Donnerstag Mein fitter Vetter Tom fittet bei mir in Adelboden.
Nichts dagegen.
Jeder fittet, wie und wo er kann.
Aber Vorsätze, die schon fast wie Kriegserklärungen tönen: «Die Adelbodner Welt soll mich kennen lernen? jetzt kommt Tom, das World-Cup-Wunder!», diese heissen Prophezeiungen gehen in chrosenden Schnarchtönen unter.
Das sieht dann so aus: Draussen herrscht schneefunkelndes Sonnenwetter. Im Schlafzimmer des Vetters aber herrscht jene Finsternis wie in dieser unterirdischen Fitnesshalle, wo er seinen Arsch hochtrimmt, bis es alle Sicherungen knallt.
ICH LASSE WUNDERBARES LICHT INS DUNKLE FLUTEN!
Ich ziehe die Vorhänge, öffne die Fenster, denn es gibt nichts Schlimmeres als diesen eingesäuerten Turnhallenschweiss notorischer Fitter? na gut, Mundgeruch ist noch ekliger und vielleicht die nassen Socken eines Plattfussträgers? ABER ICH EIERE VOM THEMA AB!
Und das Thema heisst: Vorhang auf. Die Szene beginnt:
«Ja tickst du noch richtig? ICH HABE FERIEN! »
«Es ist wunderbares Wetter draussen. Piste gut. Du wolltest es doch den Adelbodnern zeigen!»
HUSTEN. CHOLDERN. SCHNÜFFELN.
Den Schnupfen hat er nämlich auch in die Ferien mitgebracht. Samt Fieber. Und Husten? EINE AUSGEWACHSENE GRIPPE ALSO. Entsprechend laufe ich nur noch mit Mundbinde rum und sehe aus wie der Oberarzt in dieser lustigen Spitalserie wo sie mit den Gallensteinen Golf spielen.
Vetter Tom mummelt sich jetzt wieder tief ins Bettdeck ein, weil die Fenster offen stehen.
«Ich hole mir eine Lungenentzündung!», jault es unter den Federn. «Diese Eisluft bringt mir den Tod!»
«Baberlababb? die Saudis bauen ja nicht umsonst in Adelboden. Die gute Luft hat hier das Gütesiegel. Sei kein Weichei...»
Fünf Minuten später steht er unter der kochend heissen Dusche. Zehn Minuten später auf den Skis? nicht ohne mir vorher zuzurufen: «Wir treffen uns bei Haueter zum Fitnessdrink!»
Mittags sitze ich also in diesem Café mitten im Ort. Um mich herum wattierte Schneejacken, tropfende Skihosen, klappernde Stöcke. DAS SIND DIE AKTIVEN.
Die PASSIVEN erkennt der Kenner sofort an den Füssen. Sie stecken in bequemen Stiefeln. Überdies weht um die Passiven dieser leise Hauch von Eleganz und Faulheit, den die besondere Klasse ausmacht.
Die Passiven finden sich auch sofort am Kuchenbuffet ein und lesen dort ein Stück von der Schwarzwäldertorte, zwei Vermicelles und einen Happen Vogellysi-Kuchen aus.
Die Aktiven bestellen leidvoll und fantasielos: Fitnessdrink mit Kiwi und Banane.
Ich bin bereits bei der dritten Kuchenportion angelangt und mein fitter Vetter ist noch immer nicht da. Aber vis-à-vis von mir sitzt dieser ältere Schauspieler, der in den Abend-Krimis stets die Fälle löst. NATÜRLICH WEISS ICH SEINEN NAMEN NICHT. Ich habe Namen noch nie behalten können. Und jetzt, wo endlich Tom erscheint, zeige ich mit dem rahmigen Tortenlöffel zum Nebentisch:
«Siehst du dort... das ist doch der von dieser deutschen Krimiserie mit der lustigen Sekretärin im Polizeibüro und...»
Mein Vetter stellt sich natürlich dumm: «Das ist nie und nimmer ein deutscher Schauspieler. Der liest ja den?Blick? und...»
Weshalb soll ein deutscher Schauspieler keinen Schweizer «Blick» haben?
Was kann man von einem Bildschirmdummi, das nur die Sportschau reinzieht, anderes erwarten? KEINE KRIMIS. KEINE KULTUR!
«Ich kenne ihn aber», werde ich nun doch leicht sauer, «ich weiss nur nicht, wie die Serie heisst... aber ich weiss noch genau, dass er in der letzten Sendung den Mörder mittels eines Bierdeckels überführt hat und...»
Tom wirft den Blick seufzend zum Himmel. Es ist, als würde er seinen lieben Paten, meinen wunderbaren Vater anrufen: «Wie konntest du mir so etwas zurücklassen?!»
Diese Überheblichkeit ärgert mich so stark, dass es auf die Blase schlägt. KURZ: ICH MUSS.
Auf der Toilette sind diese Schüsseln, die für das männliche Geschlecht ein Tor zum Ziel haben. Man nimmt also das Tor ins Visier und das ist ein ganz neues Wasserlösegefühl. Natürlich spielt es der Wasserlösung, die unsere Mütter der jungen Macho-Generation («Ihr hockt beim Pinkeln!») in die Hose gepaukt haben, entgegen.
UND NUN WOUWWWW? der deutsche Schauspieler alias Kommissar mit der Bierdeckellösung zielt auch.
«Ich habe alles von Ihnen gesehen...», lächle ich zum Gegentor.
«Mmmmmm...»
Er hält die Augen geschlossen. Und zielt blind.
«Sie machen das grossartig...»
«Mmmmmm»? (noch immer Auge zu).
«Und wie Sie den Fall mit dem Bierdeckel gelöst haben? Chapeau!».
Nun rüttelt und schüttelt er. Dann öffnet er die Augen: «Vo was heid Ihrs, guets Manndli...?»? Sein Berndeutsch ist so breit wie eine US-Autobahn.
«Und?», grinste Tom später am Tisch. «Hast du den Fall gelöst?»
«Es war kein Bierdeckel da...», gab ich giftig zurück.
Dann bestellte ich nochmals «Vermicelles mit Rahm». Und für den Klugscheisser einen Fitnessdrink.
Vom Zielen aufs Tor und einer Verwechslung...
Donnerstag, 19. Februar 2009