten. Und in Suppenschüsseln auf den Tisch gebracht. Die Leute fanden das so etwas von schick und waren sofort vom weissen Wursterl begeistert...»
«Na also», klatschte Innocent fröhlich in die Hände. Und bestellte sich so einen Suppentopf mit Weissen drin. «Man zuzzelt die...», erklärt Sepp und saugt die Wurst genüsslich aus. Innocent rümpft die Nase: «Also das dann doch nicht!» Er verlangt Messer und Gabel. Operiert umständlich die Haut weg. Und schiebt sich mit gespreiztem Kleinfinger die blassen Bräträdchen rein. Da haben Sepp und Klaus einander wieder vielsagend angeschaut. Und ich habe rasch den Bauch eingezogen, so dass das H von Hermès für kurze Zeit am Gürtel aufblitzte.

Samstag, 17. September 2011