Vom Weihnachtswunder auf der Insel und aus die Gans!

Donnerstag Seit fünf Jahren stresse ich nicht mehr. KEINE GANS, DIE GANS TROCKEN IST! Keine Szenen, weil Tante Tildy nicht neben Hugo sitzen darf (dabei hat Hugo jedes Mal am 23. angerufen:
«Wenn du den alten Drachen wieder an meine Seite setzt, beende ich das Fest vorzeitig mit einem lodernden Baumbrand!» Tildy hingegen: «Wenn du mich nicht neben Hugo setzst, bist du enterbt und ich bringe keine Buttercremetorte mit. Ja, ich weiss, dass er ein Gigolo ist? aber ein einziges Mal will ich es noch wissen!»
Kein Schüüfeli auf Bohnen und der Frust, weil die Jungen mir stets die Szene machten: «Ist es auch ein artgerecht aufgezogenes Schwein?... Und weshalb Dörrbohnen? Die liegen doch wie eine ganze Ziegelfabrik im Magen... Der Pizzakurier hat übrigens auch am Heiligen Abend offen und...»
DANKE. DAS WARS. ICH STRESSE NICHT MEHR.
FERTIG FRUSTIG!
Als ich jedoch meiner lieben Familie in einem netten Brief die etwas andere frohe Weihnachtsbotschaft verkündete «DIE GANS VERABSCHIEDET SICH!», war der Teufel los.
Tante Tildy: «Du bist enterbt und meine Buttercremetorte kannst du auch gleich vergessen!»
Hugo: «Und was soll ich meinen Freundinnen sagen, wenn du am Heiligen Abend streikst? Du warst doch stets mein Alibi? keine war beleidigt, dass ich nicht bei ihr, sondern bei dir und keiner andern war. Du warst der FRIEDEN AUF ERDEN. Du warst mit der Familienfeier meine diplomatische Rettung für einen Tag, der jedem vielbeweibten Manne zur Horrorserie wird...»
Pfeiff drauf! Soll ich ein Leben lang das Weihnachtskind für den herumschnackelnden Vetter spielen?
DER BRIEF WURDE NICHT WIDERRUFEN. Es blieb beim glanz- und ganslosen Heiligen Abend.
Nur mein Vater zeigte wider Erwarten Verständnis.
Er, für den ich mich seit dem Tod der lieben Mama eine Woche vor dem Christkindfest mit Einkäufen schleppen, Silber polieren, Fenster putzen und Ästchen bekugeln bis zur Infarktgrenze abgeschuftet hatte, lächelte nur sonnig. «GOTTSEIDANK IST ENDLICH AUS MIT DEM FUSEL, DEN HERR INNOCENT UNS JEDES JAHR HINTRÖPFELT!»
Die Frage war nun: Wie feiert ein Weihnächtler, der seit jenem Augenblick, als ihn die Mutter zum ersten Mal auf ihren Armen in die Festtagsstube getragen hatte, dem Zauber des Lichterbaums erlag?
ODER EBEN: WIE FEIERT EIN ABSOLUTER «KUGELN-MIT-GLIMMER-FAN» WEIHNACHTEN OHNE WEIHNACHTEN?
Einfach nur: ein schleifenloses Adventskränzchen, Änisbrötli und «Sissi» auf Kanal 2?
Innocent hatte Bedenken: «... und wenn die Gassers im Nachbarhaus das?Oh du Fröhliche? anstimmen, baust du die Krise und flennst mir den neuen Kaschmir voll. NEIN. WIR MÜSSEN WEG. IN EINE ANDERE UMGEBUNG. EINEN ANDERN RAHMEN SUCHEN.
ETWAS, DAS DICH GAR NICHT ERST AN DAHEIM UND DIE ALTE TRADITION ERINNERT.»
Also gingen wir auf die Insel.
Vorher hatte ich Gianni telefonisch eingeschärft, sämtliche Palmen, Oliven-, Orangen- und Zitronenbäume mit Lichterketten zu behängen: «Es soll eine Sorpresa für Innocent sein... damit er doch noch ein bisschen Weihnachten hat...»
Als wir dann am Heiligen Abend nach einer stressigen Aufholjagd auf den italienischen Autobahnen gegen Mitternacht auf der Insel ankamen, als wir mit all den Lebensmitteln, Reisetaschen und Geschenkchen, die auf den Hintersitzen herumeierten endlich die letzte der 321 Serpentinen geschafft hatten, funkelte uns von Weitem ein grelles Lichtermeer entgegen. Innocent hielt sich die Hand dorthin, wo er sein Herz vermutete: «Oh Gott? die Ausserirdischen sind gelandet. Und dies am Weihnachtstag. Schau mal das Strahlenmeer.»
ABER ES WAREN NUR DIE LICHTER DIE GIANNI AUFGEKETTET HATTE. Er muss auch die allerletzte Elektrobirne der Toskana zusammenramisiert haben. Jedenfalls wurde unser Olivengarten zum Disneyland? fehlte nur noch Daisy Duck mit den Hochglanz-Pumps, die uns zum Empfang ans Glimmerherzchen drückte. Natürlich blieb das Licht nicht ohne Folgen. Die Inselbewohner jagten vom hellen Licht geführt duch die Serpentinen um das WUNDER VON WEIHNACHTEN zu sehen.
Schreiende Kinder wurden vor unseren Palmen gruppiert und sowohl auf Videokameras wie auch per Natel-Chip verewigt. Ja, bald schon stand ich in der Küche, heizte Wein mit Zimt und Nelken auf, backte Mailänderli. Und liess die alte CD mit Frank Sinatra und seiner «White Christmas» erschallen.
Die Leute strömten in unsere Stube. Bedienten sich an Innocents Grappa.
Als dann «DAS WUNDER VON WEIHNACHTEN» gar noch im Lokalblatt abgelichtet wurde und die grüne Fraktion mit einem halbseitigen Leserbrief bitterböse gegen diese «UNSINNIGE ENERGIESCHLEUDER» reagierte, war Gianni nicht mehr zu bremsen. Jedes Jahr werden es mehr Lichter. Bereits steht auch Daisy Duck als Leuchtfigur unter dem Zitronenbaum? und aus allen Ästen zirpen elektronisch gesteuerte Töne das Lied von der Jingle Bell. Das Touristenbüro von Florenz hat erste Carreisen «zum Lichterwunder der Toskana» ausgeschrieben und keine Plätze mehr frei, während mir die Firma Leisi täglich per Luftfracht zwei Tonnen Änisbrot-Fertigteig über dem Weihnachtsland abwirft...
Innocent hat auch schon den Fusel bereit gestellt? denn dieses Jahr will uns Hugo besuchen. Er nimmt Tildy mit. Sie hat ihm ihr Erbe versprochen und mir ihre Buttercremetorte zugesagt.

Samstag, 19. Dezember 2009